Was bedeutet Erfolg in der Welt der Kunst?
Gerade heute ist weniges so unangenehm und mit Tabus besetzt wie Fragen nach Bewertung von eigenem und fremdem Erfolg. Keine ganz einfache Frage: Welches Verhältnis besitzt Kunst zum Erfolg? Und: Gibt es noch andere Maßstäbe für Erfolg als den ökonomischen Marktwert, den ein Kunstwerk erzielen kann? Wenn Erfolg eine Leistung darstellt, welche Leistung erbringt ein Kunstwerk für ein Publikum, das dieses bewundert oder kritisiert?
Zu den beliebten populären und gut erforschten Mythen des Betriebssystems Kunst gehört die Leitidee, dass große Künstler*innen erst durch ein Scheitern zu Lebzeiten und durch Aushalten großer Schmerzen zu ihrem späten Nach-Ruhm gefunden hätten. Der Nichterfolg beziehungsweise das Scheitern an zu hohen Ansprüchen besitzt gerade im Kunstkontext eine eigene und lange Tradition. Wer als Künstler*in scheitert, weil man sich zu viel vorgenommen hat, gilt zumindest als Person, die alles unternommen hat. Wie aber verhält es sich umgekehrt? Kunst gelingt, indem sie erfolgreich ist – mit anderen Worten, wenn sie sich aus der Masse von vielen ähnlich interessanten Werken abhebt. Insofern ist beispielsweise das weit gespannte Lebenswerk von Joseph Beuys unwahrscheinlich erfolgreich, stark verrätselt und sozial nachhaltig bis in die heutige Zeit. Immer noch ist sein Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ historisch nicht erledigt und sorgt für erweiterte Einsichten.
Wie unterscheidet sich Erfolg von der Macht, die entsteht, indem jemand erfolgreich agiert? Und was unterscheidet Erfolg von einem Format, das noch mehr Erfolg verspricht, weil es öffentlich als erfolgreich bewertet wurde? Ist medialer oder materieller Erfolg eine zeitgenössische Muse der Kunst? Oder ist diese Frage etwa Ausdruck von den neidischen Gedanken der vielen Erfolglosen? Gibt es Erfolge, die beispielsweise einer Gesellschaft im Ganzen zu Gute kommen? Gerade in der heutigen, von Erfolgsmeldungen getriebenen Kunst der Gegenwart, wird diese Frage als Problem erkennbar – und damit zum Anlass kritischer Beobachtung.
Wie man von Erfolgen anderer profitiert
Noch einmal gefragt: Wie verhält sich Erfolg zur Kunst? Kunst wird zur Marke, indem sie Erfolg verspricht – wie aber können Künstler*innen (eigenen und fremden) Erfolg thematisieren ohne ihrem Glanz zu erliegen oder sich einfach mit fremden Erfolgen aus der Vergangenheit zu schmücken? Diese Frage ist unangenehm aber heute in Zeiten permanenter Vergleichsmöglichkeiten unumgänglich geworden. Erfolg ist insofern eine relative Größe und ein Parasit aller Mächtigen: Wenn sich große Geister unterhalten, gibt es immer Nachahmer*innen, die ein Stück weit vom bereits erkennbar gewordenen Ruhm profitieren wollen. Gerade Kreative, die sich und ihre eigene Arbeit als wertvoll einschätzen, wissen das nur zu genau – und verschweigen nicht selten, wem sie ihre Ideen zu verdanken haben. Ehrlicher wäre es, nicht zu verschweigen, auf welchen breiten Schultern sie stehen und dadurch groß geworden sind.
Markterfolg oder Erfolg für die Kunst
Erfolg wird heute nicht selten gleichgesetzt mit ökonomischem Erfolg. Wer als Künstler*in hohe Preise erzielt, bekommt gleichzeitig frische Aufmerksamkeit, weiteres Renommee und steigert die Nachfrage nach sich selbst – diese Geschichte der Siegerkunst hat Wolfgang Ullrich vor einigen Jahren minutiös dargelegt. Die breite öffentliche Beachtung, die der Autor damals mit dieser Untersuchung auslöste, gab ihm in jeder Hinsicht Recht – und erhöhte folglich dessen öffentliches Ansehen und Renommee als Wissenschaftler. Als Beuys 1980 in einem Fernsehinterview gefragt wurde, ob ihm Erfolg wichtig sei, antwortete er sinngemäß: Ja, der sei ihm wichtig – jedoch nicht für ihn persönlich, sondern für die Kunst, die das Medium der Veränderung von Gesellschaft darstelle.
