Venedig sehen (und vergessen)
Das Biennale-Venedig im Herbst – eine Erfahrung, die man als Ausstellungsmacher oft erst relativ spät macht, da in den ersten Jahren das Zusammentreffen mit den Kollegen, sehen und gesehen werden, Empfänge und Partys, das frische Urteil und der entdeckte Geheimtipp fast genauso wichtig erscheinen wie ein konzentrierter Blick auf die Werke.
Doch wenn die Platanenblätter in den Giardini fallen, ist mitnichten alles vorbei, auch läuft man schon lange nicht mehr allein durch langsam von Feuchtigkeit und einziehendem Verfall gezeichnete Pavillons. Noch immer schaut eine erstaunliche Anzahl von Besuchern täglich durch diese Großausstellung, die auch im Herbst ihre betörende Leichtigkeit und Leuchtkraft – ganz unabhängig von den kuratorischen Leistungen – nicht verloren hat. Man flaniert, nun bei niedrig stehender Sonne, angenehmen Temperaturen und kürzer/kühler werdenden Abenden.
Und doch ist der Besuch anders als in der Hitze der Eröffnungstage. Denn ich komme nun mit Vorwissen, Fotos und Kritiken im Kopf, Hinweisen und Erzählungen von Freunden. Wie also schreibe ich eine Bilanz für das Blog? Auf jeden Fall sehr subjektiv und mit anderen Schwerpunkte. Zum Beispiel die Länderpavillons im Schnelldurchgang:
Deutschland – ehrbar, aber Hito Steyerl frisst sie alle
Frankreich – zynisches Baumballett
England – spätpubertär
Kanada – erst reibt man sich die Augen, dann schaut man gebannt dem Geld hinterher
Russland – finster, in jeder Hinsicht
Korea – eiskalt, faszinierend, rätselhaft
Schweiz – noch mehr Spekulation über anonyme Materialien
Spanien – kurz vor dem kuratorischen Overkill
Norwegen – großes Scherbengericht mit Theaterdonner
Dänemark – Bedeutungshubern in schönstem Ambiente
Uruguay – überraschende Antithese: ein Labyrinth der Aufmerksamkeit frei von Erklärungen
Israel – enttäuschende Assemblage über die Heimatlosigkeit
USA – der Mantel des Schweigens war nie nötiger
Australien – Bescheidenheit war gestern, hier wird die Künstlerin pompös begraben
Österreich – umwerfend, der schönste Alpenlandbeitrag ever
Polen – immer wieder Film, extrem breit, konsequent, klug
Rumänien – was für eine Malerei, was für eine Präsentation, aber geht das?
Griechenland – selten wurde die Lage eines Landes so schmerzlich präzise enthäutet
Und sonst? Über die zentrale Ausstellung „All the World’s Futures“ von Okwui Enwezor ist eigentlich alles gesagt worden und der große Tenor hat sich auch mir bestätigt: Unkonzentriert, eher überladen, ohne sensible Dialoge und Konfrontationen, ein politisch ambitioniertes Rauschen mit bekannten und vielen unbekannten Akteuren. Nur wenig bleibt nachhaltig in Erinnerung, sowohl positiv wie auch negativ. Zum Beispiel?
Obowohl direkt im Zentrum des ehemaligen italienischen Pavillons gelegen, gelangt man diesmal erst über die Seitenflügel in den zur „Arena“ umgebauten Saal. Es hat etwas anrührendes, wenn hier drei Männer am schwarzen Tapeziertisch auf dem riesigen, mit knallrotem Teppichboden ausgeschlagenen Bühnenpodest vor einem Macbook sitzen, um im Rahmen der „School of Kapital“ vor mehr oder weniger leeren Rängen mit einer griechischen Künstlerin zu skypen. Weniger der kritische Diskurs selbst scheint im Mittelpunkt zu stehen als dessen elegante Inszenierung. Das ist erstaunlicherweise bei dem sehenswerten neuen Film von Isaac Julien genau andersherum: Zwei Flachbildschirme im belebten Durchgang ersetzen diesmal seine sonst so einnehmenden Projektionsräume. Auch die einst so herausfordernden Brachialinstallationen von Thomas Hirschhorn domestiziert diese Biennale zu einem harmlosen Bühnenstück einer immer mehr zum Selbstzitat verkommenden Tape-, Papp- und Styroporschlacht. Bei so viel explizitem Mühen um radikale Haltungen erscheint das dreiteilige Video von John Akomfrah geradezu als Lichtblick am Ausgang, dessen Montage über das Meer die ganze Spannweite zwischen existenzieller Begegnung, kitschigem Sehnsuchtsort und hartem ökonomischen Schlachtfeld zur Kollision zwingt.
