5 Fragen an Alexander Roth
Alexander Roth alias „neue“ ist Typograf und Schriftgestalter. Für „Marta Open Air“ hat er die Pop-Up-Ausstellung „Markante Typen“ auf der Plaza entwickelt, die sich ganz diesem Genre widmet.
Ausgehend von der prominenten Marta-Hausschrift, Swift von Gerard Unger, hat er sich auf die Spuren von 101 Jahren niederländischem Schriftdesign begeben. Als Schriftgestalter beschäftigt er sich aber nicht nur historisch mit Schriften, sondern entwickelt vor allem auch eigene.
Wir gehen jeden Tag ganz selbstverständlich mit verschiedenen Schriften um, entscheiden uns im Schreibprogramm oft zwischen altbekannten wie Times New Roman, Arial oder Comic Sans oder versuchen uns mit seltener gewählten Schriften zumindest etwas abzusetzen. Aber selber eine Schrift zu entwickeln können sich viele von uns vermutlich kaum vorstellen. Welche Überlegungen und Arbeitsschritte gehören dazu?
Die Überlegungen sind glücklicherweise je nach Auftraggeber*in unterschiedlich. Bei der Unternehmensschriftart für BMW Motorrad ging es darum die Markenkernwerte gestaltungspsychologisch zu interpretieren und eine Formensprache zu erarbeiten, die sie reflektiert. Bei der Schrift für das schwedische Textilunternehmen H&M stand die Verbindung aus Klassik und Moderne im Fokus. In diesem konkreten Fall bestand die Schriftlösung aus zwei Schriftfamilien mit den bezeichnenden Namen HM Heritage und HM Modern. Das Projekt für das Dortmunder U hatte wiederum eine paläotypografische Komponente: Aus einem bereits existierenden Artefakt — dem »U« auf dem U-Turm – sollte ein komplettes Alphabet abgeleitet werden, dass die vorhandenen Gestaltungselemente aufnimmt und auf alle restlichen Zeichen des Alphabets streut. Die Schriftfamilie »U« ist in zwei Stilen entwickelt worden: Zum einen die »U Display« für plakative Anwendungen und die »U Text« für Fließtexte und das Wegeleitsystem. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Ziffern gelegt. Sie sollen die Identität der Marke »Dortmunder U« über die üblichen Anwendungen hinaus bis auf Kassenbons transportieren.
Was bedeutet Typografie für Dich? Was macht eine gute Typografie aus? Vielleicht hast Du auch eine Lieblingsschrift oder eine, von der Du Dir wünschst, Du hättest sie selbst gestaltet?
Ich würde zuerst zwischen Typografie und Schriftgestaltung unterscheiden. Typograf*innen sind die Maurer*innen, Schriftgestalter*innen die Backsteinbrenner*innen. Typografie hat viele Wesenszüge der Ergonomie: Die Wahl der Maße des Trägermediums, dessen Proportionen, die Abmessungen der Stege, die Zeilenlänge, die Schriftart, die Schriftgröße und der Zeilenabstand sind so zu wählen, dass das Lesen besonders komfortabel ausfällt. Wenn das geschieht, ist das gute Typografie im klassischen Sinne. Auch in der Schriftgestaltung geht es vordergründig um die Einhaltung von Lesekonventionen. Könnten wir eine Schrift nicht lesen, wäre sie keine Schrift. Wäre das jedoch das einzige Kriterium, würden alle Schriften gleich aussehen. Entsprechend sind Faktoren, die einer Schrift eine gewisse Einzigartigkeit verleihen oder in der Lage sind eine Stimmung zu transportieren heutzutage ebenso wichtig. Eine Schriftart, die es schafft zu funktionieren und außerdem noch etwas zu »erzählen« ist die Antique Olive von Roger Excoffon. Meine absolute Lieblingsschrift, die ich in meiner Masterarbeit an der Königlichen Akademie für bildende Künste in Den Haag habe neu denken wollen. Dabei entstanden ist die »Uoma«. Trotz ihrer vielen Unterschiede, ist eine formale Ähnlichkeit zwischen den beiden Schriftarten unverkennbar.
