5 Fragen an Roland Nachtigäller
Seit 2015 nutzen wir das Format „5 Fragen an“, um Künstler*innen vorzustellen. Erstmalig in der Geschichte des Blogs stellt sich heute Direktor Roland Nachtigäller unserem Interview und wirft einen sehr persönlichen Blick auf „sein“ Marta Herford während der Corona-Krise.
Ende Januar feierten in der Marta-Lobby noch rund 800 Menschen mit Lars Eidinger bei der „Autistic Disco“ – knapp zwei Monate später musste das Museum für den Publikumsverkehr schließen. Wie ist das Marta mit der plötzlichen Schließung umgegangen?
Wenn man zurückblickt, gibt es ja Vieles, was auch in der eigenen Betrachtung nicht mehr so richtig nachvollziehbar ist. Als die ersten Corona-Nachrichten Ende 2019 um die Welt gingen, haben wir uns weiter in der für mich jetzt wirklich nicht mehr nachvollziehbaren Illusion bewegt, dass China sehr weit weg ist. Falsch, wissen wir jetzt! Mit unserer globalisierten Lebens- und Wirtschaftsweise ist Wuhan genauso weit entfernt wie Castrop-Rauxel. Warum haben wir das nicht zu uns durchdringen lassen? Als viele hundert Menschen mit uns und Lars Eidinger eine Nacht im Museum durchgetanzt haben, möchte ich behaupten, dass in keinem einzigen Kopf Ende Januar der Gedanke kreiste, sechs Wochen später könnte fast das gesamte öffentliche Leben und damit auch jegliche nichtdigitale Kulturaktivität zum Erliegen kommen.
Nach der allgemeinen Schließungsverfügung des Kreises Herford zum 14. März 2020 haben wir noch einen Tag unsere bereits überwiegend ausbleibenden Besucher*innen persönlich an den Türen empfangen und bedauernd wieder nach Hause geschickt. Anschließend waren nur rund eineinhalb Woche nötig (gut gefüllt auch mit der Erledigung von Dingen, die mal wieder viel zu lange liegengeblieben waren) um in gemeinsamen strategischen Überlegungen mit unserem Betriebsrat eine Vereinbarung für umgehend einsetzende dreiwöchige Betriebsferien zu vereinbaren. Das war für viele Mitarbeiter*innen noch überraschend und bedurfte auch einiger sehr emotionaler Diskussionen, hat uns aber im Rückblick viel dabei geholfen, bisher noch recht glimpflich durch die Krise zu kommen. Dazu hat auch beigetragen, dass wir direkt im Anschluss eine museumsweite Kurzarbeitsphase vereinbaren konnten, die nun mit dem heutigen Tag glücklicherweise auch wieder endet.
Ob uns wirklich all diese sehr schnell und gemeinschaftlich mit dem Marta-Team umgesetzten Maßnahmen vor größeren Schäden und Einschnitten bewahren können, das werden erst die nächsten Wochen und Monate zeigen. Aber ich glaube, wir haben gerade auch im Blick der Öffentlichkeit sehr verantwortlich, schnell und ressourcenschonend reagiert.
Gibt es drei Kunstwerke, vielleicht auch aus unserer aktuellen Ausstellung „Glas und Beton“, die möglicherweise symbolisch auch für diese Corona-Krise stehen könnten?
Als ich während der Betriebsferien im Notdienst auch immer mal wieder einen Kontrollgang durch die Ausstellungen gemacht habe, die plötzlich im Halbdunkel von ihrem Publikum träumten, da wurde „Die Insel im Marta“ von Adrien Tirtiaux für mich zum einprägsamen Bild dieser Krisensituation. Mit großem zeitlichen Vorlauf und teils überbordenden Überlegungen zwischen kuratorischem Team, Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit, haben wir diesen neuen Raum im Marta entwickelt und vor allem voller Euphorie und mit überwältigender Publikumsbeteiligung eröffnet. Er ist als ein Ort gedacht, der sowohl Teil der laufenden Ausstellungen ist und sich jedes Mal wieder verändert, der sich aber zugleich auch als Jahresprojekt von einem*r Künstler*in und vor allem als partizipativer Prozess weiterentwickelt. Hier kann man lesen, arbeiten, diskutieren, bauen, reflektieren und zusammen aktiv sein, hier sollten als Höhepunkt des Rundgangs alle Energien der Ausstellungen zusammenströmen und die Besuchenden in ihrer eigenen Wahrnehmung und ihrem Gestaltungswillen bestärken und begleiten. Dass diese Insel als offene, geistige wie praktische Baustelle mitten im Entwicklungsprozess stillgelegt wurde, erschien mir fast wie eine Wunde im Haus und hat mich sehr beschäftigt. Was wird aus dem Gedanken des Gemeinschaftlichen, Teilnehmenden und aktiv Gestaltenden in Zukunft?
