5 Fragen an Tanja Seiner
In „Kreaturen nach Maß – Tiere und Gegenwartsdesign“ im Marta Herford, entwerfen Designer- und Künstler*innen neue Perspektiven auf die komplexe Beziehung zwischen Menschen und Tieren. Marta-Kuratorin Friederike Fast sprach mit der Münchener Gastkuratorin Tanja Seiner über das Ausstellungsprojekt.
Tiere begegnen uns bereits in frühzeitlichen Höhlenzeichnungen und begleiten die Menschen seit jeher – ob als Teil archaischer Rituale, als Ressource und Jagdtrophäe oder als sozialer Gefährte. Das Thema ist dementsprechend umfassend und ausführlich behandelt in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Was war für Dich der Auslöser, Dich damit zu beschäftigen?
Ich lebe in München, Wohnraum ist hier sehr knapp. Dennoch scheint es vielen Menschen ein Bedürfnis zu sein, ihren Lebensraum mit Tieren zu teilen. Als Designerin habe ich mich gefragt, was es denn für die Gestaltung von Wohnräumen und städtischen Lebensräumen bedeutet, wenn wir diese mit Tieren teilen. Andererseits wurde zum Beispiel der städtische Schlachthof von München ins Umland verlegt. Damit wird es vielleicht immer abstrakter für uns, woher die tierlichen Produkte, die wir konsumieren, tatsächlich kommen. Diese Gegensätzlichkeit in unserem Umgang mit Tieren und die Bedeutung, die Tiere in unserem Alltag haben, ohne dass uns dies vielleicht bewusst ist, finde ich sehr spannend.
Allein in Deutschland gibt es mehr als 34 Millionen Haustiere (Tendenz steigend) und einen entsprechend riesigen Markt für den Heimtierbedarf. Warum, glaubst Du, ist das menschliche Bedürfnis so groß, sich mit Tieren als sozialen Gefährten zu umgeben?
Die Gründe sind vielschichtig und ich kann darüber nur spekulieren. Es mag ein Grund sein, dass wir älter werden, zunehmend alleine leben und die unbekümmerte Gesellschaft eines Haustiers genießen, das Lebendigkeit ausstrahlt. Wie auch einige der Beiträge in „Kreaturen nach Maß“ aufzeigen, gibt es aber ganz unterschiedliche Vorstellungen von tierlichen Gefährten – vom preisgekrönten Meerschweinchen bis zum Sportkameraden für Ausflüge im Freien, vom liebkosenden Hund bis hin zum Insekt, das die Fähigkeiten unserer Sinne erweitert.
Tierliche Materialien spielen nicht nur in der Mode eine Rolle, sondern befinden sich auch in zahlreichen industriellen Produkten. Vor allem in Medizin und Wissenschaft haben sich jedoch in den letzten Jahren neue Möglichkeiten tierlicher Ressourcenverwendungen eröffnet. So kommt die Seide von der Seidenspinne in der Chirurgie zum Einsatz oder Organe wachsen in Schweinen heran, um sie anschließend Menschen einzupflanzen. Wie transparent sind diese Prozesse und lässt sich überhaupt noch eine klare Grenze zwischen Menschen und Tieren ziehen?
Rein biologisch gesehen sind wir Tiere – insofern macht uns die Implantation von Organen anderer Tiere nicht „tierlicher“. Die Frage der Auflösung der Grenzen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren ist eher eine kulturelle, religiöse oder philosophische. Je nachdem welches Weltbild oder welchen Kriterienkatalog man der Frage zugrunde legt, werden die Antworten daher verschieden ausfallen. Vielleicht wäre es ein Ansatz, das spezifisch Menschliche im Umgang mit anderen Tieren zu suchen? An den von Dir genannten Beispielen zeigt sich, wie wichtig eine Debatte darüber ist. Ist es ein Erfolg oder Rückschritt, wenn wir Tiere als Organbanken nutzen können? Worin genau liegen die Unterschiede, wenn wir ein Schweineherz implantiert bekommen oder ein Steak verzehren? Und wie verhalten wir uns als Individuen und als Gesellschaft dazu?
Einige der Ausstellungsstücke richten unseren Blick in die Zukunft. Sie malen aus, dass die heutigen Methoden der Genforschung eine Welt für uns bereithält, bei der wir uns fragen müssen, ob sie uns eigentlich gefällt. Wir haben während der Ausstellungsvorbereitungen lange darüber diskutiert, ob diese neuen Kreaturen, die Wissenschaftler*innen schaffen, überhaupt noch als Tiere bezeichnet werden können. Besitzt diese Kategorie in Zukunft noch Gültigkeit?
Es zeigt sich aktuell in verschiedenen Bereichen, dass Kategorien und Normierungen von Lebensformen verschwimmen: Genderkategorien werden ebenso infrage gestellt wie der Begriff des Menschen durch technische Erweiterungen (Transhumanismus) oder den Einsatz künstlicher Intelligenz. Insofern ist es gut möglich, dass wir in Zukunft mit einer immer größeren Zahl an Lebensformen und Kategorisierungen zu tun haben! Dieser scheinbare Zugewinn an Vielfalt könnte aber auch ein Nachteil sein, z. B. wenn wir Lebewesen mit einer erhöhten Geschwindigkeit und Effizienz, wie es die Gentechnologie heute ermöglicht, für unsere Zwecke optimieren und normieren.
Die meisten Exponate dieser Ausstellung sind nicht unbedingt das, was man unter klassischem Industriedesign versteht. So gibt es Dokumentationen von Experimenten, konzeptionelle Arbeiten oder auch zahlreiche spekulative Projekte. Viele der Teilnehmer*innen bewegen sich auch an der Grenze zur Wissenschaft oder der Kunst. Welche Rolle spielen Deiner Meinung nach Designer*innen für unsere Gesellschaft?
An den Werken zeigt sich, wie Designer*innen heute zunehmend die Folgen menschlichen Handelns in den Fokus nehmen, z. B. wenn sie in fiktiven und spekulativen Szenarien potenzielle Auswirkungen neuer Technologien thematisieren. Es geht hier weniger um die Gestaltung von Produkten als vielmehr um das Sichtbarmachen von Gestaltungszusammenhängen, die unsere gegenwärtige und zukünftige Lebensumgebung prägen werden. Dies hilft uns darüber nachzudenken, wie wir eigentlich leben wollen und wie dies gelingen kann.