Wem gehören die Bilder (nicht)?
Das Urheberrecht entstand zu Beginn des 19. Jahrhundert, zusammen mit der Moderne, der Aufklärung und dem Liberalismus. Spirituelle Heilsversprechen und Heilserfahrungen verlagerten sich auf die Kunst. Begriffe wie Schöpfung und Schöpfer prägen bis heute die Definition von Urheber und Werk.
Die aktuellen Probleme zur Auslegung von Urheber- und Nutzungsrechten, zur Definition privater und kommerzieller Nutzung, zu Fragen der Vergütung und Verwertungen und damit insgesamt zu Fragen der Kontrolle über die Bilder, resultieren aus den Möglichkeiten und dem Urgrund des Internets, digitale Daten zu verbreiten und auszutauschen.
Der Wechsel von analoger zu digitaler Produktion vollzog sich nicht innerhalb weniger Jahre und führte auch nicht zu einer unmittelbaren Existenzgefährdung ganzer Branchen. Bezahlbare Scanner, CD-Brenner und Farbdrucker ermöglichten auch privaten Nutzern, sich als Content-Produzenten zu betätigen. Qualitativ blieb dieser Privat-Content allerdings auf überschaubarem Niveau und bildete keine Gefahr für professionelle Branchen: Wir erinnern uns mit Schaudern an die Wurfsendungen von Handwerksfirmen und Solarien im Briefkasten.
Die ersten Generationen der Digitalkameras mit zwei oder drei Megapixel Auflösung genügten ebenfalls nur den Privatnutzern. Professionelle und kommerzielle Fotografen setzten noch für mehrere Jahre auf hoch aufgelöste Scans analoger Produktion. Erst die Qualitätssprünge in der Digitalfotografie verursachte die bis heute andauernde Branchenkrise der Berufsfotografen: Eine rasant wachsende Zahl digitaler Bilddaten wanderte von den vielen singulären Festplatten der Digitalfotografen auf wenige und für alle Nutzer erreichbare Fotoportale im Internet.
Eine Zäsur für den gesamten Bildbereich war das Jahr 2007, als mit dem ersten iPhone die Ära der Smartphones begann. Entscheidend bei diesen Geräten war und ist nicht die Bereitstellung von Techniken, die teilweise seit Jahrzehnten in Gebrauch waren, sondern die Intelligenz dieser Geräte, die mit Telefonie nur noch so viel zu tun haben, dass man neben den Unmengen an Anwendungsmöglichkeiten tatsächlich auch Telefongespräche mit ihnen führen kann (Stand 2018).
Der Urheber als Cyborg
Technisch sind Smartphones schon seit Jahren in der Lage, Fotos in einer Qualität herzustellen, die wenige Jahre zuvor hochwertigen Digitalkameras vorbehalten waren. Mittlerweile wird es den Anwendern nahezu unmöglich gemacht, selbst bei totaler Abwesenheit von fotografischen Grundkenntnissen ein technisch unbrauchbares Foto zu schießen. Dieser Ausschluss menschlicher Fehlertoleranz lässt zumindest die These zu, dass nicht der Fotograf, sondern in erster Linie das Smartphone die gesamte Kontrolle über den fotografischen Prozess übernommen hat. Könnten demnach nicht eher das Team aus Kameraentwicklern und Programmierern eine geistige – urheberrechtlich relevante – Schöpfung des Werkes für sich in Anspruch nehmen als jeder menschliche Anwender? Noch beschränkt sich die Funktion der automatischen Gesichtserkennung auf die Hervorhebung für die optimale Porträtausgabe. Könnte zukünftig diese Funktion nicht auch malerische, erhabene und schöne Motive hervorheben, ja sogar automatisch den Auslöser aktivieren, sobald man sein Smartphone nur in der Waagerechten bewegt?
