Architektur im Dialog – Gerhard Wittfeld bei „Stadt und Vision“
Dass Architektur mehr im Dialog stehen sollte, dass sie Vermittlung braucht und was der „Mehrwert“ von Architektur in den Augen von Gerhard Wittfeld vom Büro kadawittfeldarchitektur (Aachen, Berlin) ist, war beim vergangenen 19. „Herforder Architekturgespräch“ im Marta Thema des Abends.
Wittfeld widmete seinen Impulsvortrag den soziokulturellen Räumen in den Städten der Zukunft. Detailliert veranschaulichte er den jeweiligen Entstehungsprozess des „Direktionsgebäudes der AachenMünchener Versicherung“ in Aachen, des „Hauptbahnhofs Salzburg“ und der „Grimmwelt“ in Kassel.
Architektur mit „Mehrwert“
Wittfeld präsentierte das Versicherungsgebäude in Aachen als ein Projekt, dass vom Büro kadawittfeldarchitektur nicht nur als architektonische, sondern auch als städtebauliche Aufgabe verstanden wurde, mit dem Ziel, mehr öffentlichen Raum auf dem Grundstück zu ermöglichen – anders als es bei Firmenzentralen oft der Fall ist. Eine Reihe von Plätzen und eine direkte Fußwegeverbindung zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt beispielsweise machen das Grundstück für Passanten zu einem attraktiveren, kommunikativen Ort.
Beim Bau des Salzburger Hauptbahnhofs ging es um die architektonische Optimierung der Gleiszugänge und Überdachung der neuen Bahnsteige. Dabei wurden außerdem öffentlicher Raum geschaffen und Stadtteile miteinander verbunden, indem der Zugang zu den Gleisen vom dunklen Erschließungsraum zur öffentlichen Fußgängerzone (mit Ladenpassage) aufgewertet wurde.
Architektur als Kulturvermittlung
Zuletzt stellte Wittfeld die Grimmwelt in Kassel als eine Architektur für die Kulturvermittlung vor, die als Bestandteil der Lebensqualität in der Stadt dient: ein Ausstellungsgebäude für die Präsentation des Werkes der Brüder Grimm. Die historischen und topografischen Gegebenheiten des umgebenen Parks wurden in ein offenes Raumgefüge übersetzt, das den Besucher zum Durchwandern der Ausstellung einlädt.
(Mehr Informationen unter www.kadawittfeldarchitektur.de)

Im Anschluss an den Vortrag und die angeregte Diskussion beantwortete mir Gerhard Wittfeld folgende Fragen:
Herr Wittfeld, welche Projekte oder Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Es gibt nicht DAS eine Projekt, aber die Themen Stadt, Gemeinschaft und Gesellschaft sind für mich von Bedeutung. Die Verantwortung von Architektur in der Gesellschaft ist eigentlich das, was mich interessiert und was auch das Schaffen unseres Büros auszeichnet. Wichtig ist, dass man sich nicht nur mit den Bedürfnissen des Bauherrn auseinandersetzt, sondern auch damit, was ein Gebäude in seinem Umfeld auslöst. Dass es auch einen ästhetischen Wert hat, und zwar für alle – nicht nur für den, der es bezahlt, sondern auch für die Leute, die es wahrnehmen.
Welches Gebäude hätten Sie gerne selbst entworfen?
Eine schwierige Frage… Die Golden Gate Bridge zum Beispiel hätte ich gerne entworfen und die Villa Casa Malaparte, die ein gutes Beispiel für landschaftliche Einbindung ist.*
(*Anm.: eine um 1940 auf eine Felsklippe gebaute Villa des Schriftstellers Curzio Malaparte auf der Insel Capri)
Welches Projekt sehen Sie als Ihr persönliches Meisterstück?
