Kunst für Blinde und Sehbehinderte begreifbar machen
Um möglichst vielen Menschen einen Zugang zur Kunst zu ermöglichen, bietet die Vermittlungsarbeit im Marta barrierearme Ausstellungsführungen für Blinde und Sehbehinderte an. Doch wie lässt sich Kunst beschreiben, wenn man sich auf den dafür vermeintlich wichtigsten Sinn nicht verlassen kann?
Als er noch gut sehen konnte, war Hans-Jürgen Fieberg kein großer Kunstliebhaber – inzwischen hat sich das durch die Führungen für Blinde und Sehbehinderte im Marta Herford geändert. „Ich war das erste Mal 2009 hier und komme seitdem regelmäßig“, erzählt er. „Erst hat mich die Neugierde angetrieben. Ich habe dann aber gemerkt, wie viel Spaß mir diese neue Erfahrung gemacht hat. Im Marta dürfen wir vieles ertasten, das kenne ich aus anderen Museen nicht so. Umso mehr man uns Nicht-Sehende mitmachen lässt, umso mehr gewinnt man uns ja auch.“
Kunstwerke zum Anfassen
Angelika Höger, Mitarbeiterin der Bildung und Vermittlung, hat die Führungen, die seit der Museumseröffnung angeboten werden, vor einigen Jahren übernommen. Um die Ausstellungen für Nicht-Sehende „sichtbar“ zu machen, ist das Ertasten hilfreich: „Es gab in einer Ausstellung mal ein Gerät, das sich ganz kompliziert aus vielen kleinen Hölzchen und Fäden zusammensetze. Damals habe ich diese Materialien mitgebracht, damit man einen haptischen Eindruck von der Fragilität bekam. Oder eine Ausstellung bestand aus Malerei, die sehr pastos aufgetragen war. Nun kann man ja nicht die Bilder selber anfassen. Mit Hilfe von Gips habe ich versucht die Haptik nachzuahmen, damit man den Strich fühlen konnte.“
Die Ausstellung „mit anderen Augen sehen“
Was berührt werden darf, was nur vorsichtig mit Handschuhen ertastet werden darf und was an welchen Stellen nicht fest genug montiert ist, bespricht Angelika Höger vorab mit der Registrarin des Museums. „Bei der Vorbereitung meiner Führungen versuche ich mich in die Lage der Besuchergruppe zu versetzen – dass sie nicht sehen, wo die Installation verortet ist und die Größe eines Bildes nicht erfassen können. Die Werke, die ich mir für die Führungen aussuche, sind unter Umständen andere als für Rundgänge mit sehenden Menschen. Meine Auswahlkriterien sind nicht nur inhaltlicher Natur, sondern es geht auch um die Eigenschaften.“ Während einer ihrer Führungen stieg Frau Höger beispielsweise in der Ausstellung eine schwankende Treppe hinauf und ließ die Blinden und Sehbehinderten durch die Berührung des Geländers einen Eindruck von den schwingenden Bewegungen bekommen.
„Es ist klasse, dass wir im Marta immer wieder Überraschungen erleben“, so Hans-Jürgen Fieberg. Die Vielseitigkeit ist etwas, das ihm generell an der modernen Kunst gefällt. Auch Inge Eckert ist immer wieder beeindruckt von den Ausstellungen im Marta – sowohl damals als sehende als auch heute als blinde Frau. Sie lobt besonders die guten Beschreibungen von Angelika Höger: „Wir haben schon anderswo Führungen erlebt, bei denen uns erklärt wurde, was sich rechts und links von uns befindet. Das ist natürlich für Nicht-Sehende keine hilfreiche Anweisung. Frau Höger wiederrum findet immer eindrucksvolle Vergleiche und passende Erklärungen, so dass man sich die Werke gut vorstellen kann.“
Mit viel Herzblut dabei
Für Angelika Höger sind die Führungen für Sehbehinderte und Blinde eine Herzensangelegenheit: „Es ist eine Zielgruppe, die mich immer schon interessiert hat. Da mein Opa als Sehender im Blindenverein arbeitete, wurde in unserer Familie für blinde Menschen immer schon stark mitgedacht.“ Außerdem macht es der Künstlerin und Kunstpädagogin Spaß die Kunstwerke aus einer anderen Perspektive zu betrachten: „Wir erarbeiten uns die Werke gemeinsam und die Bilder werden durch die vielen verschiedenen Beschreibungen – auch der Begleitpersonen – sehr lebendig. Die Werke bieten Raum für Diskussion und geben den Leuten einen Anlass aus ihrem Leben zu erzählen – und das ist dann das eigentlich Interessante!“
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