Trügerische Blicke – Das Auge als Fenster zur Welt
Das zentrale Organ unserer visuellen Wahrnehmung ist das Auge. Hier werden optische Reize aufgenommen und im Wechselspiel mit dem Gehirn zu relevanten Informationen weiterverarbeitet. Wenn die Funktionen dieses Sinnesorgans eingeschränkt werden, können Sehstörungen entstehen und rasch fehlt einem die Orientierung. Künstler*innen erzeugen oftmals bewusst eine Irritation der visuellen Sinne.
So wie beispielsweise in der Ausstellung „Trügerische Bilder“, wo eingespielte Wahrnehmungsmechanismen auf den Prüfstand gestellt werden. Über diese lustvolle Täuschung sprach ich mit Privatdozent Dr. Thabo Lapp, Facharzt für Augenheilkunde und geschäftsführender Oberarzt am Universitätsklinikum Freiburg.
Als Augenarzt hast Du mit vielfältigen Erkrankungen des Sehorgans zu tun. Was fasziniert Dich besonders an diesem Organ? Und welche Formen von Seheinschränkungen stellen für Dich das größte Rätsel dar?
Das menschliche Auge ist ein echtes Wunderwerk – hier passiert auf kleinstem Raum unglaublich viel. Neben seinen optischen Eigenschaften, die dafür sorgen, dass das Licht gebündelt wird, damit sich auf der Netzhaut ein scharfes Bild ergibt, verfügt das Auge über verschiedene Strukturen, die mit der Verarbeitung und Weiterleitung des Lichtes und der Sehinformation beschäftigt sind.
Das Sehen ist der wichtigste Sinn des Menschen – über die Hälfte der Informationen, die das menschliche Gehirn verarbeiten muss, stehen mit dem Sehen in Verbindung. Erkrankungen, die zu einer Sehverschlechterung oder Erblindung führen, stellen für Patient*innen eine erhebliche Einschränkung in der Lebensqualität dar.
Mein persönliches Interesse sind Erkrankungen der Hornhaut. Die Hornhaut entspricht dem „Fenster des Auges“. Verschiedenste Infektionen, angeborene Erkrankungen und Verletzungen können zu einer Trübung der Hornhaut und damit zu einem Sehverlust führen. Hier stehen Operationen zur Verfügung, die zum Beispiel einen vollständigen oder teilweisen Ersatz einzelner Schichten der Hornhaut ermöglichen. Für mich als Operateur sind dies herausfordernde und anspruchsvolle Eingriffe – für die Patient*innen ergibt sich so die Möglichkeit, wieder zu sehen.
Verschiedene Erkrankungen der Hornhaut und Netzhaut sind bis heute nicht vollständig verstanden – hier laufen in der Grundlagenforschung viele interessante Studien, die sich zum Beispiel mit der Gentherapie, mit der Modulation des Immunsystems oder auch mit der Rekonstruktion von menschlichem Gewebe beschäftigen. Das ist spannend und faszinierend.
Du bist selbst ein leidenschaftlicher Fotograf. Wie bist Du dazu gekommen und siehst Du da einen Zusammenhang zwischen dem visuellen Apparat und der Kamera?
Da handelt es sich eher um eine Not. Es gibt so viele Momente, die man in der Erinnerung halten will. Diese Momente zu skizzieren oder zeichnerisch festzuhalten wäre mein eigentlicher Wunsch, nur leider fehlt mir hier das Talent. So bleibt mir nur die Fotografie – ganz im Sinne von Charles Baudelaire: „Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und Faulen“.
Natürlich hat man als Augenarzt auch eine weitere Verbindung zu Fotografie. Die Kamera entspricht in ihrem Aufbau der Anatomie des menschlichen Auges, dabei funktionieren die Hornhaut und die Linse wie ein Objektiv, die Iris mit der Pupille entspricht der Blende und die Netzhaut dem Film bzw. dem Sensor.
In den letzten Jahren ist die „klassische Fotografie“ geradezu von einer technischen Welle überrannt worden. Wo früher nur technisch anspruchsvolle Systemkameras zur Verfügung standen, wird heute mit dem Handy fotografiert. Mit dieser Entwicklung setzt Ihr Euch im Marta in dieser Ausstellung ja auch auseinander. Die Befürchtung mancher Menschen, dass Bilder bzw. Fotos durch diese Entwicklung bedeutungs- oder belangloser werden, teile ich nicht. Bilder von eindrücklichen Momenten und Erlebnissen bleiben uns nach wie vor in Erinnerung – trotz der Bilderflut, die uns täglich überrollt.
Die Ausstellung „Trügerische Bilder“ bewegt sich im Spannungsfeld zwischen malerischen und fotografischen Techniken und ihrer Kraft der Täuschung. Welche Arbeit spricht Dich besonders an und warum?
