Die Magie der Macht
Der renommierte Forscher Andreas Zick beschäftigt sich beruflich mit einem Thema, mit dem eigentlich niemand etwas zu tun haben möchte: In seiner Forschung hat er sich nämlich auf Konflikte und Gewalt spezialisiert und ist derzeit, bedingt durch die aktuelle gesellschaftliche Situation gefragter denn je.
Nachdem ihn die Ausstellung „Brutal schön – Gewalt und Gegenwartsdesign“ ins Marta lockte, besuchte er in diesem Zuge ebenfalls „Magie und Macht – Von fliegenden Teppichen und Drohnen“. Auch diese Ausstellung stieß auf sein Interesse als Gewaltforscher. Seinen Besuch hier ließ er für den Marta-Blog Revue passieren:
Wir fliegen mutig mit dem Teppich über das Land. Der Himmel ist klar. Es weht kein Lüftchen. Wir schauen. Wir sehen. Wir sehen das Land in seinen Grenzen. Wir sehen die neuen Zäune, die errichtet werden. Wir sehen uns inmitten. Wir sehen, wie die Menschen sich zerreißen und verjagen. Es wird gezerrt an allem, was als Wir erscheint. Da unten tauchen Identitäten und Leitbilder, Heimaten und Völker, Fremde und Eigene auf und die einen jagen die anderen. Wir sehen Gewalt. Es blitzt und blinkt, weil es brennt. Es wird Staub aufgewirbelt. Die Verwirbelungen auf der Erde lassen die Magie des Himmels um ein Vielfaches scheinen. Hier oben auf dem Teppich ist alles zauberhaft. Zugleich merken wir hier oben, wie die Gewalt und Aggression, das Reißen und Zerren selbst eine Magie erzeugen. Aber auch hier wird es wackelig. Die Verwirbelungen da unten, die nach oben steigen, bringen den Teppich ins Ungleichgewicht. Der Himmel wird von den Turbulenzen erfasst und die Allmacht, alles sehen zu können, hat den Preis des Absturzes der Magie. Wir hatten doch nicht alles unter Kontrolle. Die Macht mit unseren Teppichen und Drohnen über die Welt hinweg zu schweben, alles zu sehen und durchdringen zu können, ist magisch. Aber wir haben uns selbst übersehen. Magisch ist es nur in dem Ausmaß, in dem wir uns selbst herausnehmen, was nicht gelingen wird.
Sie wenden ein, sie sähen das alles nicht. Sicherlich. Sie mögen ein/e andere Pilot/in sein. Mein Flug war geprägt von dem Blick auf die Spalten und Risse in der Gesellschaft. Ich bin ein Konflikt- und Gewaltforscher und als solcher war ich auch in der Ausstellung „Magie und Macht“. Es ist mein Bild der Ausstellung. Ich lande lieber vor dem Marta, aber auch das wird nicht gemütlicher. Ich parke den Teppich neben dem russischen Helikopter, der über dem Parkplatz des Museums wacht. Einschüchternd lässt er uns vor dem Eintauchen in Kunst und Magie die Realität fühlen. Er zwingt uns selbst in ein Bild.
Ich gehe hinein in die Ausstellung. In turbulenten und verwirbelten Zeiten sind für mich Museen Fluchtorte, selbst wenn sie uns die Realität vor Augen führen. Dafür liebe ich Orte, wie das Marta. Ich kann dort hineingehen, sehen, erkunden und von der Kunst hören, was wir in eigenen Worten schwer vermitteln können. Die Ausstellung ist nicht gemütlich und erbaulich wird es nicht. Schon der Bau selbst verhindert die gerade Wege, macht sich zur Kunst selbst. Die Ausstellung der wundersam fliegenden Teppiche und entmenschlichten Drohnen ist magisch und macht die Magie zum Gegenstand. Es ist am Ende eine perfide Magie der Gewalt für die mir die Worte fehlen. Hier finden sie sich in der Kunst.
Die Magie des fliegenden Teppichs und ihrer Entmenschlichung in den Drohnen entpuppt sich in den Kunstwerken als Gewalt. In der Konfrontation mit der Magie des „Oben Seins“, der endlosen Freiheit des Himmels, der absoluten Kontrolle, die uns die Drohnen und technisierten Teppiche steuern lassen, können wir die Gewalt erkennen, die wir ahnten, aber nicht zu beschreiben wussten.
Ich stand staunend vor dem endlos langen Teppich, der in den Himmel ragt. Wie gerne würde man auf dem wunderhübschen, fein geknüpften Teppich gemütlich in den Himmel laufen, und wie sehr übersehen wir, dass er steil hinaufführt und die Wahrscheinlichkeit des Absturzes höher ist als die des Aufstiegs. Ich stand entzückt vor der hübschen Tapete mit den Schmetterlingen der Iranerin Parastou Forouhar und bin an den Wänden abgeprallt, weil das Blut getöteter Menschen das Muster ergibt. Wir sehen in einen Raum, in dem Hubschrauber wie niedliche Fliegen im Käfig herumschwirren, und sind doch nur geschützt, solange die Scheibe uns nicht trennt. Wir müssen ansehen, wie jeder einzelne Flieger am Ende abstürzt. In jedem Kunstwerk, jedem Entwurf der Sehnsucht des Fliegens wird ungeheure Gewalt sichtbar.
Und trotz all dieser Gewalt ist gerade diese Kunst in rabiaten und stürmischen Zeiten ein Ort, wo wir Sprache wiederfinden können. Darum rate ich, noch schnell die Ausstellung zu besuchen. Dort sind Dinge zu sehen, die ich nicht zu beschreiben vermag. Daher schweige ich jetzt. Nur eines noch am Ende. Nicht die Teppiche und Drohnen erzeugen die Magie. Es ist das Museum.
Andreas Zick studierte Psychologie und Evangelische Theologie an den Universitäten Essen und Bochum. An der Philipps-Universität Marburg promovierte er, bevor er an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg habilitierte. Seit 2013 ist er Direktor des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld.