Wer trifft den Farbton?
Die aktuelle Ausstellung „Ersehnte Nähe“ mit den beiden südafrikanischen Künstlern Neo I. Matloga und Singarum J. Moodley wird von einer Publikation begleitet, für die die Autorin Luyanda Mpangele, lebt und arbeitet in Johannesburg, den folgenden Essay verfasst hat. Darin bringt sie die Werke beider Künstler in einen historischen wie politischen Zusammenhang und hebt dabei ihre Bedeutung für die Wahrnehmung der Identität der Nicht-Weißen Bevölkerung Südafrikas hervor.
Das Südafrika zur Zeit der Apartheid war getränkt mit den Tränen Schwarzer Mütter und Väter, die vieles entbehren mussten, weil sie monatelang in den Minengebieten arbeiteten – ihre Familien sahen sie höchstens ein- oder zweimal im Jahr. Meist wurden People of Color in dieser Zeit nur fotografiert, wie sie in raucherfüllten Straßen davonrannten, um Gummigeschossen zu entkommen. Ihre geschundenen Körper wurden in Bildern festgehalten, die um die Welt gingen. Der greifbare Schmerz dieser Menschen wurde öffentlich zur Schau gestellt, ohne dass sie irgendein Mitspracherecht hatten, wie die Medien sie zeigten.
Singarum J. Moodleys Studio als Ort des Widerstands
Singarum J. Moodley, ein ehemaliger indischer Maschinenarbeiter aus der Schuhindustrie, der in Pietermaritzburg lebte, eröffnete 1957 ein Fotostudio, das für die Nicht-Weiße Bevölkerung zu einem Ventil mit kathartischer Wirkung wurde. Nicht nur fing Moodley die Armen und die Arbeiterklasse von ihrer besten Seite ein, herausgeputzt in feiner Kleidung – ihrer „baswenkile“ –, seine Fotografie gab ihnen auch ihre menschliche Würde wieder. Kitty’s Studio – so wurde das Fotostudio liebevoll genannt – wirkte im Schatten eines allgegenwärtigen Spektrums aus Angst, auferlegter Segregation und Polizeigewalt, womit die Auslöschung der Schwarzen Identität erzwungen werden sollte. Die Aufnahmen, die in Moodleys Fotostudio entstanden, gaben den People of Color die Möglichkeit, sich feierlich und würdevoll darzustellen, so wie es ihnen das Regime nicht zugestand. Die Porträts waren eine Form des Widerstands gegen die damalige Autorität, die das Schwarze Leben lediglich auf das des Leidens herabsetzte. Mit seinem Blick durch die Linse der Kamera zeigte Moodley die Porträtierten, deren vielschichtiges Dasein bis dahin noch nicht einmal wahrgenommen wurde, mal lächelnd, posierend oder tanzend und machte sie damit unsterblich.
Neo I. Matloga: Der auflehnende Geist der Revolution
Die Stimmung, die in Moodleys Fotografien zum Ausdruck kommt, ist durch Jahre der Unterdrückung hervorgerufen worden. Nun, fast fünfzig Jahre später, tritt dieses Gefühl bei Neo Matloga in seinem neuen Werkzyklus als der sich auflehnende Geist der Revolution wieder in Erscheinung. Dieser verarbeitet das Schwarze Leben bewusst und kompromisslos in Form von Collagen und sagt dazu: „Die Schwarze Erfahrung ist vielschichtig. Meine Aufgabe ist es, Kunst zu erschaffen, die dies zum Ausdruck bringt.“ Geboren wurde Matloga 1993, einem Jahr der Ungewissheit für Südafrika, in dem die Schrecken der Vergangenheit das gerade befreite und wiedererwachende Land noch überschatteten. Südafrika war zu diesem Zeitpunkt in einem Schwebezustand gefangen, zwischen dem Gewesenen und dem, was die Zukunft offenhielt. Heute lebt und arbeitet Matloga in Amsterdam, seine Kunst ist jedoch vor allem von einem Gefühl der Sehnsucht nach seinen Wurzeln in Limpopo geprägt.
Collagen zwischen Realität und Fantasie
In seinen großformatigen collagierten Malereien nimmt Matloga People of Color durch eine vielschichtige Linse in den Blick und zeigt sie als deformierte und verzerrte Figuren; losgelöst von Raum und Zeit erscheinen sie als Teil intimer Szenen Schwarzer Liebe, heimlicher Momente Schwarzer Freude und verhaltener Bekundungen von Zuneigung. Die Installation „Tee e tala (Grüner Tee)“ befindet sich in einer Raumecke der Galerie. Sie besteht aus einem Tisch mit Stühlen, umgeben von Matlogas charakteristischen zusammengesetzten Gestalten, die auf zwei collagierten Malereien an der Wand erscheinen. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen und die Betrachtenden werden geradezu eingeladen, sich dazuzugesellen und zu einem Bestandteil der Arbeit zu werden.