Auch der Gang durch die Corderie der Arsenale wirkt eigentümlich leidenschaftslos. In Erinnerung bleibt mir aber die Installation von Thea Djordjadze, deren spröden Arrangements ich vor Jahren noch wenig abringen konnte und die mich immer mehr durch ihre äußerst präzise Arbeit mit Räumen und merkwürdigen Objekten fasziniert. Auch die wie eine politische Aktualisierung der Fantasien von Panamarenko wirkenden Zeichnungen von Abu Bakarr Mansaray bleiben mir nachhaltig im Kopf. Überhaupt sind es die Momente, bei denen man sich im großen Palaver dieses Kunstparcours plötzlich in eine Welt einliest oder -sieht, die diesmal den etwas faden Besuch der Biennale würzen: die komplexe Bild- und Verweiswelt von Qiu Zhijie zum Beispiel, der ebenso meditative (Bild) wie grausame (Ton) Doppelfilm von Steve McQueen oder die delikaten und höchst ästhetischen Vitrinen von Ricardo Brey. Geradezu ins Gedächtnis eingebrannt hat sich mir das in eine sakrale Rauminszenierung eingebundene Video von Theaster Gates, dessen knallend niederschlagende Türen in einer halbzerstörten Kirche in Chicago einen schweren, asynchronen Rhythmus erzeugen, der mehr sagt als alle Erklärungen über Rassenunruhen und den sozialen Niedergang in der ehemaligen Boomstadt.
Und dann, noch lange nicht am Ende, aber irgendwie trotzdem wie ein Schlusspunkt installiert: Georg Baselitz – riesig, auftrumpfend, überwältigend und … gut. Ich war wirklich verblüfft und hatte nach den Diskussionen im Vorfeld Anderes erwartet, auch wenn diese Ausstellung in der Ausstellung für den thematischen Bogen in der ehemaligen Seilerei eine kuratorische Katastrophe ist. Doch auch gegen Pathos und große Geste gibt es Gegenmittel wie das seltsame, witzige Video im Hinterzimmer einer Perlenfabrik von Mika Rottenberg. So könnte man noch lange durch diese Biennale streifen und rückblickend dieses interessant, jenes misslungen und drittes großartig finden – allein, die Werke gelangen nicht in den Fluss, aus der Ansammlung von Hunderten von Beiträgen wird keine geschlossene und damit überzeugende Ausstellung.
Also geht es am letzten Tag nochmal auf die berüchtigte Trüffelsuche in der Lagunenstadt. Was jedes Mal wieder funktioniert: Unterwegs zu den zahlreichen Länderpräsentationen in den verwinkelten Gassen gelangt man immer wieder in grandiose Höfe und umwerfende Palazzi. Natürlich schafft man lange nicht alles (der Katalog listet allein 80 „Partecipazioni Nazionali“ und „Eventi Collaterali“ in der Stadt auf) und von meiner Tour sind vor allem eine fantastische historische Bibliothek mit großartigen Schnitzereien in Erinnerung geblieben, die wunderschönen Terrazzoböden und der Skandal, dass bei der gleich nach Eröffnung wieder geschlossenen temporären Moschee von Christoph Büchel in einer säkularisierten Kirche für die Besucher nicht einmal ein Hinweis zu den Vorgängen um den isländischen Pavillon zu finden ist.
Und dann hatte ich mich noch auf die Ausstellung von Peter Doig in der Fondazione Bevilacqua gefreut. Und was soll ich sagen? Die Südsee ist sicherlich ein wunderbarer Lebensraum, aber für die Weiterentwicklung europäischer Künstler (wir kennen das schon von Gauguin) nicht unbedingt der beste Kontext. Diese Ausstellung macht ratlos bis traurig, zwei, drei großartige, komplexe und farbintensive Malereien stehen einer Reihe von kraftlosen, wenig durchgearbeiteten Bildern gegenüber, die alles andere als ein Aufbruch sind. Aber vielleicht ja Zeugnis einer Suche – sodass man sich auf die Ausstellung in fünf Jahren freuen könnte …
Fast zufällig – und das geschieht mir in Venedig trotz vieler Aufenthalte immer noch – stand ich dann vor dem Palazzo Fortuny, in dem der belgische Sammler und Antiquitätenhändler Axel Vervoordt seit Jahren zur Biennale seine Schätze präsentiert. Fußten diese Ausstellungen anfänglich auf einem – zumindest mir – allzu sentimentalistischen Wunderkammer-Prinzip, das edle Möbel in dunklem Ambiente mit den Heroen des 20. Jahrhunderts, Mitschriften, Karten, ethnologischen Trouvaillen und Gegenwartskünstlern zusammenbrachte, so hat sich dieses Haus zu einem veritablen Ausstellungsort gemausert. Die aktuelle Präsentation unter dem Titel „Proportio“ vermag es tatsächlich, mit den noch immer gleichen Ingredienzien das Thema von Proportion und Perspektive anschaulich, verblüffend, leerreich und faszinationsstark mit mehr als 200 Werken quer durch die Kulturgeschichte(n) zu befragen. Geschickt und klug kombiniert mit einem einladenden Vermittlungskonzept, mit Büchern und Leseecken, mit Ruhe- und Aussichtspunkten über die venezianischen Dächer verlässt man diesen Palazzo am Ende des Tages nicht nur bereichert, sondern wirklich voller Bilder, Gedanken und Impulsen für die weitere Auseinandersetzung.
Und dann ist es auch schon wieder höchste Zeit für Vaporreto zum Flughafen – und vergessen werde ich auch diesen Kunststreifzug noch längst nicht …
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