Mit mir auf Augenhöhe
Die Metapher der Augenhöhe, auf der wir einander gemeinsam begegnen können sollen, ist – zugespitzt gesagt – eine fromme Illusion oder soziologisch formuliert: ein Versuch, die real herrschenden Machtverhältnisse und deren andauernde Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft zumindest sprachlich unsichtbar und für die Einzelnen nicht allzu schmerzhaft erscheinen zu lassen.
Wer wirklich auf Augenhöhe mit einem Gegenüber sprechen könnte, der fühlte sich vor allem ernst genommen; sie*er möchte daran glauben, dass es möglich sei, die real vorhandenen Unterschiede von Macht und sozialem Status wenigstens zeitweise zu überbrücken. Dieses Wunschbild suggeriert ohne Zweifel einen Moment von erfolgreich zu lebender Utopie. Doch die einst von Jürgen Habermas sogenannte herrschaftsfreie Kommunikation endet in der gegenwärtigen sozialen Realität – häufig schneller als gedacht – meistens dort, wo die Macht-Ansprüche der jeweils Anderen beginnen …
Warum ist diese Metapher aber gerade heute in vielen sozialen Kontexten so beliebt? Ganz einfach: weil sie in der unsicheren Zeit von heute so positiv klingt und einleuchtend-gerecht anmutet – aber letztlich doch auch ziemlich bequem erscheint. Die Frage warum diese Metapher so regelmäßig in Anspruch genommen wird, sagt bereits einiges über unsere inklusive Gesellschaft aus, die dieses Bild nicht selten wie ein wiederkehrendes, scheinbar aufgeklärtes Mantra benutzt. Ihr gerade im Bildungs- und Museumsbereich verwendeter Gebrauch entlastet davon, sich selbst womöglich eher unbequeme Fragen zur eigenen Identität zu stellen.Wo liegt nun aber für mich eigentlich genauer der hohe Anspruch, der Maßstab dessen, was der Begriff „Augenhöhe“ ja höchstens als ein offenes Bild andeutet? Und vor allem: Wie kann man anderen auf einer gemeinsamen Augenhöhe begegnen, wenn wir als einzelne Individuen nicht selten unser ganzes Leben brauchen, um uns selbst angemessen kennenzulernen?
Hand aufs Herz – auch wenn immer und überall der Gedanke des Teams und des gemeinsamen Austauschs betont wird: Lebt nicht jede*r auch auf unterschiedlichen Höhen von eigenen Begabungen, eigenen Ansprüchen und eigenen Erwartungen? Sollten wir hier nicht ehrlicher gegenüber uns selbst werden? Um hier nicht missverstanden zu werden: Wir leben – jeweils vereinzelt – unter dem täglichen Druck einer durch strukturelle Macht und Abhängigkeit geprägten Gesellschaft und müssen deren Bedingungen kritisieren dürfen – so unbequem-anstrengend es dabei auch für mich und die vielen anderen werden kann. Aber auch so entlastend, wenn wir für dieses Dilemma überhaupt eine Sprache, eine Form des wechselseitigen Austausches finden könnten.
Vielleicht sollte die wohlfeile Metapher der gemeinsamen Augenhöhe doch probehalber einmal an an ihrem eigenen Anspruch gemessen werden. Dann entstünde plötzlich eine wirklich spannende Frage nach meinen selbst definierten Ansprüchen: Wie kann ich selbst mir auf Augenhöhe begegnen und welche Schlussfolgerungen würden sich – für mich und für andere – daraus ergeben? Eine Antwort auf die Frage einer eigenen Augenhöhe kann uns keiner abnehmen – wir müssen sie schon selbst entdecken. „Meine Augenhöhe“ funktioniert dabei wie ein relativ hoher Selbstanspruch: einen inneren Maßstab meiner Frage, wie ich mich selbst ermächtigen kann und ob ich mich dabei – mir selbst und gegenüber anderen – eher unterfordert oder überfordert, noch frei oder schon unfrei, fühle.