Zwischen Kino und Wohnzimmer: Die Raumgestaltung einer Filmausstellung
Wer zurzeit das Marta Herford besucht, erkennt dieses kaum wieder. Die großen hellen Galerien sind dunklen atmosphärischen Filmräumen sowie einem täuschend echten Krankenhaustrakt gewichen. In gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre erleben die Besucher*innen indes den Film „Middle of Beyond“ von Keren Cytter.
Für fast jede Marta-Ausstellung entsteht eine völlig neue, auf die jeweilige Thematik bezogene, temporäre Raumarchitektur. Manchmal wird diese in Kooperation mit Ausstellungsarchitekt*innen und Designer*innen entwickelt, oder aber wie im Fall der aktuellen Ausstellung „Die Realität … ist absurder als jeder Film“, im Austausch des Direktors mit dem kuratorischen und technischen Team im Haus.
Aktuell werden die Besucher*innen im Marta-Dom von einer 45 Quadratmeter großen Leinwand, Surround-Kino-Sound und einem bild- und tongewaltigen Film von Yael Bartana empfangen. Zwei weitere Galerien verwandelte die Bühnenbildnerin des Künstlers Omer Fast in eine detailreiche Krankenhauskulisse, die die Inszenierung seines Virtual-Reality-Films ergänzt. Die Werke von Guy Ben-Ner und Roee Rosen werden jeweils in individuell entworfenen Filmräumen gezeigt. Für die Präsentation des Spielfilms „Middle of Beyond“ (Mitten im Jenseits) von Keren Cytter hingegen wurde ein Raum mit besonders gemütlicher Sitzlandschaft und Bildschirmen ausgestattet.
Die Präsentation des Films von Keren Cytter
In der Mitte wurde mit halbhohen Wänden eine „Insel“ geschaffen. Ausgelegt mit Teppichboden und mit bequemen Sitzsäcken ausgestattet, läuft hier auf zwei in die Wände eingelassenen Monitoren Keren Cytters 90-minütiger Spielfilm. Einerseits wird so ein intimer Rahmen geschaffen, um sich niederzulassen und völlig in der Welt des Films zu versinken. Dazu tragen auch die Kopfhörer, über die der Sound übertragen wird, bei. Andererseits wird den Besucher*innen die Möglichkeit gegeben, sich ungestört die collagenhaften Zeichnungen an den äußeren Wänden anzusehen, die das Werk der israelischen Künstlerin ergänzen.
Ähnlich wie die Zeichnungen, in denen die absurden Handlungen neben- und übereinander gelegt werden, sind auch viele ihrer Filme nicht linear aufgebaut. „Middle of Beyond“ verwebt verschiedene Räume sowie Zeit- und Bildebenen miteinander und bricht so mit klassischen Erzählmustern. Die subjektiv erzählte Handlung ereignet sich in einem zeitgeschichtlichen Kontext, im Jahr 2016 einen Monat nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.
Wovon handelt „Middle of Beyond“?
Die Handlung des Films dreht sich um das Leben des Protagonisten Malte Krumm. Er ist Anfang 30, lebt in Berlin und träumt von einer Karriere als Poet in New York. Sein Vater ist in Afghanistan gefallen, die Gefühle zu seiner Mutter schwanken zwischen Wut und Mitleid. Mutter wie Sohn sind einsam, fühlen sich verlassen und von der Welt betrogen. Im Internet lernt er Reiner Müller kennen, einen vermeintlichen Freund, der ihm scheinbar emotionalen Halt gibt. Sie tauschen sich aus über Gedichte und Zeichnungen, über Islam und Koran. Malte ist sehr empfänglich für diesen neuen Einfluss. Er schreibt eigene und rezitiert fremde Texte, fühlt sich jedoch zusehends missverstanden und nicht ausreichend wertgeschätzt. Auf der Flucht vor der Wirklichkeit und auf der verzweifelten Suche nach sich selbst wird Malte auf diffuse Weise empfänglich für fremde Autoritäten. Reiner greift diese Haltlosigkeit auf, stachelt einen unbestimmten Zorn in Malte an und säht in ihm Rachegedanken gegenüber der Gesellschaft. Tief gekränkt lässt er sich von seinem Mentor in die Radikalisierung mitreißen. Er befindet sich, wie der Titel bereits ankündigt, weit im Jenseits, fernab der Realität.
Orientierungslose Überforderung und mediale Überflutung
„Middle of Beyond“ ist geprägt von surrealen Momenten. Animierte Rosenblätter, Schmetterlinge, Hubschrauber oder explodierende Bomben überlagern die reale Bildebene. Fernsehnachrichten, YouTube-Videos, Handyfotos, Zeitungsausschnitte und Fragmente aus den Sozialen Medien werden ebenso eingebunden. Der Protagonist wird von Bildern und Nachrichten überflutet; die Grenzen zwischen seiner Realität und einer (alb-)traumhaften Parallelwelt medialer Bilder lösen sich auf. Maltes Wunsch, als Poet eine eigene Sprache zu finden, gesehen und wertgeschätzt zu werden, verhallt im Rauschen der medialen Weite. Ebenso wie die Hauptfigur haltlos durch ihr Leben irrt, gibt es auch für die Zuschauer*innen keinen Ankerpunkt und so spüren sie die orientierungslose Überforderung des Filmcharakters nach.
Tief in der behaglichen Sitzlandschaft versunken, verlieren die Besucher*innen allerdings weder den Boden unter den Füßen noch den Bezug zur Realität. Im Anschluss an die Ausstellung verlassen sie das Museum wieder durch den klinischen Wartebereich, durch den sie anfangs gekommen sind. Und wenn am 29. Juni die kommende Ausstellung „Haltung & Fall – Die Welt im Taumel“ eröffnet, werden sich auch dann wieder die Museumsräume grundlegend gewandelt haben.