Aus dem nichts. Etwas machen. Zur Aktivität einer Idee
Die ängstlich entgeisterte Frage „Ist das Kunst?“, kennt jeder. Die ebenso mögliche und paradoxe Frage „Wie wird aus Nichts so etwas wie ein Werk?“, wird dagegen selten gestellt.
Sie ist aber ebenso voraussetzungsvoll wie die Erste und aufgrund ihrer komplexen Tiefe nicht schnell und eindeutig zu beantworten. Interessant an dieser Frage ist das Verhältnis zur Zeit, genauer gesagt zu ihrer eigenen Gegenwärtigkeit.Die Frage legt nahe, dass ein Werk, dass der Kunst zugerechnet wird, in einem Zeitraum entsteht, der existiert, aber noch unbekannt ist, wenn die Frage nach dem genauen Startpunkt eines Kunstwerks ins Spiel kommt.
Gleichzeitig ist es nicht unwichtig zu wissen, dass diese Frage jetzt gestellt wird. Und das heißt heute: in einer digitalen Gegenwart, die das Gefühl für unterschiedliche Zeiten ausschaltet und das aktuelle Wahrnehmen nur auf den aktuellen Moment des Machens eindampft. Das Phänomen der Gleichzeitigkeit (fast) aller Abläufe ist das Merkmal der Gegenwart, deren Oberflächen zunehmend digital zu bearbeiten sind. Die Frage nach einer Abfolge eines geordneten und Sinn stiftenden „Nacheinanders“ stellt sich so nicht mehr wie noch in früheren Zeiten. In der Zeit einer Darstellung wird die Zeit des Machens zu einem eigenen Thema und zum Anlass über die Zeiten des Werkes selbst nachzudenken.
Aus einem Nichts etwas machen
Indem der Künstler nicht genau weiß, nach welchen Regeln er Werke schafft, wird er zu einem Medium eigener Art. Das Nicht-Wissen des Künstlers wird zu einer magischen Voraussetzung für die Bedingung der Möglichkeit von Kunst und gibt den Blick frei auf den Ort des großen Unbekannten – das Nichts. In der kurzen Formel „Je ne sais quoi“ wurde diese Erkenntnis seit dem 18. Jahrhundert zu einer Leitidee ausgebaut (vgl. Wolfgang Ullrich: Was war Kunst?, Ffm 2005, S. 9 ff). Wenn nichts passiert, geschieht doch etwas Unbekanntes im Hintergrund. Obwohl man ein Nichts nicht sehen kann, kann man beobachten, dass andere Beobachter dieses Etwas nicht beobachten können – so lautet eine bekannte Annahme Niklas Luhmanns, der diesen Sachverhalt unter der Bezeichnung „Beobachtung 2. Ordnung“ aber nicht weiter als eigenständiges Thema ästhetischer Aktivität ausgeführt hat. (Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Ffm 1997, S. 136 ff.) Doch macht und hat das Nichts auch eine eigene Geschichte. Das Nichts als Paradoxon eines Unsichtbaren, das sich im Sichtbaren wie etwas Unsichtbares verbirgt, gehört zu den immer wieder bemühten Topoi der modernen und der zeitgenössischen Kunst (vgl. etwa Sylwia M. Chomentowska: Annäherungen an Turners ästhetische Bild- und ästhetische Erkenntniskritik, München 2013; Cornelius Borck: Fast Nichts. Über das Unscheinbare in Kunst und Wissenschaft, in: Julia Fleischhack/ Kathrin Rottmann: Störungen. Berlin 2011, S. 110 – 124). Der lange vergessene und heute höchste aktuelle Kunsthistoriker George Kubler spekulierte in seinem 1962 erschienen einflussreichen Buch „The Shape of Time“ über den Begriff der Aktualität, den er als leeres Intervall ansah, indem „nichts passiert“.
