Was für ein Tag! Dr. Sabine Ladwig blickt zurück auf das Marta Fest
Einen erneuten Besuch im Marta Herford hatte ich schon lange im Blick. Da bot es sich geradezu an, mit meinem Wochenendbesuch am Samstag (22.8.) zum Jubiläumsfest zu fahren. Diesmal stand nicht der fachliche Aspekt im Vordergrund, wir wollten einfach den Tag genießen.
Eigentlich waren wir zu früh dran, denn das offizielle Programm ging erst um 16 Uhr los. Machte aber nichts, denn so hatten wir die Gelegenheit, gleich einmal persönlich die Pressesprecherin des Marta kennenzulernen und die Ankunft von EVA & ADELE zu erleben. Ein visuelles Ereignis – diesmal leuchteten die beiden ganz in Rot.
Wir beschlossen, uns erst einmal in den beiden aktuellen Ausstellungen umzuschauen. Auf chinesische Landschaften hatte meine Freundin zunächst wenig Lust. Nach einer Kehrtwende zur Hommage „An Jan“ ließ sie sich dann doch auf „Harmonie und Umbruch“ ein und war von der Schönheit der zeitgenössischen Arbeiten sehr angenehm überrascht. Die Kunstwerke kamen wieder einmal wunderbar in den Gehry-Galerien zur Wirkung und Entfaltung. Von der kleinen Holzkiste bis zur raumgreifenden Installation ist hier Landschaft thematisiert. Da gibt es über fett schwarz glänzend Skulpturalem am Boden eine aufwärts ziehende, ja schwebende Wandzeichnung von Julia Steiner : Wie feder(wolken)leicht doch ein zart aufgetragenes Schwarz wirken kann. An anderer Stelle ein fast bedrohlich überdimensioniertes schwarzes Mobile von Sonja Vordermaier.
Oder eine hochästhetische und poetische dreiteilige Videoarbeit von Isaac Julien mit einem Spiel zwischen fantastischem Traum und schnöder Realität. Und, siehe da: Als ich – fasziniert von Nadja Schöllhammers farbiger Papierinstallation „Katarakt“ – noch einmal zurückging und um die Ecke bog, standen EVA & ADELE in ihren roten Kostümen vor dem Kunstwerk – farblich ideal zueinander passend! Die Gelegenheit beim Schopfe packend, fragte ich sie, ob ich ein Foto machen dürfe. Technisch perfekt sind die beiden Aufnahmen in der Eile nicht geworden, aber immerhin eine schöne Erinnerung. Und das Künstlerpaar hatte selbst Interesse daran.
Anlässlich der offiziellen Eröffnung des Festprogramms fuhr dann der Museumschef himself, Roland Nachtigäller, gut gelaunt in der Badewanne von Vespaqua vor – allerdings ohne Wasserfüllung – und eröffnete auf der Bühne zusammen mit Festival-Berater Caspar de Vries und Bürgermeister Tim Kähler das Fest. In dieser lockeren Atmosphäre setzte sich der Tag fort, wobei die eine oder andere Kunstaktion durchaus den Atem stocken ließ.
Heftig in der Anmutung: die bewegungslose Performance von Chantal Michel an Gehrys bewegter Außenwand des Museums. Plötzlich, zufällig sah man oben ein blau leuchtendes Gewand. Außer Füßen und Haarmähne war und blieb von der Künstlerin nicht viel zu erkennen, sie blieb dort oben anonym, ein irritierend schöner Fremdkörper am Bau.
In ihren Bann zog uns auch die Künstlergruppe Extimo mit „Liegen0°“: Das Paar bewegte sich atemraubend und vor Anstrengung stöhnend auf dem Asphalt, rollte und robbte über den Boden. Um-, über-, neben-, aus- und aufeinander stoßende, reagierende Körper zu musikalischen Rhythmen mit aggressiver Note. Das sah nicht nur nach Raumgreifen und -besetzen, sondern auch nach Geschlechterkampf aus. – Ein Stück weiter wurde die Straße getapet. Eben von den Asphalt Piloten Betretenes, Betanztes wurde kurzfristig mit Tapes gekennzeichnet, Trittmuster erzeugt, Spuren sichtbar gemacht und schnell wieder entfernt. – Zwischendurch nahmen wir kulturpolitische Fragen auf Zelten des Konzeptkünstlers Colonel wahr, waren aber nicht in der Stimmung für eine ernsthafte Diskussion.
Sehr imposant dann das Freilufttheater der Gruppe Tuig. An der Konstruktion jenseits der Bühne vor dem Parkhaus wurden durch Drehen eines riesigen Rads überraschenderweise Möbel zu Marionetten. Auch hier schon nachmittags ein zahlreiches Publikum. Da wir kein „Sitzfleisch“ hatten, ließen wir die Aktion nur partiell auf uns wirken, sahen nicht alles und verstanden das Geschehen dann offenbar nur annäherungsweise. Ich assoziierte so munter vor mich hin, um später im Programmflyer zu finden: Es handelte sich um „Schraapzucht“, niederländisch für Raffgier, aha. Intention und Rezeption stimmen nicht unbedingt überein, wenn man sich nicht vorbereitet hat … Jedenfalls rief die Aktion ein diffus unangenehmes Empfinden hervor. Eine zweite Aufführung später im Dunkeln machte das beleuchtete Geschehen regelrecht gespenstisch beeindruckend.
