Autonomie als Kunst – zwischen Haltung und Fall
Die aktuelle Marta-Ausstellung „Haltung und Fall“ ruft dazu auf, selber Haltung zu beziehen. Mich inspirierte die kürzlich von Wolfgang Ullrich beobachtete Instrumentalisierung von Autonomie durch rechtskonservative Künstler*innen dazu, der drängenden Frage nach einer heutigen selbstkritischen Haltung nicht auszuweichen.
Nicht erst seit heute befinden sich Künstler*innen und Betrachtende in einem freien Fall. Seit der Postmoderne gilt: Nicht jede*r ist ein* Künstler*in, aber alle haben eine Kompetenz, sich Begriffe, Methoden und Ideen von älterer Kunst anzueignen. Wer die speziellen Produktionsmittel der Kunst für seine eigenen (politischen) Zwecke kapert, bezieht Stellung und nimmt eine Haltung ein, die viele bisherigen Ideale hinterfragt und in ihrem Wahrheitsanspruch unterwandert. Nichts anderes geschieht gerade durch die Versuche rechtsorientierter Denker*innen, Ideolog*innen und Künstler*innen, die sich gerne als Opfer und Außenseiter*innen gegenüber von liberalen Einstellungen inszenieren. Aber auch viele andere Akteur*innen der globalisierten Kunstwelt könnten mit der Idee der Autonomie nicht mehr viel anfangen, die freie Künstler als Agenten einer privilegierten Klasse verstehe, so jüngst Wolfgang Ullrich (Wolfgang Ullrich in der ZEIT v. 16. Mai 2919, S. 42).
Verlust der Unschuld
Die heutigen Versuche besonders von Nationalkonservativen, die Autonomie für ihre Propaganda zu transformieren, kann man verdammen oder subtil dekonstruieren: „Die Kunstautonomie, zwei Jahrhunderte lang das Ideal gerade linker und liberaler Milieus, wechselt die Seiten. Plötzlich passt sie besser in das Weltbild von Rechten.“ Paradoxerweise, so Ullrich, diene Kunst heute nicht der Veranschaulichung rechter Thesen, es gebe keine rechten Bildwelten, doch der Begriff der Autonomie gerät nun mehr und mehr unter den Einfluss rechten Denkens. Hierzu eine eigene Haltung zu entwickeln wird notwendiger denn je. Die geistige Herausforderung liegt gegenwärtig offenbar darin, dass die Autonomie von Kunst ihre Unschuld verloren hat und von jeder Position aus neu verhandelt und damit wohl oder übel instrumentalisiert werden kann. Oder um von der „Bühne“, einem Werk von Christian Falsnaes in der aktuellen Ausstellung, zu sprechen: Könnten die Besucher*innen hier überhaupt noch eigenständig Haltung zeigen oder haben sie sich nicht bereits der Allmacht von Kunst und den Befehlen der Künstlerin, bzw. des Künstlers restlos ergeben?
Wunsch nach Widerspruch – eine eigene Haltung
Ullrichs Diagnose der heutigen Situation ist zutreffend, auch wenn sie gerade von Kolja Reichert in der F.A.Z. (30. Juni, S. 33) als zu wenig eindeutig kritisiert wurde. Wenn schon die Kunstautonomie von rechts uneindeutig und unbestimmt transformiert wird, dann gilt es heute umso mehr, die Kunst vor ihrer politischen Vereinnahmung zu erretten. Indem die rechte Kunst und Kultur auf Ausgrenzung beruhen, wird die Frage offenbar, die auch die Ausstellung „Haltung und Fall“ stellt, ohne sie direkt zu beantworten: Wie reagieren Künstler*innen und Kunstvermittelnde in einer politisch brisanten Situation auf eine Weise, die die Werke der Kunst eben nicht instrumentalisiert, sondern das Publikum dazu animiert, eine eigene Haltung zu finden? Dieser Anspruch ist zugegebenermaßen hoch, aber in einer Zeit, in der mündige Bürger*innen tendenziell mehr und mehr zu Konsumenten von Social Media werden, können Erwartungen an die eigene „Weiterbildung“ wahrscheinlich nicht hoch genug sein, um die kritische Energie von Autonomie weiterhin lebendig zu halten. Autonomie bewegt sich heute offenbar zwischen Haltung und Fall, zwischen der Gnade sich einen eigenen Standpunkt fern von fremden Vorgaben zu erarbeiten und der geistigen Freiheit des Medienkonsumierenden heute viele unterschiedliche und widersprüchliche Haltungen zur Kenntnis zu nehmen.
Freiheit und Fall
Zum Anspruch von Autonomie gehört es auch, dass die Gesellschaft sich an Positionen abarbeitet, die Kunst als gesellschaftliches Ferment ernst nehmen und dabei nicht die Talente von Einzelnen gegen die Angst vor einer Masse von Fremden ausspielt. „Die Macht der Kunst liegt nicht in der Absicherung von Identitäten“, warnt jedoch Kolja Reichert in der F.A.Z. Wohl aber in der gelingenden Ausübung von – noch zu bestimmenden – Freiheitsspielräumen, die dem einzelnen Menschen die Freiheit zugesteht, auch die Freiheit der Kunst nicht zu unterwandern oder fremd zu bestimmen. Sich im Namen von Freiheit als unfrei gegenüber sich selbst zu erweisen, kann funktionieren – aber nicht im Namen der Freiheit zur Kunst. Der Fall, den Kunst einkalkuliert, besteht nicht in der Absicherung der eigenen Haltung.