Gelb ist eine warme Farbe
Gewöhnlich findet man Kunstwerke in den Ausstellungsräumen eines Museum. Rund um den Museumbau laden in Parks und auf Vorplätzen zudem wetterfeste Skulpturen, Installationen und Objekte dazu ein, einen kurzen Blick auf ein Kunstwerk zu werfen und womöglich dadurch angeregt gar den Weg in das Innere des Gebäudes zu finden.
Im Marta verstecken sich aber auch Kunstwerke an Orten, an denen man sie niemals vermuten würde: Zwischengänge, ein Aufzug und die Wände der Büros werden als Ausstellungsflächen genutzt, um Werke aus der Sammlung zu zeigen.
Von der Kunst, der Kunst auf die Schliche zu kommen
An meinem ersten Arbeitstag Anfang März führte mich der kurze Weg vom Herforder Bahnhof zum Marta an einigen Skulpturen und Objekten vorbei, die ich schon von meinen früheren Besuchen kannte. In der Verwaltungsetage angekommen, stieß ich allerdings noch auf ein weiteres, gut getarntes Werk, dessen Kunststatus sich mir erst später erschloss. Über die Wand und über einen Teil der Ecke des Büros der Kunstvermittlung zieht sich ein gelber Farbfleck, der mir leuchtend entgegen strahlte. Unbedacht nahm ich an, der zuständige Maler würde nur kurz Pause machen und gleich zurückkehren, um seine Arbeit fortzusetzen. Schön, dachte ich mir, Gelb ist eine warme Farbe, da kommt keine Frühjahresmüdigkeit auf.
Als ich mich später am Tag bei den KollegenInnen als neue Volontärin vorstellte, kam ich auch an besagtem Farbfleck vorbei. Allerdings war immer noch nichts weiter passiert und auch Farbeimer, Abdeckfolie und Pinsel waren nicht in Sicht. Nun fiel mir auch ein Satz auf, der handschriftlich neben die Farbfläche geschrieben wurde: „I ordered this yellow blob from the exhibition assistants but later on I completely forgot the reason for this.“ (Ich bestellte diese gelbe Blase bei den Ausstellungsassistenten, aber später habe ich komplett vergessen, warum ich dies tat). Erst jetzt dämmerte es mir langsam, dass es sich bei dem vermeintlichen unvollendeten Farbfleck auf der Wand um ein Kunstwerk handeln musste und kein Maler seine Arbeit einfach stehen und liegen gelassen hatte.

Wie kommt das Kunstwerk ins Büro?
Das Werk geht auf den bulgarischen Künstler Nedko Solakov zurück, der sich – so meine Vermutung – darunter handschriftlich verewigt hatte. Der geschriebene Text ist ebenso Teil des Kunstwerks wie die Farbfläche. Solakov erzählt eine kleine Geschichte, die sich als Lüge entpuppen könnte. Hat der Künstler wirklich vergessen, warum er die Ausstellungsassistenten damit beauftragte den gelben Fleck an die Wand zu malen?
Auskunft darüber konnte mir meine Kollegin Angelika Höger geben, die damals an der Entstehung des Werks beteiligt war, das nun ihr Büro ziert. Nicht etwa der Künstler hat die Wand verschönert, sondern Angelika hat das Kunstwerk dort 2014 selbst angebracht. Das Marta Herford hat für seine Sammlung ein Zertifikat für die Arbeit von Nedko Solakov erworben, zusammen mit einer detaillierten Anleitung und einer Folie für einen Diahead-Projektor, mit deren Hilfe man den handschriftlichen Satz an die Wand werfen kann. So kann die Handschrift des Künstlers imitiert werden, ohne dass dieser anwesend sein muss.
Auch den titelgebende Farbfleck hat Angelika an die Wand gemalt, der genaue Farbton ist dabei vom Künstler vorgegeben sowie die ungefähre Größe der Farbfläche und der Gestaltung mit auslaufenden Konturen. Die Positionierung im Raum ebenso wie die letztendliche Größe unterliegt aber dem jeweiligen verantwortlichen Maler. Der Künstler besteht nicht darauf, dass ein Experte das Werk anbringt, sondern dies kann von einer beliebigen Person nach Anleitung erfolgen.
Die Einmaligkeit des Kunstwerks
Nedko Solakovs Zertifikat ist noch mit einer weiteren interessanten Auflage verbunden: Der Kauf des Zertifikats ist jeweils auf eine Ausführung des Kunstwerks beschränkt. Zweimal wurde es in den Ausstellungsräumen des Martas gezeigt, einmal im Rahmen der Eröffnungsausstellung „My (private) Heros“ und einmal im Zuge der Ausstellung „Hellwach“. Würden wir es ein weiteres Mal in den Ausstellungsräumen zeigen, müsste die derzeit gegenwärtige Installation im Büro übermalt werden. Auf Fotos der Ausstellungen sieht der Farbfleck jedes Mal ein wenig anders aus, weil jeder Maler unweigerlich seine eigene Handschrift mit einbringt. Auch trägt die Positionierung im Raum entscheidend zur Wahrnehmung des Kunstwerks bei.

Nedko Solakov und der gelbe Klecks
Der „Yellow Blob“ ist ein wiederkehrendes Motiv von Nedko Solakov. In unterschiedlichen Größen und Ausführungen ziert er im gleichen Farbton zahlreiche Wände auf der ganzen Welt, zusammen mit dem Satz, der auf die Beteiligung eines Assistenten verweist. Dabei unterscheidet sich lediglich die Größe des Farbflecks, die Handschrift des Künstlers und die Positionierung des Textes je nach Zertifikat. Solakov arbeitet als Künstler mit unterschiedlichen Medien und bringt seine Gedanken in Form von kurzen Sätzen, Fragestellungen und Zeichnungen mit ein, die auf humorvolle Weise zum Nachdenken anregen. Hinter dem vermeintlichen Farbfleck in unserer Verwaltungsetage verbirgt sich ein Kunstwerk mit einer bewegten Geschichte, die bis zur Eröffnungsausstellung zurückführt. Vor zwölf Jahren hat aber bestimmt noch niemand daran gedacht, dass das Werk einmal außerhalb des Ausstellungskontexts eine Rolle in unserem Arbeitsalltag einnehmen würde.
Hinweis:
Der Artikel entstand in Zusammerarbeit mit Angelika Höger, der ich herzlich für das Gespräch danke.