Nach vielem Gehen, Stehen und Schauen war doch eine längere Sitzpause fällig. Dafür bot sich das bevorstehende Konzert der renommierten Nordwestdeutschen Philharmonie gerade an. Und wer nahm zufällig auf den Stühlen hinter uns Platz?: EVA & ADELE, nicht zu fassen … Dann gab es ganz entspannt Klassik, Operetten- und Filmmusik mit Einlagen der wunderbaren Sopranistin Ilia Papandreou. Bemerkenswert sympathisch der Dirigent Johannes Klumpp: Wortreich und mit viel Witz stimmte er das Publikum auf die jeweils folgende Nummer ein. Sein ausgeprägtes Temperament, sein Schwung übertrug sich, am liebsten hätte er zum letzten Stück getanzt! – Bei einem Blick nach hinten sahen wir, dass Chantal Michel sich nun endlich bewegen durfte – ihr luftiger Platz war leer. Nach gefühlten fünf Stunden hatte sie immer noch an der Wand gehangen bzw. in luftiger Höhe gesessen und wir hatten uns schon ernsthafte Sorgen um ihren gesundheitlichen Zustand gemacht. Eine solche Aktion ist wohl nur tief meditierend durchzuhalten.
Marginalie beim kleinen Hunger zwischendurch: Noch nie habe ich so schnell am Stand bestellte Fritten serviert bekommen – und das, ohne vorher bei den Friet Cowboys scharf mit Kartoffeln schießen zu müssen – eine treffende Spaßaktion für die eher Jüngeren. Ganz bei der Sache waren Kids und Jugendliche auch während der Malaktion vor dem Parkhaus. Abends hing dann eine Vielzahl ihrer Arbeiten an der Fassade. Überall sah man Kinder: in der Erstklässlergruppe mit Lehrerin vor Kunstwerken, draußen ausgelassen in sausender Badewanne mit Spritzpistole aufs Publikum zielend oder auf Papas Schultern aufmerksam dem Konzert lauschend. Viele Familien waren bis zum Ende des Feuerwerks unterwegs. Toll, wenn die Kleinen so spielerisch den Umgang mit Kunst und Kultur ausprobieren können.
Zu der flotten Retro-Musik, die der DJ von Vespaudio auflegte, wagte niemand auf der Goebenstraße ein Tänzchen, schade. Irgendwann abends legten sich die Töne des Plattentellers und von links und rechts fing es zunächst leise an, rhythmisch zu tröten und zu tönen. Sirenen oder Sirenen? Mythische Wesen oder laute Technik? Herrlich schräg kam Mécanique Vivante mit der Komposition „le Chant des Sirènes“ daher. Im Schritttempo rückten zwei Gefährte mit blütenartig angeordneten, leuchtenden Lautsprecheraufbauten zum zentralen Museumsplatz vor. Dann noch zwei Posaunen von hinten, Percussion vorne von der Bühne, unglaublich … Endgültig getoppt vom einsetzenden Rhythmus des Feuerwerks. Leise glimmend begann es – war das schon alles? –, um sich kontinuierlich zu steigern und ausgesprochen zauberhafte Formen und Farben am Nachthimmel anzunehmen. Was für ein auditiver Spaß und visueller Genuss! Das ging nicht ohne staunende Ohs und Ahs ab.
Das gesamte Fest glänzte mit perfekter Organisation und Realisation, angefangen bei praktischen Fragen wie Parkplätzen bis hin zur Gesamtinszenierung. Nicht alle Events konnten wir bis kurz vor Mitternacht sehen, das ist an einem solchen Tag gar nicht möglich. Aber für uns waren die Dinge im Flow. Die Menschen waren nett, gut gelaunt, kommunikativ aufgelegt. Schön, wenn man etwas davon in den Alltag übertragen kann. Wir haben eine Fülle an Impressionen ins Münsterland und nach Göttingen mitgenommen, vieles wird unvergesslich bleiben: Schönes, Irritierendes, Provozierendes, Schrilles, Schräges und Spektakuläres. Keine Lobhudelei : ein großartiger Tag zum Jubeln.
Text und Fotos von Sabine Ladwig.
Sabine Ladwig ist promovierte Kunsthistorikerin. Nach einem Volontariat in der Denkmalpflege und einer Ausbildung zur Verlagskauffrau übernahm sie verschiedene Tätigkeiten in den Bereichen Denkmalpflege, Buchhandel und Verlagswesen. Seit 2001 arbeitet sie als selbstständige Lektorin und Korrektorin. Darüber hinaus ist sie für das Magazin Westfalium als Kulturjournalistin tätig.
Kontakt: sabine.ladwig@t-online.de
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