„Kunst möchte gesehen werden“: Ein Gespräch mit Heiner Wemhöner und Philipp Bollmann
Die Realisierung des Museums Marta Herford legte den Grundstein für die Kunstbegeisterung von Heiner Wemhöner. Heute zählen rund 1.300 zeitgenössische Kunstwerke zur stetig wachsenden Sammlung des Herforder Unternehmers. Gemeinsam mit seinem Kurator Philipp Bollmann macht er die Sammlung Wemhöner sichtbar und schafft neue Räume für den künstlerischen Austausch.
Herr Wemhöner, wann und womit begann Ihre gemeinsame Geschichte mit dem Museum Marta Herford?
Heiner Wemhöner (H.W.): Die begann im November 1996, als der damalige Wirtschaftsminister des Landes NRW, Wolfgang Clement, zu einer Veranstaltung in Herford zu Gast war. Es war Wahlkampf und seine Botschaft an uns lautete: Ihr seid eine erfolgreiche Möbelregion, in vier Jahren ist die Expo in Hannover, vielleicht könntet ihr mit dem nötigen Geld aus Düsseldorf etwas Tolles für Möbel und Design errichten. Der Grundgedanke war also gar nicht, in Herford ein Museum für zeitgenössische Kunst zu bauen. Die Idee hat sich erst im Laufe vieler Jahre in diese Richtung entwickelt. Es gab in dieser Entwicklungsphase meiner Meinung nach zwei Glücksfälle: Dass man durch einen persönlichen Kontakt Frank Gehry als Architekten gewinnen konnte und über eine andere Verbindung Jan Hoet als Gründungsdirektor. Ich selber war seit der ersten Minute als Befürworter und später als Gründungsgesellschafter des Museums dabei. Zu dieser Zeit spielte Kunst noch gar keine Rolle in meinem Leben. Aber die ganze Atmosphäre hat mich neugierig gemacht und ich fand es toll, dass die Menschen fürs Marta nach Herford kamen und ich meinen Kunden hier etwas zeigen konnte.
Sie sind nicht nur Vorsitzender des Marta Freundeskreises, sondern fördern auch seit 2014 mit dem Marta-Preis der Wemhöner Stiftung alle zwei Jahre eine*n zeitgenössische*n Künstler*in und die Neuproduktion eines Werks für die Sammlung Marta. Wie gefällt Ihnen die Wahl der diesjährigen Preisträgerin Brigitte Waldach?
H.W.: Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich die Kunst von Brigitte Waldach vor fünf Jahren auf der Art Cologne kennengelernt. Ich fand ihre Arbeiten schon damals außergewöhnlich, weil ich noch nie etwas gesehen hatte, wo derart ausgewählte Sprache eine so bedeutende Rolle spielt. Und diese Sprache dann noch in Bezug zu setzen zu Bildern und zu versuchen, das in ein ausgewogenes Verhältnis zu setzen – das hat mich ziemlich fasziniert. Dass es ihr jetzt in der Marta-Ausstellung gelungen ist, ihre zweidimensionalen Arbeiten in die dritte Dimension zu überführen, begeistert mich sehr. Ebenfalls toll finde ich, dass der Preis durch eine Einzelausstellung erweitert worden ist. Das war ein wichtiger Baustein, um den Preis zu dem zu machen, was er meiner Meinung nach sein soll, nämlich ein Preis, den man haben möchte als Künstler*in.
Anfang der 1990-Jahre erwarben Sie Ihre ersten Kunstwerke. Was für einen Stellenwert hat zeitgenössische Kunst in Ihrem Leben – damals und heute?
H.W.: Kunst hat mein Leben auf eine ganz neue Art und Weise bereichert. Im Rahmen meines Geschäftslebens habe ich zwar schon früh die Welt bereist, aber ich habe mich nie für Museen oder Kunst interessiert – und bin ehrlicherweise auch heute noch kein großer Konzert- oder Museumsgänger. Mein gewachsenes Interesse für Kunst hat mir aber im Laufe meines Lebens unglaublich viele neue Erkenntnisse gebracht. Alleine aus dem Grund, dass ich inzwischen viele Künstler*innen kennengelernt habe. Das hätte ich mir damals nicht träumen lassen. Ich dachte immer, Künstler*innen lernst du nie kennen, die stehen weit über dir, die leben in einer ganz anderen Welt. Ich habe inzwischen gelernt, dass man in der gleichen Welt lebt, aber diese manchmal mit unterschiedlichen Augen sieht, was sehr bereichernd sein kann. Darüber hinaus macht mir Kunst einfach viel Spaß. Es ist ja auch immer die Frage: Wie kommt man zum Sammeln, ab wann darf man etwas als ‚Sammlung‘ bezeichnen? Irgendwann kam bei mir einfach der Punkt, an dem unser Haus keinen Platz mehr für die erworbenen Kunstwerke bot.
Herr Bollmann, wie kam es dazu, dass Sie Kurator der Sammlung Wemhöner wurden?