Zu den großen Ideen-Mythen auch der Kunst gehört die Idee, dass ein Werk wie aus einem Nichts entstehe, sich während dieses Prozesses in etwas Anderes verwandele und so aus etwas Unbekanntem einen Akt der Erfindung realisiert habe. So schreibt bereits etwa Racine (1639-1699): „… alle Erfindungskunst besteht (darin), aus Nichts etwas zu machen.“ (S. 356). Wenn überhaupt ist ein Nichts im Kontext von Kunst nur temporal angemessen zu begreifen. Wie lässt sich die Beziehung zwischen einem Nichts, einer Gegenwart und der nächsten Zukunft denken? Aus dem Kontext der Idee, dass aus dem Nichts heraus Entscheidendes entsteht und so eine Form annimmt, stammt so etwa die Vorstellung Rainer Maria Rilkes, dass der Künstler wie ein zu früh Gekommener agiert und wie aus einer anderen Zukunft kommend nicht im Heute lebt, sondern „Zukünftiges durch ihn“ redet (Rainer Maria Rilke: Über Kunst (1898), in: ders., Rainer Maria Rilke: Schriften, hg. v. Horst Nalewski, Ffm 1996, S. 118). Rilke betrachtet Kunstwerke weiter als „gleichsam zukünftige Dinge, deren Zeit noch nicht gekommen ist.“ (Rainer Maria Rilke, Kunstwerke (1902), in: ders., S. 303) – Frühgeburten sozusagen, Form gewordene Zukunft, die sich erst langsam in eine Gegenwart übersetzen lassen.
An Nichts denken – nach Etwas fragen
Indem aus einem realen oder fiktiven Nichts zumindest etwas entsteht, wird der Autor gezwungen diesen Prozess auch angemessen zu dokumentieren. So notiert etwa Max Bense in seinem kurzen Text „Kunst und Intelligenz“ (1959): „ …ein Gebilde, das wie ein Kunstwerk aus einem ästhetischen Prozess hervorgeht, ist weder wahr noch falsch, es suspendiert diese Wahrheitswerte; denn es vermittelt keine Erkenntnis, sondern erschließt gerade wesentlich den Bereich einer Unkenntnis, einer Überraschung, einer Unwahrscheinlichkeit, einer Innovation und lässt sie durchaus als solche bestehen …“ (S. 353). Dass aus einem scheinbaren Nichts plötzlich und unerwartet einzelne Momente eines Neuen, Überraschenden und Unberechenbaren entstehen können gehört inzwischen zum Wissen von allen Menschen, die in kreativen Prozessen arbeiten, die in früheren Zeiten des 20. Jahrhunderts gerade im Kunstkontext als Ausdruck einer „Avantgarde-Kreativität“ galten und als solche quasi als Performance inszeniert wurden (vgl. Andreas von Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, S. 98 ff). Im Mittelpunkt des anspruchsvollen und so einfach klingenden Topos „Aus Nichts etwas machen“ steht also nicht mehr der früher übliche Umgang mit Dingen und ihren Oberflächen, sondern die (entweder früh oder spät einsetzende) Erfahrung des Veränderns und ihrer Effekte auch und besonders über kurze oder lange Zeiträume hinweg. Die Frage „Ist das Kunst?“ kann also nur mit einer gezielteren Gegenfrage gekontert werden: „Wann wird aus Nichts etwas wie Kunst?“ Heute wird immer deutlicher, dass die gegenwärtigen Fragen an die Wertigkeit, die fehlende Moral und den plötzlich überschießenden Sinn von Kunst immer auch etwas mit der Zeit und der produktiv gemachten Intelligenz ihrer Anwender zu tun haben. Wäre der vorliegende Text im Werbekontext entstanden, könnte man hier sicher zum Abschluss lesen: Denkst du noch an Nichts oder fragst du schon nach Etwas?
One Reply to “Aus dem nichts. Etwas machen. Zur Aktivität einer Idee”
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interessanter Artikel!
hier auch einer: https://blog.singulart.com/de/2017/09/28/kunst-kaufen-oder-selber-malen/