(Neues) Leben in der Stadt – Interview mit Oliver Thill
Welche Bedingungen ergeben sich durch den gesellschaftlichen und technischen Wandel für die urbane Architektur? Wie können in diesem Kontext neue Formen von Wohnen und Arbeiten aussehen. Und vor welche Herausforderungen werden Architekten und Stadtplaner zukünftig gestellt?
Seit 2013 beschäftigen sich unter dem Titel „Stadt und Vision“ die Herforder Architekturgespräche mit ebenjenen Fragen. In Kürze wird der Architekt Oliver Thill (Rotterdam) bei uns zu Gast sein. Ich hatte bereits im Vorfeld die großartige Gelegenheit ihm einige Fragen stellen zu dürfen.
Herr Thill, welche Projekte oder Themen liegen Ihnen besonders am Herzen, was macht Ihnen besonders Freude?
Als Büro arbeiten wir sehr bewusst an unterschiedlichen Themenkomplexen, vermeiden wir Spezialisierung und sind wir parallel in verschieden europäischen Ländern tätig. Gerade die Abwechslung der Aufgaben und das Abenteuer des internationalen Arbeitens bereitet uns sehr viel Freude, da es immer wieder neue Entdeckungen und Erkenntnisse liefert, und zu einem breiteren Verständnis des europäischen Kontexts beiträgt. Zurzeit gibt es zwei Themenkomplexe, mit denen wir uns sehr intensiv auseinandersetzen. Einerseits das Entwickeln von kompakten und kostengünstigen städtischen Wohntypologien, anderseits das Finden von neuen Gebäudeformen für den Bildungsbau, die andere, mehr interaktive Lernformen stimulieren.
Was würden Sie bauen, wenn Sie ganz frei, ohne jegliche Einschränkungen, bauen könnten?
Einschränkungen sehen wir eher als einen Motor für Inspiration und Innovation, da ja neue Ideen nicht ohne Reibung entstehen können. Für uns heißt das, dass wir in gewissem Sinne eine Liebe zu komplexen Situationen entwickelt haben und auch gewöhnt sind mit eher knappen Budgets auskommen zu müssen. Natürlich gibt es Aufgaben, die uns besonders interessieren würden. Zum Beispiel würden wir sehr gern ein Fußballstadion oder eine sehr große Veranstaltungshalle entwerfen und vor allem bauen wollen.
Welches Gebäude hätten Sie gerne selbst entworfen und welches Projekt sehen Sie als Ihr persönliches Meisterstück?
Im Rahmen unsere Arbeit gibt es immer wieder Projekte aus der Baugeschichte, die uns faszinieren. Zu nennen sind hier vor allem die öffentlichen Bauten der Römer, die Arbeiten der italienischen Renaissancearchitekten wie Bramante, Vasari oder Vignola, und die viele Bauten von Karl Friedrich Schinkel und Mies van der Rohe. Wir haben relativ wenig Vertrauen in die Architektur, die seit 1968 produziert wurde und wird. Das beste Projekt des letzten 50 Jahre ist vielleicht das Beaubourg in Paris. Ein richtiges masterpiece haben wir noch nicht gebaut, wir hoffen natürlich, dass uns das vielleicht noch irgendwann gelingt. Die erfolgreichsten Projekte unseres Büros sind vielleicht das Franz-Liszt-Konzerthaus in Raiding (Österreich) und das Hiphouse-Projekt in Zwolle (Niederlande).
Sie haben vor Jahren den Begriff „Spezifische Neutralität“ in Zusammenhang mit dem Wohnungsbau geprägt. Wofür steht er – auch aus heutiger Sicht?
Für uns bedeutet der Begriff vor allem eine Akzeptanz der kapitalistischen Triebkräfte und deren radikale Konzeptualisierung. Die Forderung nach Neutralität der Grundrisse war wahrscheinlich eine der wichtigsten Forderungen an die Architektur des 20. Jahrhunderts. Architektur muss anpassungsfähig und wandelbar sein, um sich den Triebkräften der Ökonomie immer wieder von neuem Stellen zu können. Hiermit einher geht eine radikale Trennung zwischen Architektur (= hardware) und Interieurentwurf (= software). Wir konzentrieren uns bei der Architektur auf den Entwurf von kraftvollen leeren Räumen, die die Bewohner und Nutzer in eine aktive Position bringen, die Räume für sich tatsächlich zu erobern. Hierbei spielt die Interaktion zwischen Innen- und Außenraum eine große Rolle. Die Fassade ist hierbei vor allem eine extrem wichtige Schnittstelle zwischen beiden Welten. Erreichen wollen wir für den Wohnungsbau ein Art Existenzmaximum.
Wie würden Sie gute Architektur beschreiben? Wie kann Architektur nachhaltig sein?
Gute Architektur sollte nicht nur die Forderungen der spezifischen Neutralität erfüllen, sondern vor allem monumental sein. Das heißt, sie sollte großzügige Dimensionen haben, elegante Proportionen und sich einladend anfühlen. Auch muss sie Widerstand gegenüber dem Nutzer bieten. Das ist letztendlich wirklich nachhaltig. Im Grunde hat sich in den letzten 2000 Jahren ja wenig verändert – es geht nach wie vor um firmitas, utilitas und venustas.
Der Bau von Passivhäusern hat letztendlich nicht wirklich etwas mit nachhaltigen Bauen zu tun, sondern ist aus unserer Sicht eher ein Illusion, die durch die Baustoffindustrie aggressiv vermarktet wird, um vor allem noch mehr Dämmstoffe und Haustechnik zu verkaufen und die Gebäude in immer kürzeren Abständen immer wieder sanieren zu können.
Wenn Sie vor 15 Jahren das Marta Herford hätten planen können, wie würde es aussehen?
Ein gutes Museum sollte großzügige Räume haben, um möglichst unterschiedliche Ausstellungen zu ermöglichen und die Kuratoren herausfordern. Auch sollte ein Museum den Dialog mit der Stadt und Ihren Bewohnern stimulieren. Wahrscheinlich hätten wir eine große stützenfreie Halle mit großen Fenstern im Erdgeschoss entworfen …
Hinweis:
Live erleben kann man Oliver Thill im Marta Herford am Mittwoch, dem 8. März 2017, um 20 Uhr. Hier wird er nach einem Impulsvortrag über die „Villa Urbaine“ mit dem Publikum diskutieren.
Oliver Thill gründete 2000 zusammen mit André Kempe das Atelier Kempe Thill – architects and planners in Rotterdam.