Viele Arbeiten gefallen mir sehr – besonders beeindruckt hat mich aber die „solid light“-Arbeit von Anthony McCall. In meinem Arbeitsleben beschäftige ich mich mit einem Organ, durch das Licht wahrgenommen wird. Licht ist eine elektromagnetische Strahlung; paradoxerweise sind die größten Bereiche elektromagnetischer Strahlung für das menschliche Auge nicht sichtbar. Dieses „Sichtbarmachen“ von Licht – zum Beispiel durch den Einsatz von Nebel – stellt Bezüge zu meinem Arbeitsfeld her. Das begeistert mich.
Ähnlich ist es auch bei der Fotografie. Jeder kennt diesen Moment, wenn Sonnenstrahlen durch eine dichte Wolkendecke brechen. In diesen Momenten sieht man das Licht – hier liegt dann der Fokus weniger auf der Landschaft als vielmehr auf dem Licht als Objekt. Und jeder, der versucht hat, diese Momente mit der Kamera einzufangen, weiß, dass die Bilder hinterher oft unspektakulärer erscheinen, als wir den Moment selbst wahrgenommen haben. Dieser Grenzbereich zwischen eigener Wahrnehmung und dem gedruckten Bild wird meiner Ansicht nach durch McCall „erlebbar“.
Wie unterscheidet sich das Sehen auf der zweidimensionalen Fläche zu dem Sehen im dreidimensionalen Raum?
Diese Frage geht in den Bereich „Wahrnehmung“. Das Auge ist für die Aufnahme und die Verarbeitung von Reizen verantwortlich. Die Verarbeitung dieser Reize erfolgt zunächst in der Netzhaut und dann im Gehirn. Wenn es um Wahrnehmung von Raum bzw. Räumlichkeit geht, wird das Ganze schnell kompliziert. Hier spielt zum einen eine Rolle, dass wir Menschen zwei Augen haben – das Gehirn demzufolge die Seheindrücke beider Augen erhält und daraus ein räumliches Bild entstehen lassen kann. Aber auch Menschen mit nur einem funktionierenden Auge nehmen den Raum und Distanzen sowie die Position von Gegenständen im Raum wahr. So kann das Gehirn zum Beispiel aus der Größe von Objekten, oder dem Schatten, den Objekte werfen, auf deren Position im Raum rückschließen. Diese Bewertung durch das Gehirn kann man natürlich auch austricksen – wie dies zum Teil bei optischen Täuschungen der Fall ist. Wenn man die oben gestellte Frage sehr kurz beantworten müsste, könnte man sagen: Zweidimensionales Sehen benötigt mehr Abstraktion.
Und eine etwas philosophische Frage zum Schluss: Inwiefern entspricht aus ärztlicher Sicht das, was wir sehen, der Realität?
Die Frage ist nicht nur philosophisch interessant, sondern auch medizinisch relevant. So beschäftigt sich unter anderem die Psychophysik mit den Wechselbeziehungen von physikalisch messbaren Reizen – hier z.B. dem Sehen – und dem wahrgenommenen Reiz.
Hinter dem Begriff „Sehen“ steckt ja viel mehr als nur die Tatsache, dass ich bei meinem Augenarzt auf der Sehtafel auch die ganz klein gedruckten Zahlen lesen kann. Sehen ist die Wahrnehmung von Farbe, das Kontrastsehen usw. – dieser Reiz ist also unglaublich vielfältig. So erfolgt die Bewertung von Farbe ganz wesentlich durch das Gehirn. Erklären kann man dies zum Beispiel an Farbsehstörungen. Jeder von uns hat eine klare Vorstellung davon, was „Rot“ und „Grün“ bedeuten. Menschen, die an einer Rot-Grün-Sehschwäche – also keiner vollständigen Farbblindheit – leiden, können diese Farben nicht in dem Maße wahrnehmen, wie dies Normalsichtige tun. Dennoch haben diese Patient*innen natürlich eine Vorstellung von den Farben Rot und Grün.
Sehen wird gelernt – Seheindrücke werden im Gehirn verarbeitet. Die Zuordnung erfolgt durch verschiedene Strukturen im Gehirn und wird maßgeblich von Emotionen und Erfahrungen beeinflusst. Die Frage nach der „Realität“ tritt damit auch im medizinischen Alltag in den Hintergrund – weil viele Patient*innen die unterschiedlichsten optischen Phänomene wahrnehmen und beschreiben. Für den Arzt, bzw. die Ärztin ist daher weniger interessant, ob dies „real“ ist, sondern vielmehr herauszubekommen, welche Krankheit hinter welchem optischen Phänomen steckt.
Über den Autor:
Thabo Lapp wurde 1981 in Francistown, Botswana geboren und verbrachte seine Schulzeit in Riad, Saudi-Arabien, und Lübbecke, Deutschland. Nach seinem Studium der Humanmedizin in Magdeburg, Leiden, Niederlande und Boston, USA war er an der Klinik der Universität Freiburg sowie am University College und am Moorfields Eye Hospital in London tätig. Er promovierte 2010 und erlangte 2019 seine Habilitation.