5 Fragen an Michael von Jakubowski
In den 1980er Jahren trat eine neue Generation von Gestalter*innen an, um gegen die Grundsätze der „guten Form“ zu rebellieren. Mitten im Jahr des Bauhausjubiläums widmet sich das Marta Herford nun dieser letzten heroischen Designbewegung – der Postmoderne. Der sachkundige Experte Michael von Jakubowski stand dem Museum für die Ausstellung „Rebellische Pracht – Design-Punk statt Bauhaus“ als versierter Berater zur Seite.
Friederike Fast (F.F.): In den 1980er Jahren gründete dein Geschäfts- und Lebenspartner Rainer Krause die Kollektion „Anthologie Quartett“. Bereits im Jugendalter hatte er ein ausgeprägtes Interesse an Design – eine Leidenschaft, die der ausgebildete Apotheker schließlich zum Beruf machte. Wie kam es dazu und wie würdest Du Rainer Krause, der 2013 bedauerlicherweise viel zu früh verstorben ist, als Menschen beschreiben?
Michael von Jakubowksi (M.v.J.): Eigentlich begann alles mit einer Galerie in Hannover, die „Quartett“ genannt wurde und Designprodukte verschiedener Firmen wie Edra, Cassina oder Driade zeigte. Im Laufe der Jahre wurden speziell für die Galerie verschiedene Produkte von befreundeten Designern*innen entworfen. 1987 wurde daraus eine eigenständige Firma – die „Anthologie Quartett“.
Rainer als Mensch … liebevoll, ehrlich, intelligent, gebildet, zielstrebig, ordnungsliebend, überzeugend, vorausschauend – genau in dieser Reihenfolge.
F.F.: Ein großer Kern der Marta-Ausstellung besteht aus Entwürfen internationaler Designer*innen, die auf Einladung von „Anthologie Quartett“ entstanden sind. „Anthologie“ bedeutet so viel wie „Auslese“ – was waren die Anliegen und warum dieser Name?
M.v.J.: Der Name „Quartett“ kam zustande, weil vier Personen die Galerie gegründet haben. Im Laufe der Jahre wurde die Liste der eigens für die Galerie hergestellten Produkte immer umfangreicher, sodass 1987 eine eigene Kollektion daraus entstehen konnte – die Sammlung Quartett, also „Anthologie Quartett“. Wir haben es immer eine „Sammlung von Handschriften“ genannt, so individuell wie eine Handschrift sein kann, sind auch die Produkte … und die Menschen, die sie erschaffen haben.
Es war immer das Ziel, nicht nur Ideen in eine Richtung zu sammeln, sondern möglichst viele Tendenzen im internationalen Designgeschehen aufzuzeigen. Manchmal sind sehr skurrile Dinge dabei entstanden… Es gab nie eine Linie in der Kollektion; die Linie ist, dass es keine gibt. „Anthologie Quartett“ war sicherlich lange Zeit das „enfant terrible“ der Szene und zog so auch die unterschiedlichsten Designer*innen an, die ihre Entwürfe präsentierten. Newcomer wie Professionals bzw. manchmal wurden auch aus den Newcomern erst Professionals, wie z. B. bei Bořek Šípek, dessen erste Entwürfe für „Anthologie Quartett“ realisiert wurden.
F.F.: Rückblickend scheint es erstaunlich, dass mitten in der Peripherie im niedersächsischen Bad Essen ein so gewichtiger Ort für das europäische Design entstehen sollte. Welche Vor- und Nachteile ergaben sich aus diesem Standort?
M.v.J.: Die Frage wurde schon oft gestellt. Der Standort in der Provinz war ideal, die Verkehrswege waren erschlossen, es gab ein kleines Netzwerk an Hersteller*innen und Handwerksbetrieben. Es bedeutete Platz zu haben und garantierte eine hohe Lebensqualität. Ende der achtziger Jahre war es überall möglich zu arbeiten. Man musste nicht unbedingt in Stadtnähe seine Zelte aufschlagen, heute ist das gar kein Thema mehr.
F.F.: Bereits Ende der 1970er Jahre hatte Rainer Krause das Designbüro Superstudio aus Florenz mit dem Neubau der familieneigenen Bahnhofsapotheke in Lübbecke beauftragt, die als das erste postmoderne Gebäude in Deutschland gilt. Wie kam es damals zu dem Kontakt und wie konnte er das italienische Büro für dieses Projekt gewinnen?
M.v.J.: Superstudio war seit Ende der sechziger Jahre ein Begriff in der Architektur und im Design. Und seit der großen Ausstellung „Italy the new domestic landscape“ im MoMA in New York galten sie als Vertreter einer neuen Auffassung. Die Familie Astori / Driade führte in Mailand eine Art „Salon“, hoch über den Dächern der Stadt mit einem wunderschönen riesigen Dachgarten. Rainer war seit den 70er Jahren oft zu Gast und lernte so fast akzentfrei Italienisch sprechen. Man traf dort die ganze Architekten- und Designerriege in entspannter Atmosphäre an, ein kleiner Kreis, eine vertraute Runde.
So lernte Rainer auch Adolfo Natalini, einen der Hauptakteure von Superstudio kennen und beauftragte ihn für sich und seine Familie das neue Gebäude der Apotheke in Lübbecke zu bauen. Die Stadtväter davon zu überzeugen muss nicht einfach gewesen sein, und es gab Spitznamen wie „Waschmaschine“ oder „Pillenbunker“. Heute wirkt der Stil recht etabliert. Es ist immer noch eine tolle Architektur mit Aha-Momenten, auch in der Innenaufteilung. Aber in den 70ern war es revolutionär und vorweggreifend.
F.F.: Du kennst viele der Designer*innen persönlich. Was waren die markanten Merkmale dieser Zeit, was war in Deinen Augen das Radikale an diesen Entwürfen und was können heutige Gestalter*innen von ihnen lernen?
M.v.J.: Erst einmal war es eine gänzlich andere Zeit. Die Emanzipation war in vollem Gange, es hieß, die spießigen 60er und die immer noch recht konservativen und angepassten 70er Jahre auch politisch über Bord zu werfen. Es galt einen Bruch zu wagen, sich zu befreien von Normen und eingefahrenen Dingen. Aber auch ein gewisses Maß an Spiritualität spielte sicherlich eine Rolle. Es gibt immer Vorreiter*innen und Individualist*innen wie Natalini, Sottsass, Mendini, Castiglioni. Alle sehr unterschiedlich in ihren Gestaltungsaufassungen, aber alle lebten in derselben Zeit. Mit „Alchimia“ war es gelungen, etwas sehr anderes zu machen. Wenn man sich die „bau.haus art collection“ ansieht, weiß man, was die Stunde geschlagen hat: Viele Designer*innen entwarfen Dinge in einem seltsam bunten Stil. Aber Ettore Sottsass setzte mit Memphis dem ganzen noch die Krone auf, denn ihm gelang es, einen Stil zu prägen. Das hatte es lange nicht gegeben. Vielleicht das letzte Mal im Art Deco?
Wie sagte Karl Lagerfeld? „Ich hebe nichts auf – das ist Vergangenheit, ich bin in der Gegenwart und schaue in die Zukunft.“ Aber vom Vergangenen lebt ja dann ein Museum… Wenn ich die vielen Architektur- und Interieurzeitschriften heute durchsehe, ist wieder die Langeweile eingekehrt. So ist der Lauf der Dinge … Der sogenannte Vintage-Look und der Skandinavien-Stil – eine gewisse Müdigkeit … Something new? Packen wir es an…