Moderne versus Denkmal? Prof. Rainer Hascher im Marta
„Stadt und Vision“ hieß es wieder beim letzten Architekturabend für 2017, der viel Diskussionsstoff bot und mir in Erinnerung bleiben wird: Prof. Rainer Hascher (Berlin) thematisierte mit dem Vortrag „Moderne Architektur versus historische Bausubstanz ?“ wesentliche Aspekte der gegenwärtigen Baukultur.
Nachdenkenswert fand ich Haschers einleitende (provokante) Bemerkung, dass gerade in Deutschland dieses Thema eine größere Bedeutung zukommen sollte, da nämlich „Architektur in Deutschland nicht mehr stattfindet“. Zu kritisieren sei – im Vergleich zu anderen Ländern – unter anderem die mangelnde Varianz in den Bauten und der zu rückwärtsgewandte Blick, wobei Hascher beispielhaft auf den öffentlich stark diskutierten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses Bezug nahm: „Wir erstarren (sinnbildlich) in Rekonstruktion.“
Stadt lebendig und wahrhaftig gestalten
Wie soll moderne bzw. zeitgenössische Architektur aussehen? Meist würde sie als Affront betrachtet, sie würde die Stadt zerstören, meinte Hascher, „aber man müsse anders denken“: Beispielsweise nähme man die Stadt Rom als schönste Stadt Europas wahr, weil sie so interessant sei, da über etliche Generationen hinweg verschiedene Stilepochen immer auf die vorherigen aufgebaut wurden. Diese sind heute sichtbar und existieren nebeneinander. Die Stadt, so der Architekt, ist nicht nur eine ästhetische Erscheinung, sondern hat natürlich auch eine Geschichte – und ist eine Geschichte. Es ginge darum, „die Stadt lebendig und wahrhaftig zu gestalten“ und dass sich die Architektur auf den jeweiligen Ort einzustellen, sich entsprechend in die Stadt einzufühlen habe.
Zeitgemäße Nutzung historischer Bausubstanz statt Restauration
Rainer Hascher versteht moderne und historische Bauten nicht als sich widersprechende Gegensätze, sondern als sich symbiotisch ergänzende Elemente. „Neben Restauration und detailgetreuem Wiederaufbau gibt es einen weiteren Weg des Umgangs mit alter, historisch wertvoller Bausubstanz: den Weiter- und Umbau eines Denkmals zu einer neuen, zeitgemäßen Nutzung mit den Mitteln der modernen Architektur. Weiterbauen an der historisch gewachsenen Stadtgestalt bedeutet hier eben nicht, einfach überkommene Formensprachen und Stilepochen zu replizieren und im schlimmsten Fall in Kitsch zu überführen, sondern die selbstbewusste, dabei aber respektvolle und bedeutsame Ergänzung der historischen Substanz durch architektonische Elemente unserer Zeit“.
Transformation, Erweiterung, Einbettung
Anhand von drei Werkbeispielen stellte Hascher den für ihn „sinnvollen und richtigen Weg des Umgangs mit alter Bausubstanz“ vor: Bürogebäude WGV (2010–13): In Stuttgart wurde für die WGV-Versicherung eine denkmalgeschützte, alte Wache in ein Casino für die Mitarbeiter transformiert und mit dem Neubaukomplex nahtlos zu einer neuen Nutzungseinheit verwoben. Erweiterung Akademie der Bildenden Künste (2010–13): Der Erweiterungsbau der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg arrondiert die denkmalgeschützte Bebauung von Sep Ruf aus den 50er Jahren zu einem neuen „Akademie-Campus“ und rückt den Außenraum als identitätsstiftendes Landschaftsbild stärker ins Zentrum der Anlage. Montforthaus Feldkirch (2010–13): Das neue Montforthaus ist das Kultur- und Kongresszentrum im Vorarlberger Feldkirch. Es ist harmonisch in die historisch gewachsene Stadtstruktur von Feldkirch eingebettet. Seine moderne Formensprache steht dabei in einem bewussten dialektischen Gegensatz zum ausgewählten traditionellen Material des Jura-Marmors für die Außenhaut. So wird das eigenständige Neue behutsam mit dem Bestand verwoben und beide ergänzen sich gegenseitig.
Visionäre Architektur in Deutschland?
Im anschließenden Gespräch auch mit dem Publikum wurde lebhaft diskutiert, ob und wie in Deutschland eine visionäre Architektur (wieder) entwickelt werden könnte. So teilte Rainer Hascher seine Einschätzung (im Zusammenhang mit dem Bau des Monforthauses) mit, dass die Baukultur in Vorarlberg, in Österreich, der in Deutschland überlegen sei, unter anderem aufgrund einer höheren Wertschätzung. Was die Zukunft der Architektur in Deutschland betrifft, äußerte er sich nicht gerade optimistisch. In der Diskussion kamen verschiedene Gründe und Aspekte zur Sprache, die die Realisierung gelungener Baukultur in Deutschland erschwerten oder unmöglich machten: So zeige sich eine Architektenszene, die offenbare, dass es aus verschiedenen Gründen an Mut fehle, Dinge voranzutreiben. Auch genannt wurde der zunehmende Mangel an engagierten Bauherren, die sich nicht ausreichend mit dem Bauprojekt identifizieren und Planung und Bauprozess entsprechend begleiten würden, da immer mehr große Investorengruppen als Bauherren großer Gebäudekomplexe auftreten würden. Da sei eine starke Stadtverwaltung gefragt, der Entwicklung Einhalt zu gebieten, dass Entscheidungen oft zugunsten eines Geldgebers und Investors und zu Lasten der Architektur(idee) und der einzuhaltenden Stadtstruktur getroffen würden.
