Der fremde Raum: Geburt einer ungewöhnlichen Ausstellung
In einem Museum wie dem Marta Herford gehört es noch mehr als an vielen anderen Orten unbedingt dazu, die besonderen Qualitäten der Architektur für die Ausstellungen zu nutzen und gemeinsam mit den Künstlern ungewöhnliche Wege zu finden, darauf zu reagieren.
Bereits von außen wirkt der Backsteinbau als wäre er wie ein fremdartiger Komet in eine wohnliche Umgebung eingeschlagen. Aber auch im Inneren ist das Marta alles andere als ein klassischer White Cube!
Aus der Perspektive einer Ausstellungsmacherin kann ich sagen: Es ist sicher keine „einfache Architektur“. Doch darin liegt gerade auch die Stärke. Mit den schwindelerregenden Raumhöhen und geschwungenen Wänden bietet sie eine luftige Hülle und Projektionsfläche für neuartige Konzepte. So erlebe ich es als Kuratorin immer wieder, wie die KünstlerInnen über sich selbst hinauswachsen, indem sie sehr eigenwillige Lösungen für den Raum (er)finden.
Zum zehnjährigen Jubiläum des Museums hätten wir gerne das umfassende Konvolut an Zeichnungen von Frank Gehry aus der Pariser Ausstellung gezeigt und unseren Besuchern auf diese Weise den besonderen Zugang des Architekten vorgestellt. Dies war leider nicht möglich. Aber genau diese Tatsache gab schließlich den Anstoß für eine ganz andere Gehry-Ausstellung, die auch mich als Kuratorin wieder einmal an die Grenzen klassischer Ausstellungsarbeit geführt hat.
Obwohl Frank Gehrys Gebäude nach pragmatischen Grundsätzen in einem hoch kontrollierten Prozess des Bauens und mit Hilfe von Computerprogrammen aus dem Flugzeugbau geplant werden, offenbaren seine innovativen Methoden der Ideenfindung ein dezidiert künstlerisches Vorgehen. Dies spiegelt sich auch darin, dass sich der Architekt Zeit seines Lebens mit Künstlerfreunden umgab und sich von ihnen inspirieren ließ. Umgekehrt bieten die extravaganten Marta-Galerien den ausstellenden KünstlerInnen immer wieder Anlass für sehr spezifische, auf den Raum hin geschaffene Werke. Die Ausstellung „Der fremde Raum“ knüpft an diese Erfahrung an: Acht internationale KünstlerInnen setzen sich über fremdartige Materialien, Formen und Farben strukturell mit dem Raum auseinander und erfinden ihn völlig neu. Seit längerer Zeit beschäftigte mich bereits das Prinzip der Zerstörung in der Kunst und diskutierte darüber im Marta-Team – jetzt wollten wir zwei Ideen zusammenbringen, indem wir uns fragten: Welche Impulse gibt eine dekonstruktivistische Architektur wie der Gehry-Bau den Künstlern, die sich ihrerseits dekonstruierend mit dem Raum auseinandersetzen, ohne ihn jedoch zu zerstören?
Im vergangenen Jahr begleitete ich den intensiven Prozess von der ersten Idee bis zur Produktion. Alle Künstler erhielten ausführliche Informationen zur Architektur, besuchten das Museum, um ein Gefühl für den Ort zu entwickeln und ließen schließlich für ihre Neuproduktionen – ganz wie ein Architekt – Modelle und Skizzen entstehen oder arbeiteten wie im Fall von Christoph Weber und Arne Quinze sogar mit einem computergestützten Zeichenprogramm.
Acht Neuproduktionen für eine Ausstellung sind aber nicht nur in der Konzeptionsphase, sondern auch in der zeitlichen Planung und der technischen Umsetzung eine besondere Herausforderung für das gesamte Marta-Team. So werden die Künstler mit ihren Assistenten und unserem technischen Aufbauteam unter technischer Leitung von Michael Train in nur drei Wochen acht neuen Werken „zur Geburt verhelfen“. Dabei verfahren die Künstler auf bisher noch ungesehene Weise so radikal mit der Architektur, als wollten sie zeigen, dass nach zehn Jahren des Bestehens die Museumsarchitektur einmal vollständig neu befragt werden müsse: Die KünstlerInnen stellen unsere Vorstellungen von Raum vollständig auf den Kopf, indem sie Wände und Böden mit Farben und Formen attackieren, Narben in die Oberflächen reißen oder ungewöhnliche Materialien verdichten und wie fremdartige Organismen wuchern lassen. Ganz im Sinne von Gehrys Architekturbergriff dekonstruieren diese temporären „Eindringlinge“ das Gebäude ihrerseits, belagern die vorhandenen Strukturen und versetzen die tanzende Architektur nochmals in Bewegung.
Die zersetzende Geste ist Ausdruck einer Zeitdiagnose und entspringt einem Bedürfnis danach, den eigenen Körper über den fremd gewordenen Raum zu vergegenwärtigen. Zugleich lässt die Ausstellung aber auch Raum für Neues: Überraschende Erzählungen entstehen, zwischen Bildern der Störung treten poetische Momente und die Energie schöpferischer Verwandlung wird erlebbar. Experimentier- und Forschergeist bilden ebenso einen Ausgangspunkt der Ausstellung wie das Bedürfnis danach, den eigenen Körper über den fremd gewordenen Raum zu vergegenwärtigen. Die zersetzende Geste als Ausdruck einer atmosphärischen Zeitdiagnose lässt aber auch Raum für Neues: Überraschende Erzählungen entstehen, zwischen Bildern der Störung treten poetische Momente und die Energie schöpferischer Verwandlung wird erlebbar. Ganz im Sinne von Gehrys Architekturbergriff dekonstruieren diese temporären „Eindringlinge“ das Gebäude nochmals und verwandeln es in einen Aufführungsort für die Neudeutung des bisher Bekannten.
Als Mark Wigley 1988 gemeinsam mit dem Architekten Philip Johnson im New Yorker Museum of Modern Art die Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ (Dekonstruktivistische Architektur) zeigte, standen die dazu eingeladenen Architekten – darunter auch Frank Gehry – noch am Beginn ihrer Karriere. Heute hingegen zählen sie zu den Stars ihrer Zunft. Die beteiligten Künstler zerstören jedoch die Architektur nicht, sondern stören vielmehr – ganz im Geiste der dekonstruktivistischen Architektur – „unsere Vorstellung von Form.“ Denn der dekonstruktive Architekt sei – so Wigley im Katalog zur MoMA-Ausstellung – nicht „derjenige, der Gebäude zerstört, sondern derjenige, der die der Architektur innenwohnenden Probleme lokalisiert … Die Form wird verhört.“ Wie Gehrys Baustil, bei dem die Formen fragmentiert und Materialien collageartig miteinander verschränkt werden, greifen die KünstlerInnen auf eine Weise in die sie, bei der die Architektur „unkontrollierbar vom Vertrauten ins Fremde“ hinübergleitet und „sich die Form verformt, um sich neu zu offenbaren.“
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