Dagegen stand und steht fast monolithisch die geradezu auratische Installation von Kai Schiemenz, die für mich mitten im Marta-Dom – erst recht in der Dämmerung des spärlich eintretenden Tageslichts – geradezu kathedralenhafte Ruhe verströmt. Seine Glas-Objekte ruhen auf eine Weise in sich, bewahren ein Geheimnis und verströmen so viel Kraft, dass ich ganz unabhängig von den weiteren Bedingungen immer wieder dorthin zurückkehre. So sehr ich die diskursiven, gesellschaftskritischen, sich einmischenden, künstlerischen Werke schätze und nach wie vor von höchster Wichtigkeit finde: Hier wird mir noch einmal auf schlagende Weise deutlich, welche kaum benennbare Energie, ja, ganz pathetisch wie viel Trost und Glücksversprechen in der Kunst liegen kann. Wenn Proportion mit Farbe und Form, mit Individualität und dem Unsagbaren auf ideale Weise verschmelzen, dann entstehen zumindest für mich Momente, ohne die ich nicht leben möchte
Das dritte Werk, was mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist und wohl auch noch eine ganze Weile exemplarisch für diese Zeit stehen wird, ist gar kein Kunstwerk, wurde auch nicht von mir entdeckt, sondern nur auf verblüffende Weise von meinem geschätzten Kollegen Reinhard Spieler in einem „Sprengel-Quarantäne-Clip“ ins Bewusstsein geholt. Die omnipräsente Darstellung des Corona-Virus’ ist eine reine Fantasie, eine harmlose Grafikidee, in der über Farben und Formen irgendwie ein Sinnbild für Bedrohung und schnelles Andocken gefunden werden sollte. Lange vor der Pandemie ging es um die Visualisierung eines neu entdeckten Virus’ für den wissenschaftlichen Diskurs, aus dem plötzlich und mit unkontrollierbarer Geschwindigkeit ein weltweit lesbares Icon für gesundheitliche Bedrohung geworden ist. Gibt es eine größere Veranschaulichung für die Macht von Bildern?
Wann wird das Museum wieder öffnen können und wie bereitet sich das Team auf die Wiedereröffnung vor?
Nach den vielen Ausschweifungen nun ganz praktisch und konkret: Das Museum Marta Herford öffnet erstmalig nach der coronabedingten Schließung am Dienstag, den 19. Mai 2020, um 14 Uhr. Wir freuen uns sehr auf die dann hoffentlich bald wieder zahlreich ins Haus zurückkehrenden Gäste. Basierend auf einem genauen Schutz- und Hygienekonzept erwarten wir die Besucher*innen mit einem klaren Wegekonzept, der generell geltenden Maskenpflicht, mit Aufforderungen und Möglichkeiten zur Handhygiene, mit Abstandsregeln und einer zahlenmäßigen Obergrenze für die einzelnen Bereiche – aber auch mit einigen schönen Willkommensgesten, kleinen Überraschungen, erwartungsfrohen Mitarbeiter*innen im Besucherservice, neuen, den aktuellen Freizeitbedürfnissen angepassten Öffnungszeiten und ersten vorsichtigen Gehversuchen mit – sehr kleinen, dafür dann aber auch sehr exklusiven – Vermittlungsversuchen. Darüber hinaus stehen alle im Haus in den Startlöchern, um in den ersten Tagen mit anzufassen, zu improvisieren und angemessen auf vielleicht auch noch Unerwartetes zu reagieren. Und es wird auch schon wieder möglich sein, einen Kaffee in der kupferbar beziehungsweise auf der idyllischen Terrasse über der Aa zu trinken!
Was kann der Museumsbetrieb aus der Corona-Krise lernen?
Eine große Frage, die sicherlich einen eigenen Blogbeitrag wert ist. Daher nur in aller Kürze und etwas kalenderspruchartig: Rechne mit dem Unerwarteten, wende die Unsicherheit zu einer positiven, kreativen Kraft und verlerne vor allem niemals das Staunen. Es hilft gerade in der Krise, bei sich zu bleiben, nicht vorschnell (ab) zu urteilen, respektvoll auf die Welt und ihre Akteurinnen und Akteure zu blicken und immer im Blick zu behalten, was man selbst zur Verbesserung der Umstände für alle beitragen kann.
Welche Auswirkungen hat Corona auf die weiteren Planungen für das Museum?
Ich greife den Appell der vorhergehenden Frage auf und wende es ins Positive: Es wird alles anders als geplant und erwartet im Marta! Wir werden unser Programm neu konfigurieren, vielleicht auch neu denken und unserem Publikum genau das bieten, womit wir uns diesen weit ausstrahlenden Namen gemacht haben: kreativ auf die Gegenwart reagieren, überraschende Standortverlagerungen anbieten und die Kunst als eine der wichtigsten Energien in der Welt für die Gestaltung der Zukunft weiter in den Mittelpunkt rücken – in welcher Form auch immer …
2 Replies to “5 Fragen an Roland Nachtigäller”
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Das sehe ich genauso man kann Wahrscheinlich
nur ziemlich kurzfristig planen und muss umdenken…bin gespannt was im MartA im weiteren Verlauf des Jahres passiert.
Das Event mit Lars und den vielen gut gelaunten Gästen war so toll und wir sind glücklich und sorgenfrei nach Hause gefahren mit Bock auf mehr davon !
Wir hatten soviel an an schönen Dingen geplant für 2020 Kunst Kultur und Natur .. und dann kam Corona. …
Aber ich bin gespannt auf die Ausstellung. Bis bald also , bleibt alle gesund !
( eine Skulptur Installation hat mich schon inspiriert zu einem neuen Kunstwerk in meinem gartenz
Liebe Grüße
ich bin froh, dass ich merke , wie das eingebundensein in eine immer noch geheimnisvolle und magische welt der kunst heilsam mit uns umzugehen vermag. dass wir auch in diesem globalen krankheitsgeschehen in einer verheissungsvollen ebene miteinander verbunden sind. mut und trost finden trotz isolation —auch durch so etwas wie diesen blog.