Diese typische Äußerung von Beuys gilt nach wie vor – auch wenn sie von den materiellen Erfolgen der Siegerkünstler*innen sozusagen in den Schatten gestellt wird. Der Glaube an die Kunst gebiert keine Ungeheuer, sondern die Sehnsucht nach Erfolg, die die Energie einer Gesellschaft in Gang hält.
Was wir der Gemeinschaft schulden
Erfolg ist heute mehr und mehr zu einer, soziologisch gesprochen, Beobachtung und Bewertung „zweiter Ordnung“ (Niklas Luhmann) geworden. Der Soziologe Sighart Neckel hält fest: „(…) für den Erfolg brauche ich die Beobachtung und die Feststellungen Dritter, die mich als erfolgreich klassifizieren. Auch hier haben wir es mit einer Paradoxie des Erfolgs zu tun, denn der Erfolgreiche möchte sich gerade als unabhängig, als herausgehoben, als autonom erfahren und erleben, indem er aber Wert darauf legt, als erfolgreich klassifiziert zu werden, legt er im Grunde nur Zeugnis von seiner Abhängigkeit ab gegenüber den Wertungen Dritter. Wer dem Erfolg nachstrebt und nur dem Erfolg, zielt vielleicht auf die Unabhängigkeit, verstrickt sich aber in die Abhängigkeit des Urteils Dritter immer tiefer hinein.“
Erfolg ist wohl am Ende auch ein Nebeneffekt des Glücks, geboren worden zu sein. Kann man nicht von Erfolg sprechen, wenn man im richtigen Jahr zur richtigen Zeit in eine sozial erfolgreiche Klasse geboren wurde? Sehr viele glauben, dass Erfolg der gute Stern sei, unter dem man geboren wurde. Erfolg ist heute zunehmend an die Erfahrung gekoppelt, in dem man Eigenes, mit Stolz selbst Geschaffenes und Erarbeitetes über alles in seinem jetzigen Leben stellt. „Mein Leben ist meine Leistung“ – so die sehr einfache Formel. Bewusst polarisierend formuliert: Auf diese Weise werden unmerklich alle anderen und die vielen vermeintlich Erfolglosen, die es gab und gibt endgültig zu „Loosern“, zu den Ausgeschlossenen der Gesellschaft degradiert. Diese Perspektive schadet der Sicht auf den jeweils eigenen Erfolg der Solidargemeinschaft. Erfolg ist im Grunde ein irreführender Begriff, da er die Erfolge Einzelner (gerade auch Künstler*innen) spektakulär überbewertet und die der materiell nicht so Erfolgreichen in einer Gesellschaft unterbewertet.
Der amerikanische Moralphilosoph Michael Sandle äußerte gerade im Interview auf die Frage, was denn falsch daran sei, auf den eigenen Erfolg stolz zu sein: „Dass die Erfolgreichen ihre Verdienste mit einer enormen meritokratischen Überheblichkeit zelebrieren und darüber vergessen, welche Rollen Glück und Schicksal dabei spielen. Sie vergessen außerdem was sie der Gesellschaft schulden, der sie angehören und die die Voraussetzungen für ihren Aufstieg geschaffen hat. Aus diesem Grund haben wir den Bezug zum Gemeinwohl verloren. Weil wir glauben, dass wir alles alleine geschaffen haben, dass wir vollkommen selbstständig handeln (…).“(aus: Süddeutsche Zeitung, „Die Lüge vom gemeinsamen Boot“, v. 22. 9. 2020, S. 9).
Was kann man aus diesen Überlegungen zum Erfolg am Ende lernen? Ein bekanntes Sprichwort heißt: Rede nicht über Erfolg, sondern lasse Taten sprechen. Mit anderen, heutigen Worten: Feiere nicht unbedingt zuerst deine eigenen Erfolge, sondern erkenne vielmehr, dass eigener Erfolg immer auch auf den früheren Leistungen anderer beruht. Erst die vielen Anregungen, Inspirationen, die bekannte und weniger bekannten Erfolge anderer sind es, denen wir heute Lebenden viel verdanken. Erfolg beruht nicht nur auf einer einsamen, individuellen Leistung, sondern ist ein Produkt aus vergangenen und gegenwärtigen, eigenen und fremden Leistungen. Man ist selbst nur so erfolgreich wie das Team, in dem man Erfolge auch mit anderen zu teilen bereit war.