Professor Harald Welzer über die Notwendigkeit von Redesign
Statt sich den negativen Nachrichten aus aller Welt widerstandslos zu ergeben, hat der Soziologe Harald Welzer (* 1958, Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg/ aktueller Forschungsschwerpunkt KlimaKultur) die Stiftung Futurzwei gegründet.
Hier werden Geschichten von Menschen gesammelt, die versuchen den Weg in eine bessere, zukunftsfähigere Welt zu ebnen. Zum siebten RecyclingDesignpreis, einem fest etablierten Format im Marta, bei dem innovative Designideen aus recycelten Materialien prämiert werden, sprach Harald Welzer zur Ausstellungseröffnung über die Notwendigkeit der Umnutzung und auch der Abschaffung von Dingen. Seine Beobachtungen und Gedanken zu unserer gegenwärtigen Gesellschaft regen zum Nachdenken an – nicht nur zum Jahresbeginn …
„Das kulturelle Programm unseres Typs von Gesellschaft ist permanente Aufwandserhöhung. Dieses Programm ist nicht durchhaltbar. Es ist ein Programm, was heute schon nicht funktioniert. Das können Sie an allen relevanten Daten zu Umweltthematiken ablesen. Alle entscheidenden Bereiche unseres künftigen Überlebens sind heute schon radikal eingeschränkt, obwohl diese Einschränkungen nur daraus resultieren, dass die westliche Lebenspraxis im Westen über viele Jahrzehnte praktiziert worden ist. Das, was wir heute als Klimawandel erleben, geht zurück auf den wirtschaftlichen Stoffwechsel in den westlichen Ländern oder in Osteuropa von vor dreißig oder vierzig Jahren, als die Welt noch gar nicht globalisiert war. Da hatte sich diese Form des Wirtschaftens, diese absurde Idee des permanenten Wachstums noch nicht über den Planeten ausgebreitet. Mit dieser aktuellen Grundkultur der Aufwandserhöhung kommt man nicht durch das 21. Jahrhundert. Designer klassischer Art kümmern sich um solche Fragen sehr begrenzt, denn die sind ja dafür da, neue Dinge zu designen. Auch wenn sie – was mittlerweile üblich ist – in ihrem Produktdesign so etwas berücksichtigen wie Effizienzgesichtspunkte, ökologische Gesichtspunkte usw., designen sie trotzdem noch Produkte, die zusätzlich in die Welt kommen.
Was ich Ihnen gerade erzählt habe, über Stauforschung an Stelle einer Reduktion der PKWs, über das Institut für Siegelklarheit an Stelle der Abschaffung von Siegeln, die nicht ihren Zweck erfüllen, Klarheit zu schaffen, oder über die Verdickung der Menschen auf der ganzen Welt und dann Schaffung von neuen Medikamenten, damit die Leute wieder dünner werden, das sind natürlich Dinge, die über Design gar nicht zu lösen sind. Da bräuchte man etwas wie „Dedesign“. Das ist eine hübsche Idee, finde ich, dass man Leute damit beschäftigt, herauszukriegen, wie man Dinge eigentlich wieder aus der Welt bekommt. Kriegt man das eigentlich weg, all diese Zeugs, das dazu gekommen ist? Sie alle haben im Durchschnitt 10.000 Dinge in Ihren Haushalten. Das ist total verrückt, das ist absolut irre. Vor 20 Jahren haben Sie einen Bruchteil davon gehabt. Wenn Sie heute in ein Kaufhaus gehen und zum Beispiel etwas so profanes wie ein Gerät zum Kaffeekochen kaufen wollen, dann haben Sie Regalmeter voll von Kaffeemaschinen, ohne dass das Produkt als solches besonders viel interessanter oder wichtiger geworden wäre. Aber nicht nur mehr Kaffeemaschinen, sondern entsprechend Leute, die dann zu einem nach Hause kommen, um einen zu beraten, wie man das Ding benutzt usw.. Also Dedesign: Raus mit dem Ganzen. Wie wird man eigentlich das alles wieder los, was unsere wildgewordene Wachstumskultur produziert hat? Die Stufe vor dem Dedesign ist Redesign.
Also die Verwendung, von dem, was da ist. Das finde ich eine unglaublich starke Entwicklung. Die betrifft nicht nur das Design, sie betrifft eben mittlerweile auch Teile der Architektur. Es gibt Architekten, die sagen: Wir bauen nicht mehr, es gibt genug und die Energie, die da reingegangen ist – die so genannte graue Energie – ist gigantisch groß. Die Müllmengen, die dadurch produziert werden, dass man Häuser abreißt und neue hinbaut, sind gigantisch groß, mehr als die Hälfte der Müllmenge, die in einem Land wie Deutschland anfällt, die Zupflasterung, Versiegelung von Landschaften usw., alles das braucht man nicht. Man braucht nichts Neues zu bauen, genauso wenig, wie man überhaupt noch neue Produkte braucht. Es kommt darauf an Nutzungsinnovationen zu machen. Also nicht Produktinnovationen, sondern das zu innovieren, wie man die Dinge gebraucht. Was man damit anfangen kann, einen anderen Sinn in den Dingen zu entdecken und damit tatsächlich etwas anderes zu machen, als diese permanente Aufwandserhöhung. Eine radikale Reduktion von Aufwand. Es gibt schon genug, mehr brauchen wir nicht. Ein sehr interessanter Gedanke. Auch wenn es für Wirtschaftspolitiker ein rotes Tuch ist, ist es für die Fragestellung wie will man durch 21. Jahrhundert kommen, natürlich exakt die richtige Frage. Wie kommen wir mit diesem Zeugs aus, was wir haben? Wie kommen wir runter von dieser Form der Abhängigkeit, von immer neuen Produkten mit immer kürzeren Produktzyklen, immer schnellerem Verfall usw., usw.?
Die Erfindung des RecyclingDesignpreises geht über das konventionelle Ökodenken und Ökokommunizieren hinaus, in einem für mich ganz wesentlichen Aspekt, nämlich in dem ästhetischen Aspekt.“