Recht auf Stadt – für alle?! Van Bo Le-Mentzel im Marta
Architekt und Visionär Van Bo Le-Mentzel stellte bei der 23. Veranstaltung von „Stadt und Vision – Herforder Architekturgespräche“ dem Publikum im Marta seine ungewöhnlichen Ideen vor.
Auf die prekäre Situation von mangelndem bezahlbarem Wohnraum in den (Groß-)Städten reagiert er mit seinem Konzept des „Co-Being House“, eines Mehrgenerationenhauses, welches unter anderem das Wohnen auf klein(st)er Grundfläche für nur 100 Euro Mietkosten ermöglichen soll.
Wohnen und Leben in der Stadt dürfe nicht nur gut situierten Personen vorbehalten sein, sondern sei als Grundrecht zu verstehen, wofür die Innenstadt divers und zugänglich sein müsse – für Menschen aller Einkommensschichten und mit verschiedenen Lebensentwürfen, so Le-Mentzel. Dabei hat er besonders die „urbanen Nomaden“ im Blick, Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die viel Gemeinschaft suchen und wenig zu Hause sind, und somit nicht eine großräumige Wohnung blockieren müssten.
Wohnen in und mit Gemeinschaft
Der Berliner Architekt, der gebürtig aus Laos stammt und damals mit seiner Familie nach Deutschland geflohen war, veranschaulichte detailliert sein Projekt „Co-Being House“, – wofür übrigens noch Investoren gesucht werden: Das Haus soll Wohneinheiten verschiedener Größen beherbergen. Die kleinste mit 6,4 m² Grundfläche, für eine gemischte Mieterschaft von Jung bis Alt, sowie beispielsweise auch eine untere Etage für Gastronomie, Shops und Kultur. Herzstück im Wohnbereich ist der „Co-Being Space“, ein im Zentrum gelegener großer und hoher Raum. Dessen Ausgestaltung sei den Mietern überlassen, die diesen Raum zusammen als Gemeinschaftsküche oder -raum, als Heimkino, Co-Working-Space, Ausstellungsraum oder noch ganz anders und vielfältig nutzen können (und die diesen jeweils anteilig je nach Wohnungsgröße mitbezahlen). Die Fassade aus teilweise eher historisch anmutendem Formenvokabular soll bewusst nicht an sozialen Wohnungsbau erinnern.
Frei denken für die Architektur von morgen
Entwickelt wurde dieses Wohnkonzept in Zusammenarbeit mit Senior*innen, Geflüchteten, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und anderen im Rahmen der „Tiny House University“ am „Bauhaus Campus“ (2017/18) (Mehr Infos), der von Le-Mentzel kuratierten Ausstellung zum Thema Minimalbehausung am Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin – „ein künstlerisches Experiment auf der Suche nach neuen Wegen in der Bildungs- und Baukultur“. Zu sehen ist dort auch seine „100 Euro-Wohnung“ als Tiny House-Variante: Auf 2m x 3,20 m (6,4 m²) und mit 3,60 m Deckenhöhe sind Wohnraum, Küche, Schlafzimmer, Büro und sogar ein Bad untergebracht.
Le-Mentzel befasst sich mit den „Aufgaben des Architekten von morgen“ und vermittelt seine Herangehensweise auch dem Publikum im Marta: Themen hinterfragen („Braucht man wirklich so viele Dinge zum Leben?“), radikal frei denken und gewohnte Pfade verlassen, Mut haben, Ideen entwickeln, etwas selbst in die Hand nehmen. Bekannt geworden ist er mit seinem Engagement für gesellschaftliche Teilhabe und unterschiedlichen Initiativen für demokratisches Design und für DIY (Do it yourself)-Kulturen. Unter anderem entwirft er Möbel wie den „Berliner Hocker“ unter dem Titel „Hartz IV Möbel – Konstruieren statt Konsumieren“ und stellt die Anleitungen zum Nachbau zur Verfügung auf www.hartzivmoebel.de.