Anders gefragt: Welches unserer Projekte kommt eigentlich unseren Vorstellungen am nächsten? Das ist die Grimmwelt in Kassel, weil sie ganz viele Aspekte vereint. Angefangen beim atmosphärischen Wert, der Materialisierung und der behutsamen topografischen Einbindung in den Park, über den Mehrwert der öffentlichen Dachterrasse für die Bevölkerung, bis hin zum didaktischen und kulturellen Angebot – es wird ja auch von vielen Schulkindern besucht. Die Grimmwelt leistet einen vielschichtigen gesellschaftlichen Beitrag und ist ein schönes Haus, bei dem wir unsere Ideen fast ohne Abstriche durchsetzen konnten.
In Ihrer Arbeit spielen ein interdisziplinärer Ansatz sowie der Aspekt der Vermittlung von Architektur eine besondere Rolle, und es geht um „Mehrwert-Architektur“. Was ist damit genau gemeint?
Mehrwert heißt, dass es nicht nur um die Bedürfnisse des Bauherrn geht. Es geht auch um die Bedürfnisse der Menschen, die das Gebäude im Stadtraum wahrnehmen, die – wie beispielweise beim Direktionsgebäude der AachenMünchener Versicherung in Aachen – auf einmal einen neuen Fußweg zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt nehmen können, der eine Abkürzung ist, der Komfort bietet. Oder die einen neu angelegten Park nutzen können, der vorher nicht da war. Das sind Mehrwert-Räume.
Warum ist Kommunikation wichtig? Ich glaube, dass die Menschen nur Dinge akzeptieren, die sie verstehen. Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben. Nicht jeder ist mit einem Bau einverstanden, aber sobald die Leute wissen, worum es geht, sind auch Toleranz und Akzeptanz da.

Wie würden Sie gute Architektur beschreiben?
Architektur ist etwas Zeitgeistiges. Meiner Meinung nach ist sie nicht zeitlos, sondern sollte sich immer ihrer Entstehungszeit zuordnen. Und sie sollte eine Empfindung auslösen. Architektur sollte nicht nur nutzungsorientiert sein, sondern man sollte sie mögen – oder nicht mögen: Like it or hate it. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, wenn die Menschen ein Projekt nicht wahrnehmen. Architektur ist eine emotionale Angelegenheit. Dabei muss sie selbstverständlich einen Nutzwert und Gebrauchswert leisten. Übertragen auf ein Automobil macht nicht die Tatsache, dass das Auto fahren kann oder der Blinker funktioniert, den Wert des Wagens aus, sondern die Mobilität und Freiheit, die das mit sich bringt. Und die Ästhetik oder der Sexappeal, den der Wagen ausstrahlt. Und genau diesen subjektiven Werten kommt auch im Bereich der Architektur eine große Bedeutung zu.
Wenn Sie vor 15 Jahren das Marta Herford hätten planen können, wie würde es aussehen?
Das kann ich nicht beantworten, weil ein Gebäude immer ein Zeitdokument ist. Ich kann nicht sagen, was ich vor 15 Jahren dazu gemeint hätte. Ich kann beschreiben, dass das Haus auf mich einen frischen Eindruck macht und dass es ganz informell wirkt, was ich sehr gut finde. Und dass es auch die Geschichte, also vorhandene Substanz mit verarbeitet*, was mir vorher nicht klar war. Auch dass der Ziegel nicht nur in der Fassade, sondern auch im Außenbelag und Innenbelag verw endet wurde, finde ich gut. Aber wie ich das vor 15 Jahren gesehen hätte, kann ich nicht beantworten.
(* Anm.: Den Kern von Marta Herford bildet eine ehemalige Textilfabrik der Firma Ahlers, 1959 von Walter Lippold errichtet, die sich mit einer Architektursprache aus geraden Linien und rechten Winkeln dem Besucher in der Lobby und im Ausstellungsraum in der ersten Etage eröffnet. Der Architekt Frank Gehry ließ dieses Gebäude in seiner Grundstruktur weitestgehend unverändert. Es bildet einen Gegensatz zu den schwingenden Formen der Gehry-Galerien, des Veranstaltungsforums oder der kupferbar im Marta.)