Die Kernfrage lautet also: Wer oder was ist hier der Urheber? Nutzer, die ihren Smartphones derart die Kontrolle über den gesamten fotografischen Prozess von der Motivauswahl bis zum fertigen Bild anvertrauen, könnte man schon heute eher als eine evolutionäre Frühform von Cyborgs bezeichnen, deren Kamera nur noch nicht im Körper implementiert ist. Diese Anwender haben nicht mehr viel mit den Fotografen zu tun, die unter den Möglichkeiten an Brennweiten, Blendenstufen und ISO-Werten eine subjektive Auswahl treffen. Die im Liberalismus fest verankerte Idealvorstellung des freien Willens von freien Individuen wird nun auf die perfekten, fehlerlosen Algorithmen der Smartphone-Kameras übertragen. Das Selbstverständnis der festgelegten Prozesse und ihren Einfluss auf die ursprüngliche Idee der Urheberschaft wird nicht hinterfragt, obwohl kein Fotograf in der Lage wäre, die Ergebnisse der Smartphone-Software mit manueller Fototechnik zu reproduzieren. Umgekehrt würde ein nur am Smartphone geschulter Instagram-Fotograf nicht in der Lage sein, die Entscheidungen des manuell arbeitenden Fotografen auch nur ansatzweise nachzuvollziehen oder gar zu reproduzieren. Ein Beleg dieser These bietet die Instagram-Sammlung „InstaRepeat“, in der identische Motive der Nutzer gezeigt werden. Die Zuordnung von Werken zu bestimmten Smartphone-Generationen eines Herstellers dürfte weitaus einfacher sein als eine Zuordnung zu den menschlichen Individuen, die diese Fotos geschossen haben.
Schon heute werden übrigens Designer, unabhängig vom konzeptuellen und gestalterischen Aufwand ihrer kreativen Tätigkeit, nicht mehr als Urheber anerkannt. Sie gelten vielmehr nur noch als Anwender. So sah es jedenfalls das OLG Hamm in seinem Urteil vom 24.08.2004 (ger. Az.: – 4 U 51/04) zu einem Plagiatsvorwurf bezüglich einer Webseite: „Die von § 72 Urheberrechtsgesetz geforderte Bildeinrichtung fehlt bei programmierten Grafiken. Denn das Computerprogramm bringt die Grafik selbständig hervor. Der schöpferische Akt liegt in der Programmierung und nicht in der Bildherstellung. Schutzgegenstand kann bei solchen Computergrafiken daher nur das Programm selbst sein, das das entsprechende Computerbild hervorbringt […] Beim Lichtbilderschutz … ist es aber die eigenständige Bildeinrichtung durch den Lichtbildner, die schutzbegründend wirkt. Daran fehlt es, weil das Computerbild eben unmittelbar durch das zugrundeliegende Programm hervorgebracht wird, ohne eigenes selbständiges Zutun dessen, der den Computer bedient.“
Die Causa Wagner
Angesichts des mittelmäßigen Scans als Streitobjekt zwischen den Reiss-Engelhorn-Museen und Wikimedia um die Reproduktion des in Museumsbesitz befindlichen Wagner-Bildes, wären die Vertreter von Wikimedia gut beraten, sich das Urteil zur Computergrafik genauer anzusehen. Kombiniert mit einem Fotografieverbot als Hausrecht wurde hier bekanntlich ein – ursprünglich für Fotos ohne künstlerischen Eigenanspruch ins Leben gerufener – Lichtbildschutz in Stellung gebracht, der eine Geltung von 50 Jahren nach Erstveröffentlichung genießt. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Vorgehensweise des menschlichen Reproduktionsfotografen mit den nichtmenschlichen Algorithmen des Smartphones übereinstimmt, beide haben sich nur an den Parametern eines technisch perfekten Fotos zu orientieren.
Das Wagnerbild aus den Reiss-Engelhorn-Museen habe ich zur Grundlage einer eigenen Werkinterpretation gemacht und anschließend Wikimedia gestiftet.
Das Bild soll folgende Fragen aufwerfen: Welchen Werkcharakter besitzt eine Reproduktion, welche Rechte kann man aus reproduzierter Kunst ableiten und wer darf über die Partizipation bestimmen? Ist eine dokumentarische Fotografie, die ein Werk festhält, gleichrangig mit einer pinselgenauen Kopie oder einem in historischer Technik hergestellten Reproduktionsstich? Was verbindet die Reproduktion mit dem reproduzierten Werk, ist es die Wiedererkennbarkeit der Technik, die Wiedererkennbarkeit des Bildinhalts? Die Verpixelung als Methode, derer ich mich bei meinem Bild bediene, dient üblicherweise zur Unkenntlichmachung oder der Zensur. Zugleich stellt sich jedoch die Frage, wie genau, detailliert und wiedererkennbar ein Digitalisat sein darf, um das Nutzungsrecht herauszufordern.
Dass fotografisch reproduzierte Reproduktionen keinesfalls unveränderliche, sondern eigenständige Bildidentitäten erzeugen, lässt sich anhand einer Fotoreihe belegen, an deren Ende die nicht zu beantwortende Frage bleibt, wer oder was das letzte Bild erzeugt hat.
