Architekt Michael Schumacher plädiert für Rückbau der Straßen
Beim 26. Herforder Architekturgespräch ging Prof. Michael Schumacher den Fragen nach, was eine Stadt lebenswert macht und welche damit verbundenen Änderungen in der Stadtplanung dringend notwendig sind.
Was macht die Attraktion einer Stadt aus, in der immer mehr Menschen einen Lebensraum suchen oder aus verschiedenen Gründen dort leben? Schumacher (*1957), der in Frankfurt lebt und seit 2007 eine Professur für Entwerfen und Konstruieren an der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover innehat, schlug in seinem Impulsvortrag mit dem Titel „Stadtluft macht frei“ einen großen Bogen: angefangen bei der mittelalterlichen Stadt über verschiedene, auch utopische Entwürfe bis hin zu charakteristischen Beispielen aus Europa, Amerika und Asien. Er thematisierte das heutige Wunschbild vom Leben in der Stadt und wie sich diese Vorstellung über die vergangenen Jahrzehnte bis heute gewandelt hat. Eine Stadt „braucht Geschichte und Geschichten, die auch sichtbar gemacht werden müssen“, so Schumacher.
Symbole, Urbanität, Grünräume, Plätze
Bedeutsam seien darüber hinaus Elemente, die einem Ort eine gewisse „nicht zu eindeutige Prägung“ gäben, und „signifikante Symbole“, z.B. der Kölner Dom oder die Hamburger Elbphilharmonie, natürlich ebenso weniger namhafte Bauten. Auch Urbanität mache die Stadt lebenswert. Oft entstehe ja gerade an „unschönen Ecken“, an denen sich nach und nach z.B. kulturelle Strukturen und kleine gastronomische Betriebe ansiedeln, eine attraktive Atmosphäre, in der sich Menschen gerne aufhalten. Ebenso gab Michael Schumacher Beispiele von öffentlichen Grünräumen und Parks sowie von Plätzen als Orten der Begegnung und resümierte: „Dieses Lebenswerte lässt sich nicht so leicht erzielen. Strukturelle Lenkung und Gestaltung sind dafür von großer Bedeutung.“
Alternativen und Durchmischung
Während in den 1950er Jahren noch die „autogerechte Stadt“ die Idealvorstellung war, sah Schumacher bei seinem Vortrag die Zukunft der Stadt im Rückbau der Straßen. Er belegte die Dringlichkeit städteplanerischen Handelns mit Zahlen: 70% der Weltbevölkerung wird 2050 in den Städten leben, während dies 1950 noch 30% waren. Daher sei der Platz von parkenden (ungenutzten) Autos in den Städten zu kostbar, um dort nicht mehr Wohnraum zu schaffen, so Schumacher. Seilbahnen könnten zukünftig als alternative Verkehrsmittel dienen. Ein weiteres Ziel wäre, mehr energiesparende hybride Gebäude zu realisieren, in denen z.B. die Abwärme eines Supermarkts für die Beheizung der im gleichen Komplex darüber befindlichen Wohnungen sorgen könnte, wie bei dem Markthallenbau des Büros MVRDV in Rotterdam. Eine entsprechend auszubauende Infrastruktur und nicht zuletzt der Erhalt historischer Viertel würde alles in allem eine so „durchmischte Stadt“ zu einem lebenswerten Ort machen können.
Michael Schumacher gründete mit Till Schneider 1988 das Büro schneider + schumacher in Frankfurt (heute mit über 140 Mitarbeiter*innen und Niederlassungen in Wien und Tianjin), welches 1995 mit der temporären roten „Infobox“ auf dem Potsdamer Platz in Berlin – damals der größten Baustelle Europas – bekannt wurde. Nach der Veranstaltung beantwortete der Architekt mir folgende Fragen:
Wie würden Sie gute Architektur beschreiben?
Dauerhaft und schön muss sie sein.
Was macht heute die Attraktivität der Stadt aus – und was in Zukunft?
