5 Fragen an Brigitte Waldach
Die Künstlerin Brigitte Waldach ist für ihre poetische und raumgreifende Praxis bekannt, die literarische und künstlerische Elemente vereint. Als Preisträgerin des Marta-Preises der Wemhöner Stiftung 2020 wird sie mit einer Einzelausstellung geehrt.
In diesem Interview verrät die Berliner Künstlerin, was ihre Werke inspiriert und worauf sich die Besucher*innen im Marta Herford freuen können.
Im Rahmen des Marta-Preises der Wemhöner Stiftung 2020 wirst Du unter anderem mit einer Einzelpräsentation geehrt. „Brigitte Waldach: Schimmer und Glanz“ ist Deine erste deutsche Übersichtsausstellung seit zehn Jahren. Was macht sie so besonders?
Um ein künstlerisches Werk zu begreifen, müssen wir die unterschiedlichen Aspekte sehen – und genau das bietet die Ausstellung im Marta. Zum einen werden meine großformatigen Zeichnungen gezeigt, zum anderen ist der hintere Bereich der Ausstellungsräume einer Raumzeichnung vorbehalten. Darum geht es in meinem Werk: Auf Papier zu zeichnen, gleichzeitig aber auch in den Raum zu gehen, im Raum zu zeichnen. In dieser Ausstellung gibt es sogar eine ganz direkte Verbindung: Einige der Papierarbeiten zeigen Kompositionsstrukturen – oder wenn man abstrakter werden möchte: Systeme – in der zweiten Dimension, dann werden sie in den realen Raum aufgeklappt. Das Thema der Zeichnungen wird im zweiten Teil der Ausstellung begehbar. In dieser Konsequenz ist die Übersetzung eines zeichnerischen Werks in eine Rauminstallation zum ersten Mal zu sehen.
Es ist auch ein neues Werk für die Sammlung Marta entstanden. Wie heißt das Werk und was ist die Idee dahinter?
Das Werk für die Sammlung Marta hat den Titel „Schweigen“. Ein sehr schöner Begriff in unserer heutigen lauten Zeit, in der wir mit Bildern, Statements und mit vielen Dingen konfrontiert werden, die es uns erschweren, in eine Ruhe zurückzukehren. Manchmal ist es aber wichtig, dass wir einen Ort finden, der uns einen Rückzug ermöglicht; eine Pause, um die Dinge neu beurteilen oder auch um eigene Ansätze formulieren zu können.
Als Bildmotiv habe ich ein Kirchenfenster gewählt, das in der Kulturgeschichte über ein festes Bildprogramm eine Art von Didaktik angeboten hat. Darüber wurden Inhalte vermittelt, vorzugsweise biblische, heilige Inhalte. Um dieses System aufzubrechen und die starre Konzentration auf bestimmte Glaubenssysteme zu weiten, habe ich Störfaktoren in das Bildprogramm des Kirchenfensters eingearbeitet; um zu zeigen, dass Religion und Ideologien viel weiter und offener gedacht werden müssen, als es in der Vergangenheit getan wurde.
In der Marta-Ausstellung ist auch die Werkgruppe „History Now“ (2016) zu sehen, bei der Du Dich künstlerisch mit dem Online-Lexikon Wikipedia beschäftigst. Was reizt Dich besonders an dieser Internet-Enzyklopädie und was ist die Ausgangsfrage der Werkreihe?