Identitäten fern gesellschaftlicher Konventionen
Mit seinem wiederkehrenden Thema der Intimität beschäftigt sich Matloga noch eingehender in „Ke o fa pelo yaka (Ich schenke Dir mein Herz)“, „Ke diile phoso (Ich habe einen Fehler gemacht)“ und „Ompile korobela (Du hast mir einen Liebestrank verabreicht)“. Die Werktitel sind ebenso ausdrucksstark wie die dargestellten intimen Situationen, bei denen Matlogas Gestalten zärtliche Momente erleben und dabei miteinander zu verschmelzen scheinen. Bei genauerem Hinsehen offenbaren die verwobenen Körper die wahrhaftige Realität der Schwarzen sexuellen Erfahrung, die, wie jede andere auch, vor allem von enthemmter Leidenschaft bestimmt ist. Die Überlagerung von weiblichen und männlichen Zügen macht die Betrachtenden zunächst stutzig und veranlasst sie, sich mit ihrer tief verwurzelten Auffassung von race (1) als ethnisierende Stereotype und Gender auseinanderzusetzen. In „Sontaga (Sonntag)“ wird man aus derartigen intimen Schauplätzen herausgerissen und findet sich in einer Szene wieder, die wie eine Momentaufnahme nach dem sonntäglichen Kirchgang wirkt. Hier begegnet man einer Versammlung von collagierten Figuren, die sich locker zu unterhalten scheinen. Im Hintergrund ist eine Gestalt zu erkennen, die uns durch ein Fenster beobachtet – die Betrachter*innen sind nun Beobachtende und Beobachtete zugleich.
Was bedeutet Schwarz-Sein?
In der Gruppenausstellung „Ersehnte Nähe“ im Museum Marta halten die Bilder von Matloga und die Fotografien von Moodley in der Zusammenschau uns als Betrachtende einen Spiegel vor und adressieren unsere tiefsitzenden Vorurteile darüber, was es bedeutet, in Südafrika Schwarz zu sein. Beide Darstellungsmodi präsentieren Schwarz-Sein als etwas Kontur- und Zeitloses, womit das, was wir zu wissen glauben, infrage gestellt und – ähnlich dem Collageprozess des jungen Künstlers – in unserer Vorstellung eine neue und zweifellos unangenehme Realität rekonstruiert wird. Das Licht, das diese beiden Künstler auf die Schwarze südafrikanische Erfahrung durch die Jahrhunderte werfen, lässt nur bruchstückhaft erkennen, wie Schwarz-Sein in der Welt gelebt wird. Die Erlebnisse der Menschen ähneln sich so sehr und sind doch so unterschiedlich. Diesem Gedanken gehen Virginia Mapedzahama und Kwamena Kwansah-Aidoo in ihrem Essay „Blackness as Burden? The Lived Experience of Black Africans in Australia (Schwarz-Sein als Bürde. Die gelebte Erfahrung von Schwarzen Afrikanern in Australien)“ von 2017 nach, wo sie deutlich hervorheben: „[…] Schwarze Menschen sind nicht alle gleich und erleben ihr Schwarz-Sein auch nicht auf dieselbe Art und Weise. Schwarz-Sein hat demnach vielfältige Seiten und die Schwarzen Erfahrungen wie auch die Schwarze Subjektivität sind divers.“
Schwarz-Sein als bunte Vielfalt
Moodleys Schwarz-Weiß-Fotografien und Matlogas monochrome Farbpalette wagen es, einer Welt – die nicht müde geworden ist zu deklarieren, dass die Schwarze Erfahrung so farblos ist wie die Farbe Schwarz selbst – das Schwarz-Sein in all seinen metaphorischen Farbschattierungen vorzuhalten. Mit ihrem Oeuvre werden wir in das breite Spektrum Schwarzen Lebens eingeführt. Die namenlosen Gestalten werden in zwei unterschiedlichen Medien verewigt, wobei sie sich in Moodleys Fotografien den Vorurteilen der Ära der Apartheid widersetzen, hingegen in Matlogas Bildern anhand des Collageprozesses neu erdacht werden. Während Moodleys Porträts die Frage aufwerfen, wer diese Menschen wohl sind, scheinen Matlogas Werke unverhofft eine Antwort darauf bereitzuhalten: „Der Prozess hat eine therapeutische Dimension und ist daher für mich wichtig, denn ich sehe mich als den Hüter meiner eigenen Geschichten. Ich kann sie nach Belieben wieder aufgreifen, korrigieren oder neu erfinden.“ Mit dem Schwarz-Sein an sich verhält es sich ähnlich und darin liegt die Alchemie begründet.
Literaturverweise:
Mpangele, Luyanda: „Uncovering the Grey Area.” In: SOMETHING WE AFRICANS GOT, 2021.
Mapedzahama, Virginia; Kwansah-Aidoo, Kwamena: „Blackness as Burden? The Lived Experience of Black Africans in Australia.“ Dissertation, The University of Sydney & Swinburne University of Technology, 2017, S. 3.
Anmerkungen:
Der Text wurde von Daniela Heinze aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt und von Chidera Nitsche sprachlich geprüft.
Anm. (1) der Übersetzerin: Dieser Text folgt bei der Wortwahl und Schreibweise dem Glossar für diskriminierungssensible Sprache von Amnesty International. Der Begriff race lässt sich nicht ins Deutsche übersetzen, da dieser nicht mit dem deutschen Wort „Rasse“ gleichgesetzt werden kann, das mit einer biologischen Unterscheidung verbunden wird. Vielmehr handelt es sich bei race um eine soziale, durch Rassismus strukturierte Zuschreibung, die menschengemacht ist und von Institutionen aufrechterhalten wird.
Über die Autorin:
Luyanda Mpangele lebt und arbeitet in Johannesburg als Autorin, bildende Künstlerin und Redakteurin. Zurzeit ist sie als Copywriterin in einer Digitalagentur tätig. Ob sie nun Tinte auf Papier, Text unter Bildmaterial oder den Pinsel auf die Leinwand setzt – immer steht ihre Kreativität im Vordergrund.