Philipp Bollmann (P.B.): Es gibt keinen Stichtag, an dem ich angefangen habe, sondern es war ein Prozess. Ich komme gebürtig aus Herford und habe kurz vor Beginn meines Studiums der Kunstgeschichte in Berlin ein Praktikum in der Samuelis-Baumgarte-Galerie in Bielefeld gemacht. In diesem Zeitraum habe ich Heiner kennengelernt. Damals hatte er um die 100 bis 150 Arbeiten, von denen einige schon sehr beeindruckend waren. Es gab unter anderem zwei große Skulpturen von Tony Cragg und eine sehr schöne Arbeit von Mimmo Paladino – aber es gab einfach noch keine gesammelten Informationen darüber. Als er mich mit der Bitte ansprach, seine Sammlung zu katalogisieren, haben sich zu diesem damaligen Zeitpunkt eigentlich zwei Amateure der Kunstwelt zusammengetan. (lacht)
H.W.: Zu dem Zeitpunkt, als ich Philipp kennenlernte, wusste ich noch gar nicht, was ein Kurator ist. Ich habe lediglich nach jemandem gesucht, der mir dabei half, Ordnung in die damals überschaubare Sammlung zu bringen – falls man das damals schon als Sammlung bezeichnen konnte. Wir haben dann zwei Bücher in Eigenregie gemacht und später für weitere Bücher professionelle Texter*innen eingestellt. Irgendwann haben wir aber festgestellt, dass Bücher sehr schnell überholt sind, da die Sammlung stetig wächst. Inzwischen ist es für uns interessanter, Ausstellungen zu machen.
Wann haben Sie damit begonnen, die Sammlungswerke öffentlich auszustellen?
P.B.: Das war 2014 und ein witziger Zufall. Die Galerie Max Hetzler – meiner Meinung nach eine der besten der Welt – verließ damals eine riesige Ausstellungsfläche in einer alten Industrieetage. Ich habe gefragt, ob wir die leeren Räume für die restliche Zeit, in der die Miete noch bezahlt wurde, nutzen könnten. Als Max zustimmte, habe ich Heiner gebeten, eine Sammlungsausstellung machen zu dürfen. Am Anfang war er sich nicht sicher, ob er mit seiner Sammlung überhaupt so groß an die Öffentlichkeit gehen möchte. Er fragte mich: „Traust Du Dir das zu?“, und ich antwortete: „Ja, das traue ich mir zu!“
H.W.: Da zeigte sich, was Philipp am besten kann: kuratieren. Dinge zusammenzubringen, die man nicht miteinander in Zusammenhang bringt und die sich dann ganz wundervoll ergänzen. Diese Ausstellung hat sich damals sehr schnell in Berlin herumgesprochen. Das war einer dieser Zufälle, die man im Leben braucht.
P.B.: Der Erfolg der Ausstellung hat uns unglaublich gefreut, denn Kunst hat auch immer etwas mit Kommunikation zu tun. Natürlich ist Kunst schon an sich ein Kommunikationsinstrument. Aber das ganze Drumherum, das Zusammenbringen von unterschiedlichen Menschen, die wahrscheinlich so nicht aufeinandertreffen würden, ist auch eine Qualität, die mit Kunst einhergeht.
Wer von Ihnen kauft die Werke für die Sammlung Wemhöner an und wie wählen Sie aus, was infrage kommt?
P.B.: Natürlich sprechen wir auch mal drüber, aber Heiner alleine ist derjenige, der die Entscheidungen trifft. Die Arbeitsteilung ist so: Heiner kauft die Werke für die Sammlung an und alles was danach passiert, erledige ich. Von Transportorganisation, Versicherung, Leihgaben, Publikationen, Ausstellungen, Kommunikation der Sammlung – das ist dann mein Bereich.
H.W.: Ich bin immer ein Mensch gewesen, der auf sein Bauchgefühl hört und ich weiß in drei Sekunden, ob ich ein Werk erwerben möchte. Ich möchte die Dinge selber fühlen, erahnen. Dazu brauche ich weder Erklärungen, noch einen Namen. Aus diesem Grund gehe ich am liebsten alleine durch Ausstellungen und über Messestände und lasse die Werke auf mich wirken. Wenn ich alles gesehen habe, dann überlege ich, was hängen geblieben ist.
Herr Bollmann, gibt es einen Traum, den Sie mit der Sammlung Wemhöner noch verwirklichen möchten?
P.W.: Ein großer Traum, den wir aktuell verwirklichen, ist der Bezug unserer ersten eigenen Räume in der Berliner Hasenheide. Wir planen dort einen kulturellen Ort, an dem man schnell und flexibel agieren kann. Wir können über Theaterinszenierungen, über Lesungen und Konzerte nachdenken, natürlich können wir dort auch unsere Sammlungswerke ausstellen und Künstler*innen einladen. Das ist, glaube ich, ein zukunftsfähiges Konzept, wie man Lust auf Kultur und Kunst machen kann. Ich glaube in Zeiten, in denen die Welt verrücktspielt und Politiker sowie Verschwörungstheoretiker ungefiltert ihre abenteuerlichen Ideen twittern, muss sich die Kunst auch als wichtiges Element einer freien und demokratischen Gesellschaft behaupten.
Herr Wemhöner, warum ist es Ihnen wichtig, Kunstwerke nicht nur zu besitzen, sondern diese auch zu zeigen?
H.W.: Wenn man erst sieht, wie schön es ist, die eigene Sammlung in Ausstellungsräumen zu sehen, dann wächst natürlich ganz automatisch der Wunsch, das dauerhaft zu machen. Was jetzt nicht heißen soll, dass wir die neuen Räume nur für unsere Sammlung nutzen möchten – ganz im Gegenteil! Die Chance, die ich damals von Max Hetzler bekommen habe, als er mir Räume zur Verfügung gestellt hat, die möchte ich gerne auch anderen ermöglichen. Ich habe angefangen Kunst zu sammeln, weil es mir Freude bereitet. Diese Freude möchte ich gerne teilen. Kunst möchte ja nicht in irgendeinem Depot stehen, sondern Kunst möchte gesehen werden, möchte ausgestellt werden.