Für „Markante Typen“ hast Du Dich mit vorhandenen Schriften auseinandergesetzt. Was war dabei ausschlaggebend für Deine Auswahl?
Wie jede Art kuratorischer Arbeit ist auch die vorliegende Auswahl subjektiver Natur. Geprägt durch persönliche gestalterische Präferenzen und begrenzt durch den eigenen Wissenshorizont. Von Gerard Unger ausgehend — dem Gestalter von Martas Hausschrift »Swift« — wurde versucht eine Ausstellung zu entwerfen, die die lange Tradition niederländischer Schriftgestaltung abbildet, das möglichst facettenreich, visuell eindrücklich und leicht zugänglich. »Markante Typen« ist keineswegs eine Bestandsaufnahme, sondern lediglich ein Einblick in die Welt der Schrift und ihrer Macher. Folglich wurde hier auch mittels weiterer Literaturempfehlung versucht auf Akteur*innen aufmerksam zu machen, die in der Ausstellung keinen Platz gefunden haben.
Wir sehen hier Schriften niederländischer Designer. Gibt es markante Unterschiede wie sich Designer*innen unterschiedlicher Länder mit Schrift auseinandersetzen?
Ja, die gibt es in der Tat. Abgesehen von den offensichtlichen Unterschieden zwischen Schriftsystemen wie dem Lateinischen, Arabischen, Chinesischen, Indischen, etc., die in ihren Formen, ihren Schreibwerkzeugen, ihrer Leserichtung und ihrem Umfang unterschiedlich sind, lassen sich auch explizit am lateinischen Alphabet leichte nationale Unterschiede zwischen einzelnen Ländern beobachten. Das fängt beim Vorzug eines bestimmten Schreibwerkzeugs (Schwellzugfeder oder Breitfeder) und/ oder eines bestimmten Schriftgenres an und reicht bis zur »landestypischen« Gestaltung einzelner Zeichen. Die niederländischen Schriften zeichnen sich durch ihre besonders humanistische Formensprache aus. Schrift kommt vom Schreiben und das sieht man den Formen auch an. Im Gegensatz zu schweizerischen Schriften: Dort ist die Schriftform viel mehr vom Schreibwerkzeug entfernt. Die Schriften wirken eher konstruiert als geschrieben. Diese Generalisierung ist lediglich als Werkzeug zu verstehen, um meinen Punkt klarzumachen. Natürlich gibt es immer Ausnahmen und gegensätzliche Bestrebungen.
Erster Anknüpfungspunkt war wie schon genannt die Schrift „Neue Swift“, die Gerard Unger in den 80 Jahren entworfen und in den 90er Jahren nochmal optimiert hat. Was macht diese Schrift aus — kannst Du uns darüber etwas berichten?
Die »Swift« ist eine von Gerard Ungers bekanntesten Schriftarten. Sie gilt als Designklassiker und wurde ursprünglich für den Zeitungsdruck entwickelt, wo besonders schnell, auf grobem Papier bei geringer Auflösung gedruckt wird. Daher die robuste Erscheinung der Schrift. Es sollte verhindert werden, dass Teile der Schrift »wegbrechen« und unleserlich werden. Der Name »Swift« geht auf die Vogelfamilie der Segler zurück, die in der Lage sind in der Luft blitzschnell ihren Kurs zu wechseln. Eine schöne Metapher für die Formensprache der Schrift: die Linienführung weist keine Übergänge auf und wechselt dem Vogel gleich schlagartig die Richtung. So schön die »Swift« auch ist, sie ist Marta nicht auf den Leib geschneidert. Wie eine hauseigene Marta-Schrift aussehen könnte, ist eine faszinierende Frage, die es hoffentlich irgendwann zu beantworten gilt.