Die Argumentation einer Urheberrechtsverletzung auf Grundlage des Lichtbildschutzes funktioniert freilich nur mit der wenig überzeugenden Annahme einer Aufladung des Digitalisats im Sinne von Benjamins „Aura des Kunstwerkes“, so als könne diese qua Fotoapparat vom Original auf die Reproduktion übertragen werden. Wäre die werkimmanente Schöpfungshöhe der entscheidende Parameter, der in der Regel die Grundlage des Urheberrechts bildet, wäre jeder Fotograf, Kopist oder Reproduktionsstecher kein Schöpfer im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Wäre der betriebene Aufwand zur Herstellung der Reproduktion maßgeblich, stünde der pinselgenau arbeitende Kopist neben dem Reproduktionsstecher, während man jedem Fotografen allenfalls die fachgerechte Bedienung der für seine Arbeit notwendigen Apparate zubilligen würde. Oder ist entscheidend, in welcher Rolle sich der jeweilige Akteur sieht – und gesehen wird?
Die willkürliche Interpretation des Gesetzestextes hat aus meiner Sicht nichts mit dem Werkcharakter der Reproduktion, nichts mit der Funktion des fotografischen Werkes und nichts mit dem beruflichen Selbstverständnis des dokumentierenden Fotografen zu tun, sondern allein mit dem Kontrollverlust über das Bild selbst. Ich sehe die Gefahr einer Wiederkehr historischer Bildverbote, lediglich neu interpretiert dank der Freiräume einer bürgerlichen und aufgeklärten Rechtsauffassung, die geschaffen wurden, um derartige Instrumentalisierungen für immer hinter sich zu lassen.
Freiwillige und aufgezwungene Kontrollverluste
Unbestritten führt das Zusammenspiel aus Digitalisierung und Internet angesichts knapper werdender Budgets für den Kulturbereich zu einer Verschärfung der Interessen- und Verwertungskonflikte aller Akteure im Bildbereich. Rechteinhaber instrumentalisieren diese Rechte augenscheinlich zum Zwecke anachronistischer Herrschaftsansprüche (Reiss-Engelhorn-Museen) mit dem Argument eines scheinbar rechtsfreien Internets (Kontextualiserungsargumente/Wagner auf Nazi-Webseiten, Rechtsmissbrauchsvorwürfe/Wikimedia-Scan,Drittverwertung), zum Zwecke der Einflussnahme unliebsamer Veröffentlichungen (Ullrich:„Siegerkunst“; Henning/Förg) oder als Geschäftsmodell (Abmahnungen durch Bildagenturen/Getty vs. Highsmith).
Mit der Eigendynamik des Internets hat sich eine völlig veränderte Welt bezüglich Nutzung und Verbreitung digitaler Inhalte gebildet. Das Internet hat für alle Akteure Möglichkeiten der Präsentation, Distribution, Partizipation und ja, auch der Vermarktung und Verwertung geschaffen, die vor 30 Jahren undenkbar waren. Jeder Bildproduzent kann heute Digitalisate all seiner Werke innerhalb von Sekunden der ganzen Welt präsentieren. Wohl kein Bildproduzent und Verwerter, der die vermeintlich „ungezügelte Selbstbedienungsmentalität“ beklagt und Regulierungen sowie strenge Kontrollen fordert, würde selbst auch nur einen Tag auf dieses dezentrale Datennetz verzichten oder das Recht nutzen wollen, auf die Möglichkeiten von Websites, Blogs und Social-Media-Marketing ganz einfach zu verzichten.
Als zeitgemäße Antwort auf diese Entwicklung würde ich gern als Idee für den „Herforder Appell“ einbringen wollen, die Möglichkeit einer medienspezifischen Trennung der Nutzung zu fordern. Warum nicht beispielsweise alle Digitalisate bis zur Kantensumme der langen und kurzen Seite von, sagen wir mal, 2800 Pixeln (z. B. 1600 x 1200 Pixeln) als CC-by-Lizenz der Welt der Nutzer, der Institutionen und der Kunstwissenschaft frei zur Verfügung stellen und Wasserzeichen oder andere Hinweise der Rechteeinschränkung nur noch als Ausnahme von dieser Regel zu ermöglichen? Wer hier die Ausbeutung oder Vogelfreiheit seiner schöpferischen Leistungen befürchten sollte, werfe den ersten Stein auf seinen eigenen Router.
Hinweis
Nils Pooker, geb. 1965, hat anstelle eines möglichen Kunststudiums die Gemälderestaurierung gewählt, durchlief ein paar Semester Kunstgeschichte und Werbewirtschaft, war anschließend freiberuflich als Auftragskünstler und Gemäldekopist sowie weitere Jahre als Webdesigner und Webentwickler tätig. Heute arbeitet er wieder als freier Künstler.
One Reply to “Wem gehören die Bilder (nicht)?”
Comments are closed.