Kunstevolution – Andreas Schmid, „Détour“
Mit farbigen Klebebändern und Schnüren spürt der Künstler Andreas Schmid der ungewöhnlichen Architektur auf dem Marta-Gelände nach. Seine Arbeit ist Teil des Projekts „Marta Open Air“, bei dem das Gelände rund um das Museumsgebäude von Künstler*innen bespielt wird.
Die Besonderheit von Frank Gehrys Architektur konnte Andreas Schmid bereits 2017 bei einer raumbezogenen Arbeit anlässlich der Ausstellung „Revolution in Rot Gelb Blau – Gerrit Rietveld und die zeitgenössische Kunst“ erforschen. Mit der Setzung farbiger Linien stellen seine Werke einen besonderen Bezug zum Ort her und spielen mit der Wahrnehmung der Betrachtenden. Umso spannender war es zu erfahren, wie er mit einer neuen Arbeit für „Marta Open Air“ den Außenraum thematisieren und mit diesem interagieren würde. Sehr schnell stellte sich bei einer ersten Ortsbegehung heraus, dass das Interesse des Künstlers besonders der Verbindung der unterschiedlichen Bauten auf dem Museumsareal gilt. Denn hier prallt die geschwungene und kippende Architektur von Frank Gehry mit seiner charakteristischen Backsteinfassade und dem glänzenden Edelstahldach auf den schlicht weißen, rechteckigen Funktionsbau des Marta Depots, untermalt von der dahinter plätschernden Aa, ihrer Uferböschung und den alten, großgewachsenen Bäumen.

Neue Blickachsen schaffen
Aber genau diese Unterschiedlichkeit der Bauwerke, ihrer Funktion und Ästhetik stellte das Projekt vor besondere Schwierigkeiten. Andreas Schmid arbeitet hauptsächlich mit farbiger Klebefolie, die sich perfekt an die Wand anschmiegt und somit eine fast malerische Wirkung erhält. Durch diese präzisen Eingriffe richtet Schmid neue Blickachsen aus und schärft die Wahrnehmung von Proportionen.

Da sowohl die Fassadenbeschaffenheit als auch die Farbigkeit der beiden Gebäude extrem unterschiedlich ist, war die erste Projektphase von einer intensiven Materialrecherche geprägt. Ziel war es, eine Folie zu finden, die sowohl auf dem Rauputz des Depots als auch auf den Backsteinen eine einheitliche Linie zeichnet, wetterbeständig ist und eine Haftung aufweist, die bis zum Herbst 2021 hält. Es folgten zahlreiche Testphasen unterschiedlicher Materialien. Besonders die Backsteinfassade, teils extremer Sonneneinstrahlung und direktem Regen ausgesetzt, entpuppte sich als recht widerspenstig. Es brauchte viele Versuche bis das richtige Ergebnis, welches sowohl ästhetisch als auch technisch allen Ansprüchen entsprach, erreicht war.

Frank Gehrys Spiel mit den Formen
In der Zwischenzeit schickte Andreas die ersten Entwürfe. Zu bedenken war, dass die speziellen Proportionen der Gehry Architektur mit ihren gebogenen und kippenden Wänden eine finale Vorabplanung fast unmöglich machen. Wie bei vielen Installationen im Marta Herford, entscheidet sich erst bei der Umsetzung vor Ort wie das Werk final aussehen wird.

Wände, die zunächst senkrecht erscheinen, sind in Wirklichkeit stark nach hinten abfallend, gerade wirkende Flächen weisen eine starke Biegung auf und jede neue Perspektive verändert den visuellen Eindruck erheblich. Eine Hauptaufgabe während des Aufbaus bestand somit darin, Blickwinkel auszuloten, Proportionen zu befragen und Verbindungen zu schaffen.

Für die präzise und sichere Anbringung der Streifen auf der teils neun Meter hohen Fassade musste mit einem Steiger mit Schwenkarm gearbeitet werden. Mit seinem Aufbauteam näherte sich Andreas Schmid Schritt für Schritt dem finalen Werk an. Immer wieder wurden die Arbeitsschritte mit Abstand betrachtet und Blickwinkel überprüft, neu ausgerichtet, Zentimeter für Zentimeter vorgegangen und erneut korrigiert, um die Streifen schließlich bei 300 Grad mit einem Heißluftgebläse anzubringen.

Von der Fläche in den dreidimensionalen Raum
Schon von Beginn an hatte Andreas Schmid die Idee, neben der Folie auch mit Seilen zu arbeiten. Mit ihrer räumlichen Präsenz ergänzen sie die flachen, wie Zeichenlinien wirkenden Folien und brechen die Flächigkeit der Fassade in den dreidimensionalen Raum auf. Die Witterung im Außenraum nimmt ihren ganz eigenen Einfluss auf das Werk, beispielsweise wenn der Wind sanft mit den Seilen spielt und den dreidimensionalen Raum abzutasten scheint, oder Schattenwürfe der Seile auf der Fassade tänzeln.

Je nach Blickwinkel changiert die fertige Installation zwischen abstrakter Zeichnung und dreidimensionalem Objekt. Die Linien wirken teils in den Raum übergehend, zeichnen die Architektur nach oder auch neu. Offensichtliches wird plötzlich nebensächlich, Zwischenräume in den Fokus gerückt und Details spielerisch untersucht. Die Harmonisierung von Gegensätzen und die bewusste Begrenzung auf eine reduzierte Formensprache sind wesentliche Ausgangspunkte des künstlerischen Ansatzes von Andreas Schmid.
Das Werk von Andreas Schmid ist noch bis zum Herbst 2021 im Zuge des Projekts „Marta Open Air“ auf dem Marta-Gelände kostenfrei und ohne Einschränkung zugänglich. In einem abwechslungsreichen Kunstparcours befragen die Künstler*innen den Außenraum und die Architektur neu und treten in einen lebendigen Dialog mit den Besucher*innen.