Attraktiv ist, viele Möglichkeiten zu haben. Wir sind gesellige Wesen, die nicht gerne alleine herumsitzen, sondern ein breites kulturelles und gesellschaftliches Angebot brauchen – je vielfältiger und diverser, desto besser. Die Stadt bietet in der Hinsicht verständlicherweise deutlich mehr als das Land. Noch attraktiver wird die Stadt durch schöne Architektur mit grünen Parks und belebten Plätzen, die zum Verweilen einladen.
In der Zukunft werden kurze Wege eine noch größere Rolle spielen. Die Tendenz geht eindeutig weg vom Auto und hin zu anderen Fortbewegungsmitteln: ein teures Rennrad, Elektrobikes oder hippe Roller. Wir wollen unsere Wege auf eine angenehme, möglichst sportliche Art und Weise zurücklegen, dabei bestenfalls die Natur erleben und nicht stundenlang im Auto sitzen.
Wie kann es (stadtplanerisch) gelingen, auch Menschen mit geringerem Einkommen das Wohnen in der Stadt zu ermöglichen und z.B. bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Das ist nicht einfach. Grundsätzlich gilt, die Dichte zu erhöhen, aber auf die richtige Weise. Da Grund und Boden nicht reproduzierbar sind, muss man versuchen, möglichst vielen Menschen auf der teuren und begrenzten Fläche möglichst angenehmen Wohnraum zu schaffen. Frankfurt geht als gründerzeitliche Stadt mit gutem Beispiel voran: Nordend und Westend, sehr beliebte Stadtteile, sind relativ dichte Wohngebiete. Je mehr auf einem Grundstück gebaut wird, desto besser.
Zum Beispiel sollte man damit anfangen, etwa zentrale Schrebergärten oder wenig genutzte Grünflächen an den Stadtrand zu verlegen und diese Flächen für Wohnraum zu nutzen. Politisch einfacher werden häufig neue Stadtteile an den Rand gebaut, wo sie kaum an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden sind und viel neue Infrastruktur geschaffen werden muss. Frankfurt ist eine vergleichsweise grüne Stadt. Hier kann noch eine ganze Ecke nachverdichtet werden, ohne dabei räumliche Qualitäten zu verlieren. Grüne Inseln zu setzen, ist natürlich wichtig. Das Mainufer wäre eine absolute Tabuzone für Nachverdichtung. An anderer Stelle würde es jedoch wenige stören, wenn die Grünflächen wegfielen bzw. umgesiedelt würden.
Die eigentliche Hürde, um bezahlbaren Wohnbau zu schaffen, liegt allerdings nicht beim Architekten, sondern bei der Politik bzw. der Vorschriftenlage. Angefangen mit den hohen Grundstückspreisen ist von Brandschutz über Energie, Barrierefreiheit und Schallschutz bis hin zum Emissionsrecht alles staatlich geregelt. Einzeln betrachtet sind die Vorschriften auch durchaus sinnvoll, doch bei Erfüllung aller Auflagen sind teure Gebäude eine zwangsläufige Folge.
Welches Gebäude hätten Sie gerne selbst entworfen oder welches Ihrer Projekte würden Sie als besonders gelungen bezeichnen?
Natürlich einige. Chapelle Notre-Dame-du-Haut / Ronchamp von Le Corbusier hat mich schon immer fasziniert, aber auch im Kölner Dom bin ich immer wieder gern, ein sehr beeindruckender Bau. Willis Faber, ein Bürogebäude von Norman Foster, ist ebenfalls toll.
Projekte, die uns besonders gelungen sind, das ist einfach: die Autobahnkirche, die Städelerweiterung, die Mannheim Business School, der Frankfurt Pavilion für die Buchmesse, das Grünflächenamt…
Wenn Sie vor ca. 20 Jahren das Marta Herford hätten planen können, wie hätte es ausgesehen?
Wahrscheinlich wie die Info-Box in Berlin. Da haben Sie in Herford vielleicht Glück gehabt.

Hinweis:
Das nächste Architekturgespräch „Stadt + Vision“ findet am Mittwoch, 10.07.19, um 20:00 Uhr statt.