Ich habe auch Germanistik studiert und natürlich in diesem Zusammenhang mit vielen Nachschlagewerken gearbeitet. Mittlerweile – das sehe ich auch an meinem eigenen Sohn – werden die großen Enzyklopädien nicht mehr aus dem Bücherregal genommen, sondern wir gehen schnell ins Netz und schauen dort, welche Informationen bereitstehen. Bei Wikipedia gibt es eine gewisse Kontrolle, ein Gremium, das sich Gedanken darüber macht, wie etwas erklärt werden kann und was relevant ist. Gleichzeitig haben wir hier eine andere Freiheit und einen ständigen Daten- und Informationsfluss. Ich finde es zeitgemäß, damit zu arbeiten. Mich hat es gereizt, eine „flüssige“ Information, die ständig in Bewegung ist, für einen Moment festzuhalten und zu untersuchen, welche Themen eigentlich wie bearbeitet werden. Bei dem Begriff des Christentums zum Beispiel habe ich mir über einen Zeitraum von gut einem halben Jahr immer wieder angeschaut, wie er überschrieben und diskutiert wurde. Die erste Variante habe ich in hellem Grau zitiert. Einen Monat später habe ich untersucht, wie sich der Text hier verändert hat und die Veränderungen durch unterschiedliche Graustufen sichtbar gemacht. Durch dieses System der Farbkodierung wollte ich die Zeit in meiner Zeichnung erfahrbar machen. Schließlich habe ich auch selbst etwas hinzugefügt – und damit Geschichte mitgeschrieben.
Als bildende Künstlerin ist es mir aber auch wichtig, dass das Werk sinnlich und schön bleibt und eine optische Leichtigkeit entsteht, gerade wenn die Themen so ernst sind. Die interessantesten Einträge auf Wikipedia, oder die, die am häufigsten überschrieben werden, sind in dieser Reihenfolge: Christentum, Nationalsozialismus und Terrorismus. Ich habe versucht, für diese Themen Bilder zu finden, die uns dazu verführen, genauer hinzuschauen, um sich auch inhaltlich damit auseinanderzusetzen und sich zu fragen: Was ist Geschichte jetzt? Wie funktioniert Geschichtsschreibung heute? Deswegen heißt die Reihe „History Now“, sie stellt für mich eine neue Idee des Genres Historienbild dar.
Es werden auch Teile eines großangelegten Werkzyklus ausgestellt, zu dem Dich die Goldberg-Variationen veranlasst haben – ein Werk von Johann Sebastian Bach, das für seine Kunstfertigkeit und Vielfalt bekannt ist. Was inspiriert Dich daran und warum hast Du Dir ausgerechnet dieses Werk ausgesucht?
Seit einer Beeinträchtigung meines Hörens durch einen Hörsturz ist Musik wichtiger für mich geworden. Manchmal kompensieren andere Bereiche des Körpers ein Handicap, das war auch bei mir so. Mein rechtes Ohr wurde immer besser, sodass ich sensibler auf Töne und akustische Signale reagiert habe. Musikstücke, die mich vorher nicht so interessierten, habe ich plötzlich anders gehört – viel räumlicher. Plötzlich wurde mir bewusst, welche grundsätzlichen Fragestellungen in guter Musik thematisiert werden. Bach ist einer der interessantesten und wichtigsten Komponisten. Ich habe mir seine Kompositionen neu angehört und begriffen, dass es da um ein ganzes Leben geht. Seine Goldberg-Variationen zeigen Hoch- und Tiefpunkte, existenzielle Gefühle, die uns im Leben begegnen und begleiten. Hier ist sozusagen Lebenserfahrung in Musik gefasst, die so schön und abstrakt ist, dass wir sie jederzeit hören können. Ich glaube, dass gute Musik auch unabhängig von Generationen, Bildung und fachlichen Vorkenntnissen funktioniert, sodass jede*r etwas damit anfangen kann. Darüber hinaus ist es nicht nur die Musik, die uns trägt. Auch die Notationen als grafische Systeme sind in ihrer Abstraktion so schön, dass sie bildtauglich sind.
Die Farbe Rot ist charakteristisch für Dein künstlerisches Werk. Für was steht sie bzw. was soll sie signalisieren?
Mit der Farbe Rot habe ich viel in der Vergangenheit gearbeitet, im Moment arbeite ich hauptsächlich mit Bleistift, aber es tauchen auch andere Farben in meinen Werken auf. Ich glaube, dass Rot die menschlichste und auch die aufregendste Farbe ist – positiv wie negativ. Es ist eine martialische Farbe, eine politische Farbe, aber auch eine Farbe der Liebe. Auf Rot reagieren wir emotional.