Mehr Wertschätzung und Kommunikation für gute Architektur
Als weiterer Aspekt wurde die problematische Situation von Baukostenüberschreitungen genannt, die gerade bei Großprojekten von den Medien so an die Öffentlichkeit gebracht werden, dass die Architekturbüros dafür verantwortlich gemacht werden. Grund dieser Schieflage sei jedoch die von vornherein meist nicht realistisch angesetzte Kostenplanung. Auch in diesem Zusammenhang appellierte Rainer Hascher an die Architekten, professionelle PR sowie eine rechtzeitige und ausreichende Kommunikation über Bauvorhaben zu betreiben, und an die Architektenkammern und Verbände, gezielt für eine grundsätzliche Vermittlung von (zeitgenössischer) Architektur zu sorgen.
Nach der Veranstaltung frage ich (Nicht-Architektin) mich, wieviel Engagement und Mut es offensichtlich bedeutet, unter diesen Gegebenheiten noch Visionäres in die Städte zu bringen, in denen wir alle ja zukünftig leben wollen.
Rainer Hascher im Interview
Welches Gebäude hätten Sie gerne selbst entworfen?
Gerne hätte ich das „Maison de Verre“, das Pierre Chareau 1932 in Paris realisiert hat, entworfen, denn es ist ein äußerst innovatives und wunderbar atmosphärisches Wohngebäude für die damalige, aber durchaus auch noch für unsere heutige Zeit.
Welches Projekt würden Sie als Ihr persönliches Meisterstück bezeichnen?
Mit dem Begriff Meisterstück tue ich mich in Bezug auf eigene Arbeiten schwer – aber ich möchte vielleicht drei Gebäude nennen, die – jedes auf seine Art – besondere Qualitäten aufweisen und die ich alle nicht missen möchte: das Bürogebäude der dvg in Hannover, das Kunstmuseum in Stuttgart und das Konzert- und Kulturhaus in Feldkirch.
Wenn Sie vor 15 Jahren das Marta Herford hätten planen können, wie würde es aussehen?
Das Marta Herford ist großartig und von großer Bedeutung für diese Stadt. Man sollte nicht spekulieren, wie es anders hätte aussehen können, denn es ist, so wie es ist, prima.
Moderne und historische Bauten widersprechen sich Ihrer Ansicht nach nicht, sondern sollten sich symbiotisch ergänzen. Wofür steht Hascher Jehle Architektur in diesem Zusammenhang?
Hascher Jehle Architektur steht zum Ausdruck einer Architektur unserer heutigen Zeit, die sich zwar sensibel in ein vorgefundenes Umfeld integrieren soll, die aber keineswegs die gestalterischen Elemente des 21. Jahrhunderts leugnet.
Wie könnte mehr Nachhaltigkeit in Bauprojekten realisiert werden?
Nachhaltigkeit entsteht nur, indem man ganzheitliche Konzepte entwickelt und nicht nur vorgegebene Normen und Kategorien abarbeitet, wie es leider heutige, gängige Praxis ist.
Was sind die aktuell drängenden Bedürfnisse und Themen des Bauens, um (in Deutschland) zukünftig (weiterhin) gute Architektur zu ermöglichen?
Eine Grundvoraussetzung für gute Architektur sind selbstbewusste und entscheidungsfreudige Bauherrn mit wirklichem Anspruch.
Wie würden Sie gute Architektur beschreiben?
Gute Architektur entsteht dort, wo Strukturmerkmale aus Standort, Funktion, Konstruktion und Material zu einer Gesamtkomposition aus Form, Proportion und Bedeutung zusammenwachsen.
2 Replies to “Moderne versus Denkmal? Prof. Rainer Hascher im Marta”
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Guten Tag liebe Mitleser,
vielen Dank für diesen informativen Beitrag. Ich finde, dass sowohl moderne Gebäude, als auch denkmalgeschützte Gebäude etwas schönes haben. Als ich mich im Internet über ein Gutachten von Denkmälern informieren wollte, bin ich auf ein Architektenbüro gestoßen, welches sich damit beschäftigt.
Lieber Jonas,
vielen Dank für Ihren Kommentar und die positive Rückmeldung auf den Beitrag. Gerade auch die Verbindung von modernen und historischen Gebäuden ist besonders, – z.B. auch für mich, in einem zeitgenössischen, ungewöhnlichen Museumsbau von Frank Gehry zu arbeiten, der ja im Kern aus einem vergleichsweise historischen (und ganz rechtwinkligen) Bauteil besteht.
Kommen Sie gerne zu einem unserer fünf Architekturgespräche im nächsten Jahr: Das erste ist am Mittwoch, 14. Februar, mit Prof. Stefan Rettich vom Büro KARO* architekten (Leipzig, Hamburg).
Herzliche Grüße, Franziska Brückmann