„Zu wenig Ding und doch noch Ding genug“: „La Palla“ von Luciano Fabro
Diejenigen, die sich dem Marta aus Richtung Bahnhof kommend genähert haben, suchten sicherlich schon mal ihr eigenes Abbild in der riesigen, blank polierten Edelstahlkugel, die auf einer Verkehrsinsel in Museumsnähe thront. Es handelt sich dabei um das Werk „La Palla“ des italienischen Künstlers Luciano Fabro.
Auch wenn es kein Bestandteil der Sammlung Marta ist, sind Luciano Fabros (*1936, + 2007) „La Palla“ (Der Ball) und das Museum Marta für mich untrennbar miteinander verbunden: Wie ein imposanter Vorbote von zeitgenössischer Kunst markiert dieser Ball den Beginn des Marta-Viertels und spielt mit unserer Wahrnehmung. Als ich vor über sechs Jahren das erste Mal Herford besuchte, umkreiste ich ihn ganz fasziniert als Beifahrerin. Es brauchte jedoch ein paar Augenblicke, bis ich mich in seiner Spiegelung wiedergefunden habe, denn seine kugelige Form verzerrt die Umgebung und lässt die Abstände viel größer erscheinen als sie eigentlich sind. Bereits 2003, also zwei Jahre vor der Eröffnung des Museums Marta, hatte sich die Stadt Herford mit dem Werk „La Palla“ erfolgreich an dem Wettbewerb des Landes Nordrhein-Westfalen „Stadt macht Platz – NRW macht Plätze“ beteiligt und zuvor konnte der damalige Gründungsdirektor Jan Hoet den bekannten, italienischen Arte Povera-Künstler Luciano Fabro für die Realisierung gewinnen.

Zwischen Balanceakt und Poesie
Obwohl die tonnenschwere Skulptur einen Durchmesser von 3,5 Metern aufweist, scheint sie fast schwerelos auf einem wie zufällig hingeworfenem Spruchband aufzuliegen. Auf diesem Spruchband, das wie ein schlaufenartiger Kragen um den Fuß der Kugel läuft, ist eine Schrift erkennbar, die beidseitig lesbar auf einem erhöhten Mittelstreifen entlang der Goebenstraße weitergeführt wird. Sie endet und beginnt am Museumsparkplatz und hat dadurch auch eine wegweisende Funktion. Die einzelnen Buchstaben sind knapp 90 cm groß, aus speziellem Edelstahl-Tränenblech hergestellt und erstrecken sich auf einer Länge von rund 300 Metern. Möchte man das dort Geschriebene auf eigene Faust entziffern, so liest man einen Auszug (im Folgenden rot markiert) des Gedichts „Der Ball“ (1907) von Rainer Maria Rilke, einer dem bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne.
Rainer Maria Rilke: Der Ball (1902)
Du Runder, der das Warme aus zwei Händen
im Fliegen, oben, fortgiebt, sorglos wie
sein Eigenes; was in den Gegenständen
nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie,
zu wenig Ding und doch noch Ding genug,
um nicht aus allem draußen Aufgereihten
unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten:
das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug
noch Unentschlossener: der, wenn er steigt,
als hätte er ihn mit hinaufgehoben,
den Wurf entführt und freilässt -, und sich neigt
und einhält und den Spielenden
von oben
auf einmal eine neue Stelle zeigt,
sie ordnend wie zu einer Tanzfigur,
um dann, erwartet und erwünscht von allen,
rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur,
dem Becher hoher Hände zuzufallen.
„Wie zu einer Tanzfigur“
Rilke, der als Schöpfer der Gattung des Dinggedichts gilt, beschreibt in seinen Versen die Flugbahn eines Balles, der von einer Person („aus zwei Händen“) zur nächsten („höher Hände“) geworfen wird. Der Gedichtauszug macht den begehbaren Mittelstreifen somit zum Träger von Poesie und das dort Geschriebene nimmt unmittelbaren Bezug auf die Skulptur. Stellt man sich ans Ende des Mittelstreifens, also dort, wo die Verse beginnen bzw. enden, und blickt auf polierten Edelstahl-Ball, so scheinen Rilkes Worte Wirklichkeit geworden zu sein. Fabros Skulptur scheint sich auf der Verkehrsinsel „wie zu einer Tanzfigur“ elegant ausbalanciert zu haben. Auch zeigt sich aus diesem Blickwinkel die enge Verbindung zum Museum: Die Tatsache, dass der Gedichtauszug am Museum beginnt und endet und dass sowohl Skulptur als auch Marta-Dach aus Edelstahl gefertigt sind, verstärkt die Beziehung von Kunstwerk und Marta Herford. Auch verbindet Fabros „La Palla“ das Marta mit der Herforder Innenstadt: Beide scheinen sich den Ball zuzuspielen.
So was Wertvolles kann so schnell keine Stadt aufweisen. Nicht nur poetisch und literarisch, sondern auch vom Ambiente her, auch der Einbezug des Passanten, ‘Kraftfahrers’, Neugierigen, hat eine ‘Sogwirkung’, der ich mich auch nach Jahren in HF nicht entziehen kann.
Was für tolle Worte für ein außergewöhnliches Kunstwerk!