Mobile und flexible Möbel für kleinen Raum
Zum Abschluss des Architekturabends im Marta wurden als mögliche Einrichtung für ein Tiny House die Ergebnisse eines vorangegangenen dreitägigen und von Le-Mentzel angeleiteten Bauworkshops im Museum präsentiert (der auch im thematischen Zusammenhang mit dem „8. RecyclingDesignpreis“ veranstaltet worden war): Neben dem erwähnten Hocker, der in Serie auch als Modulsystem für ein Wandregal dienen kann, gab es den „24 Euro-Chair“ und von der Workshopgruppe neu entwickelte mobile Möbel (auf Rollen) wie eine Bad-Toiletten-Kombination, ein Sofa-Garderobenmöbel und eine Miniküche als Prototypen zu sehen.
Im Anschluss beantwortete Van Bo Le-Mentzel folgende Fragen:
Wie würdest Du gute Architektur beschreiben?
Gute Architektur ist wie eine gute Suppe. Der Anlass ist ausschlaggebend, und die Suppe muss unbedingt als Teil eines größeren Menüs gesehen werden. Punktgenau muss es auf dem Tisch sein, nicht zu heiß, nicht zu lau, und es sollte nicht satt machen, sondern Appetit auf das Hauptgericht. Die Portion sollte angemessen sein und falls man doch über das Ziel geschossen ist, sollte man im Blick haben, dass irgendjemand die Suppe auslöffeln muss.
Was ist die Aufgabe des Architekten / der Architektin von morgen?
Der Architekt von gestern war Koch, der das Team in der Küche koordinieren musste und der Speisekarte eine Idee verlieh. Die Architekt*innen von morgen sind vermutlich eher Gastgeber statt Macher. Sie laden ein, sorgen für gute Stimmung und eine Atmosphäre, in der sich Köche, Kellner, Lieferanten und natürlich die Gäste wohl fühlen.
Wie wäre es Deiner Ansicht nach zu realisieren, allen Menschen das Wohnen in der Stadt zu ermöglichen (z.B. mit Co-Being Houses)?
Es braucht einen Mäzen, der Lust hat, einen Unterschied zu machen. Jemand, der Geschichte schreiben möchte. Und das Vertrauen hat, dass es junge Architekt*innen und Nutzer*innen gibt, die ähnlich denken.
Welches Potential steckt in Tiny Houses, unter anderem in gesellschaftlichen Zusammenhängen?
Ich träume von dem türkisenen Parkausweis. Den blauen gibt es schon für Schwerbehinderte. Auch die Feuerwehr, Ärzte und Journalisten können mit einem entsprechenden Parkausweis ihr Auto kostenfrei im öffentlichen Raum abstellen. Was nur gerecht ist, weil sie hauptsächlich im Dienste des Gemeinwesens im öffentlichen Raum unterwegs sind. Wer als Tiny Häusler nachweislich in seinem Tiny House hauptsächlich einen Dienst an der Gemeinschaft leistet, bekommt einen türkisenen Parkausweis. Das kann ein Mini-Supermarkt sein in abgestorbenen Gegenden, ein mobiler Hausarzt in abgelegenen Straßen, ein Tiny House als Kältebus oder eine Kiezküche für Nachbarschaftsfeste. Ein Schlafbereich zum Ausruhen sei den Gemeinwohlarbeitern gegönnt.
Welches Gebäude hättest Du gerne selbst entworfen?
Ich hätte gern das Dymaxion House von Buckminster Fuller entworfen.
Wenn Du (vor ca. 17 Jahren) das Marta Herford hättest planen können, wie würde es aussehen?
Ich denke, es war genau die richtige Entscheidung, Gehry zu wählen. Vermutlich hätte ich mit dem Fluss mit dem eigenwilligen Namen „Aa“ mehr gespielt, ein Brückenatelier oder ein Tiny U-Boot oder ein Hausboot als Räume der Möglichkeiten könnte ich mir gut vorstellen. Museale Arbeit, die fließt. Auch reizvoll ist der Bahnhof in der Nähe. Satelliten schaffen und das Museum von seinem starren Standpunkt befreien. Das wäre doch was.