Schwebende Füller und freie Gedanken
Seit dieser Woche ist das Marta um ein besonderes Kunstwerk reicher. Peter Wächtlers für die Sammlung entstandenes skulpturales Mobile schwebt nun dauerhaft über den Köpfen der Museumsbesucher*innen in der kupferbar im Marta.
Die Skulpturen drehen und bewegen sich leicht im Luftzug und reflektieren das Sonnenlicht. Bei genauerem Hinsehen erkennt man sechs unterschiedliche Füllfederhalter, an den fünf Stahlbügeln eines Mobiles angebracht und im Gleichgewicht exakt austariert. Je nach Bewegung misst die Spannweite des Objekts bis zu sechs Metern. Peter Wächtler modellierte die Füllfederhalter einzeln aus Wachs und goss diese anschließend als Negativform in Aluminium ab. Auf diese Weise entstanden die einerseits bewusst grob gestalteten Formen und andererseits die detailgetreue Nachbildung der Schreibgeräte. Der Künstler ist nicht nur Bildhauer, sondern auch Filmemacher und Autor. Sprache spielt in seinem Werk eine zentrale Rolle: Zu dem Mobile entstanden auch zwei Texte in Form von Reden, die humorvoll und fast slapstickartig Bezug auf seine Arbeit nehmen.
Kunstvoller Umgang mit Sprache
Das Schreibutensil wird zum zentralen Element in Wächtlers Mobile. Die Ideen von Skulptur und Text verschmelzen in diesem Werk. Sein Schreiben wird sozusagen durch die Füller zum Material des Werks. Der Stift ist der direkte Weg, Gedanken aus dem Kopf zu materialisieren und aufs Papier zu bringen. In „Schreibposition“ ausgerichtet, halten sich die Füller sozusagen in der Luft, jederzeit bereit etwas zu notieren, Ideen und Gedanken noch im Flug aufzugreifen. Seien es Gedanken aus den Köpfen der darunter sitzenden und sich bewegenden Personen oder eines unsichtbaren Autors, dessen Spuren in den Raum geschrieben werden, kreisend, suchend, immer in Bewegung – dennoch pointiert und auf den Punkt gebracht.
Der klassische Füllfederhalter ist ein etwas altmodisches, fast schon ausgestorbenes Objekt für Liebhaber. Die Idee, dieses Bildungsgerät in einer kulturellen Stätte über dem alltäglichen Geschehen eines Cafés schweben zu lassen und den Museumsalltag sowie die (Kunst-)Geschichte akkurat mitzuschreiben, reizt den Künstler besonders. Gleichzeitig muten die Füller in ihrer eher groben und rohen Form an wie Ausgrabungen aus einer längst vergangenen Zeit. Die entsprechende Patinierung unterstreicht dieses Phänomen noch.
Der dritte Preisträger
In diesen Tagen wurde das neue Sammlungswerk unter Anwesenheit des Künstlers und zahlreicher Gäste feierlich eingeweiht. Darüber hinaus ist eine hochwertige Publikation über die drei bisherigen Preisträger*innen entstanden, reich bebildert und mit je einem Interview zwischen dem jeweiligen Nominator und dem Preisträger. In dieser Publikation sind außerdem die beiden zum Werk gehörenden, humorvollen Reden nachzulesen.
Peter Wächtler erhielt 2018 den hochdotierten Marta-Preis der Wemhöner Stiftung, der alle zwei Jahre durch eine Fachjury an eine*n internationale*n Künstler*in vergeben wird. Bisherige Preisträger*innen waren Heike Mutter / Ulrich Genth (2014) sowie Simon Wachsmuth (2016). Ein Jahr lang arbeitet der Preisträger im Dialog mit dem Team des Museums an der Produktion eines neuen Werks für die Sammlung Marta. Peter Wächtler, 1979 in Hannover geboren, lebt heute in Brüssel und Berlin und bedient sich vieler künstlerischer Ausdrucksformen: Er zeichnet, töpfert, malt, animiert und weiß ebenso kunstvoll Worte einzusetzen.
Vom Flieger zum Mobile
Seine erste Idee für das neue Marta-Werk war ein Flugobjekt für die Lobby bzw. den Eingangsbereich des Gehry-Gebäudes. Eine fliegende, kreisende Skulptur, die die Besucher*innen in der Welt des Museums empfängt und den Weg in eine ganz eigene Sphäre bereitet. Aus dem Flieger entwickelte sich durch verschiedene Zeichnungen und Modelltests ein Mobile – die Skulptur ist gleichzeitig der Bildträger und die Dynamik bleibt erhalten. Seine Idee, die Bügel des Mobiles zu verlängern und mit Zeigern auszustatten, die, wie seismografische Aufzeichnungen an der Horizontlinie kratzen und immer wissen, wie spät es ist, führten den Künstler zu den spitzen Stiften als Objekte für das Mobile.
Sind die Gedanken frei?
In seiner endgültigen Form stellt das Mobile Fragen nach der Entstehung neuer Ideen, der Freiheit und Bewegung von Gedanken ebenso wie der Bedrohung und Chance mit spitzer Feder geschriebener Texte. Wie Vögel ziehen die Füller ihre Runden über den Köpfen der Gäste, allzeitbereit sich hinabzustürzen, um ihre Gedanken aufzunehmen.