Geocaching im Marta – Eine Schatzsuche bei Mark Dion
Geocaching – fast jeder hat den Begriff schon einmal gehört, nicht jeder kann jedoch etwas damit anfangen.
Irgendwas mit digitalem Kompass oder GPS-Gerät ist das doch, wo Outdoor-Begeisterte mit Taschenlampen im schlammigen Wald auf die Suche gehen. So ähnlich war zumindest meine Vorstellung von dieser immer beliebter werdenden Freizeitbeschäftigung, als unser Haustechniker Dirk Friedrich davon berichtete, dass ein neuer Geocache in unserer Ausstellung „Widerspenstige Wildnis“ installiert wurde. Das begann mich dann doch genauer zu interessieren, sodass ich mich mit Dirk Friedrich und der Familie Schnatmeyer, die für den Cache in der Ausstellung verantwortlich waren, traf und mich mit ihnen auf eine Schatzsuche begab. Doch der Reihe nach.
Das Wort Geocaching, so erklärt mir eine bekannte Online-Enzyklopädie, ist aus dem griechischen Wort für Erde und dem englischen Wort für ein geheimes Lager zusammengesetzt und beschreibt eine elektronische Schatzsuche. Dazu braucht es einen GPS-Empfänger, Zeit und vor allem Spaß an der Sache. Die Schnatmeyers selbst lösen schon seit vielen Jahren Geocaches, laut ihrem Benutzerprofil bei geocaching.com sind es inzwischen knapp 2000. Da liegt es nahe selbst auch Aufgaben zu stellen und Cashes zu verstecken. Besonders gut gefällt dem Ehepaar neben der Idee rauszugehen und gemeinsam eine Mission zu erfüllen die Einbindung in etwas Kulturelles. Grund genug für sie schon vor einigen Jahren einen Cache am Marta bei der Außenskulptur „Hoher Besuch“ von Michael Sailstorfer zu installieren. Ein zufälliger Fund von einem Museumsmitarbeiter führte zu einem Gespräch mit den Schnatmeyers in größerer Runde, bei dem diskutiert wurde, wie die Caches direkt in die jeweilige Ausstellung eingebunden werden könnten. Am Ende stand der Entschluss, dies im Gebäude, in der Ausstellung selbst zu tun.
Ein Handblatt mit Aufgaben, die gelöst werden müssen, um den Zahlencode des Tresors am Ende öffnen zu können, führt durch alle Räume der Ausstellung und fordert den Besucher dazu auf, sich mehr mit den Inhalten der Ausstellung zu befassen. Schon bei der ersten, zunächst kryptisch klingenden Frage im Salon der Mark Dion-Ausstellung „Korallenzeit 25 nach?“, bin ich verblüfft darüber, wie genau man sich umschauen oder die Ausstellung bereits kennen muss, um unter Dutzenden von Zeichnungen und zahlreichen anderen Exponaten die gesuchte Korallennachbildung auszumachen. An dieser hängt eine Taschenuhr, die auf fünf vor halb vier steht, dementsprechend wird eine drei auf dem Laufzettel notiert und es geht in den folgenden Raum.
Für diese Aufgabe ist ein Foto auf dem Fragebogen abgedruckt, das ein Detail irgendeines hier ausgestellten Objektes wiedergibt. Dieses können jedoch nur Personen ohne Höhenangst finden: Hoch oben in einem Hochsitz hängen Jagdgeweihe, an einem dieser findet sich die auf dem Fragebogen abgebildete Inschrift wieder. Der Geocacher an sich sollte aber ohnehin kein ängstlicher Mensch sein: Dirk Friedrich und die Schnatmeyers berichten von aufregenden Geocaches, für die sie sich abseilen, auf Berge klettern oder tauchen mussten. Das alles nur um den so genannten Cache zu finden, da ist das Erklimmen eines Hochsitzes keine körperliche Hürde.
