Tacita Dean: Bewegte Notizen
In ihren Fotogravüren bringt Tacita Dean gefundene Fotografien mit literarischen Erzählungen zusammen. Die handschriftlichen Notizen und Regieanweisungen eröffnen eine Art Bühnenraum für neue Geschichten. Ihre Werke in der Ausstellung „Trügerische Bilder“ gleichen dabei filmischen Storyboards.
Medienhistorisch sind Fotografie und Film seit jeher auf vielfältige Weise mit dem Phänomen der Bewegung verbunden: So war aus technischen Gründen auf frühen Fotografien noch alles unsichtbar, was sich bewegte. Es sei denn, die Szenen waren sehr hell beleuchtet; dann hinterließen sie zumindest geisterhafte Spuren auf dem Fotopapier. Seit Anbeginn träumte man davon, Stadtansichten machen zu können, die „[…] von der geschäftigen, buntgemischten Menge ihrer Bewohner belebt seien“ (Horace Vernet, 1839). Dazu bedurfte es jedoch einiger technischer Neuerungen: Von der beweglichen Kamera bis zum lichtempfindlicheren Material. Mithilfe dieser Entwicklungen konnten das Bild beziehungsweise seine Vervielfältigungen dann schließlich – ganz unabhängig von seiner Herkunft – um die Welt reisen. Mit der Einführung des Films schien dieser Prozess eine erneute Steigerung zu erfahren, indem die Bilder selbst lebendig wurden, um in Schaubuden auf Jahrmärkten ihr Publikum zu begeistern.
Zwischen statischem Bild und bewegter Notiz
Die Künstlerin Tacita Dean scheint die zwingende Logik medialer Entwicklungen gleich auf mehrfache Weise zu unterlaufen, indem sie den bewegten Film entschleunigt und das statische Bild durch bewegte Notizen erweitert. Außerdem greift sie auf althergekommene Techniken zurück, engagiert sich in Zeiten digitaler Techniken entschieden für den Erhalt fotochemischer Verfahren und produziert ihre Filme ausschließlich analog auf 16-mm- oder 35-mm-Film. Anstelle von aktionsreichen Stories wie im „großen Kino“, bestechen diese Filme durch ihre meditative, malerische Qualität, die die Künstlerin mit eher statischen Kameraeinstellungen und langen Fahrten sowie den satten Farben des analogen Materials erzielt.
Im Gegensatz dazu erscheinen ihre grafischen Arbeiten auf ungewöhnliche Weise bewegt. Handschriftliche Notizen der Künstlerin überlagen die Bildebene, sodass sie eher an ein Storyboard für einen Film erinnern. In einem Prozess der „Sedimentation des Denkens“ (Tacita Dean, 2018) nisten sich ihre Gedanken im Bild ein, lagern sich dort ab und verschmelzen mit den Bildern zu etwas neuartig Drittem.
Das Werk „Quarantania“ (2018)
Der „Berg der Versuchung“, der laut Bibel im Westjordanland verortet wird, steht im Zentrum dieser großformatigen, farbigen Fotogravüre. Der Titel der Arbeit bezieht sich auf den Namen des Berges „Quarantania“, der sich von dem lateinischen Wort „Quarentena“ ableitet. Dies ist ein Hinweis auf die vierzig Fastentage, in denen Jesus vom Teufel geprüft wurde, als dieser ihm anbot, die Herrschaft über alle Königreiche der Welt zu erlangen, sofern er sich von Gott abwenden würde. Dean fand den Albuminabzug vom Mount Quarantania vor mehr als zehn Jahren. Sie war sofort fasziniert von der seltsamen Schönheit des Berges sowie von der auffallenden Detailtreue des frühen Abzugs. Indem sie dieses Motiv mit einer radikaleren Farbgebung versah, schuf sie eine halluzinogene Szenerie als Sinnbild für den Geisteszustand Christi nach vierzig Tagen ohne Nahrung.