Nachdem sich der Suchende in der Mark Dion-Ausstellung in die Position eines Jägers begeben und seine Perspektive kurzzeitig eingenommen hat, geht es im gleichen Raum weiter, gesucht wird die Nummer eines Linolschnittbestecks. Wie man vermuten könnte, spielt dabei selbstverständlich das Exponat „Memory box“ eine Rolle und kaum ein anderes Exponat hätte passender gewählt werden können – schließlich will der Künstler ja gerade in dieser Installation kindliche Entdeckerfreude wiedererwecken. Der Suchende beschäftigt sich zunächst mit dem Inhalt der unterschiedlichen Kisten, Schachteln und Dosen, in denen er nicht nur allerhand Kuriositäten entdecken, sondern auch den Künstler besser kennenlernen kann. Ist die Nummer des gesuchten Bestecks auf einem der zahlreichen Kartons gefunden und eingetragen, kann es weiter gehen: Nun wird die große Vogelvoliere erkundet. Hier gilt es eine bestimmte Information auf einem der zahlreichen Bücher ausfindig zu machen. Bei der Suche nach diesem einen Buch kann man nicht umhin, sich auch mit den anderen zu beschäftigen. Und so beschäftigt man sich automatisch intensiv mit den Exponaten – die Fragen an die Kunst kommen von ganz alleine.
Im nächsten Raum, dem Ozeanum, wird der Schatzsucher nicht fündig – denn dieser wird übersprungen. Bemerkt wird das aber erst nach einer intensiven Bemühung, irgendetwas mit Insekten Verbundenes oder einen Graphithärtegrad ausfindig zu machen. Beide befinden sich im darauffolgenden Raum. Die Denkspiele bereiten viel Freude: „Ein Toast auf Queen Mum – welcher Härtegrad hat Graphit?“ führt zu einem Bleistift, der Teil der Installation „Ethnographer at home“ ist und neben einem Bombay Saphire Gin liegt. Die Frage „How to collect insects“ wird von einem ausgestellten Insektenforscherkostüm gestellt, das die verschiedenen Rollen aufgreift, in die der Künstler gelegentlich schlüpft. Im letzten Raum dann das Finale: In einem riesigen Müllberg muss (ohne Anfassen!) ein „Superlatex 3000“ gesucht werden. Hier wird bei der Suche schmerzlich bewusst wie viel Müll produziert und Flora und Fauna massiv geschadet wird – ein melancholisches Ende der Schatzsuche.
Nichts desto trotz – alle Zahlen notiert, wird nun der Koffer aus der schon im Vorfeld bekannten Stelle entnommen mit Hilfe des sich aus den Lösungen ergebenden Zahlencodes geöffnet. Neben einem „Logbuch“, das Gefallen oder Nichtgefallen der Geocacheaufgabe auch ein Feedback zu der Ausstellung gibt, befindet sich hier der eigentliche Cache. Dieser wird durch einen eigenen ersetzt und damit ist sie auch schon beendet, die Suche nach dem Schatz der „Widerspenstigen Wildnis“.
Geocaching scheint offensichtlich viel mehr zu sein als eine Outdoor-Beschäftigung, die zufällig in einer Ausstellung stattfindet. Wie eine klassische Kunstvermittlung ist auch diese Schatzsuche durch das Museum ein geleiteter Blick, der Fragen aufgreift und den Besucher auf Problematiken stößt. Resümierend stelle ich fest, dass Geocaching also nicht immer schlammbesuldelt mit festem Schuhwerk für Adrenalin-Junkies stattfinden muss, sondern auch einem Museumsbesuch eine neue Richtung geben kann oder eine bereits bekannte Ausstellung mit neuem Blick sehen lässt. Auch eröffnet diese spielerische Annäherung Zugang zu einem ganz anderen Publikum, das den Reiz der Kunst durch spielerischen Eifer und Ehrgeiz entdeckt. Dafür sprechen auch die Erfahrungen aus den Online- und Offline-Logbüchern, die zeigen, dass Geocacher – durch ihre Suche fasziniert – die Ausstellung noch einmal ohne Mission besuchen. Wenn auch diese Idee der Kunstvermittlung nicht neu ist und inzwischen Gamificationansätze von ersten Museen aufgenommen werden, ist es eine schöne Idee weiter noch bestehende Schwellen abzubauen.