Über die Bemühung, auf allen digitalen Hochzeiten zu tanzen
Digitale Museumsformate sprießen momentan wie Frühlingsblumen: bunt und überall. Doch wie viel Zeit für sich selber bleibt inmitten dieses Überangebotes noch?
Seit Freitag, dem 13. März, steht die Museumswelt still und doch wirkt sie aktiver denn je: Virtuelle Ausstellungsrundgänge, digitale Live-Führungen und Videobotschaften geben den Besucher*innen einen teilweise intimeren Einblick hinter die Kulissen, als es normalerweise bei geöffneten Museumstüren möglich wäre.
Als Mitarbeiterin für digitale Kommunikation verfolge ich diese Aktivitäten mit großem Interesse. Ich selber arbeite in einem Museum, das generell der Meinung ist, dass seine Vermittlungsarbeit nicht außerhalb der Museumsmauern aufhört. Da bei uns die digitale Kommunikation stets mitgedacht wird, verfügten wir zum Zeitpunkt der Schließung glücklicherweise schon über viel Content, den wir in den nächsten Wochen – vielleicht auch Monaten? – ausspielen können. Um unseren Besucher*innen den Alltag zwischen Home-Office und Tagesschau so angenehm wie möglich zu machen, haben aber auch wir noch einmal unsere Kreativität sprühen lassen und kurze Videos gedreht, in denen wir die aktuellen Ausstellungen „Glas und Beton“ und „Navid Nuur“ aus persönlicher Sicht vorstellen und Anleitungen zum Selbermachen geben.
Ein bunter Strauß an digitalen Angeboten
Genauso wie wir, waren auch die anderen Museen kreativ und haben nach digitalen Möglichkeiten gesucht, die Ausstellungen zu vermitteln und ihre Besucher*innen in dieser Zeit abzulenken. Innerhalb von zwei Wochen hat eine Lungenkrankheit es geschafft, wonach viele seit Jahren verlangen: Die Museumswelt hat Wege und technische Möglichkeiten gefunden, um ihre Ausstellungen auch außerhalb der eigenen Räumlichkeiten zu vermitteln. Und nun, da der Knoten einmal geplatzt ist, scheint es kein Halten mehr zu geben und die digitalen Vermittlungsformate sprießen wie Frühlingsblumen: bunt und überall. So kann man beispielsweise mit Hilfe moderner Videotechnik von zu Hause aus live am monatlichen Kunstabend der Kunsthalle Mannheim teilnehmen. Oder bei einer Twitter-Challenge selber aktiv werden und Kunstwerke mit drei Gegenständen aus dem Haushalt nachstellen (die Bloggerin Angelika Schoder berichtete auf ihrem Blog „mus.er.me.ku“). Und wer nach dem ganzen visuellen Input die Augen entspannen möchte, findet in der SoundCloud der Deichtorhallen interessante Künstlergespräche, Diskussionen und Talks zum Hören. Übrigens, für diejenigen, denen diese Beispiele noch nicht ausreichen: Eine umfangreiche Auflistung diverser kultureller Aktivitäten stellt Anja Kircher-Kannemann dankenswerterweise auf ihrem Blog „Kultur-Geschichte(n)-Digital“ bereit.
Ist das Gegenteil von „gut“ „gut gemeint“?
Auf der anderen Seite des Online-Universums ertönen bei so viel Masse erste Gegenstimmen. Jörg Heiser von der Berliner Universität der Künste beispielsweise findet die Online-Auftritte der Museen nur selten gelungen und bezeichnet sie als „verzweifelt, unausgegoren und sinnlos“. Und ja, auch ich als Museumsmitarbeiterin kann den Gedanken nicht abstreiten, dass die Museen gerade unter dem großen Druck stehen, trotz geschlossener Türen sichtbar und im Gedächtnis ihres Publikums zu bleiben. Dennoch bin ich persönlich sehr dankbar, dass mir dieses vielfältige, digitale Angebot den Alltag bereichert und stimme Lena Kettner, der Kulturflüsterin von Herzen gerne zu, die auf ihrem Blog schreibt: „Ich finde, dass alle Formen, diese fundamentale Krise künstlerisch zu verarbeiten, gerade richtig und wichtig sind, solange sie die gegenwärtige Situation nicht verharmlosen oder die Gefühle anderer Menschen verletzen.“ Auch wenn ich mit manchen Ideen mehr anfangen kann als mit anderen, ist die Auswahl groß und die Geschmäcker sind zum Glück verschieden.
Torte statt Hochzeitstrubel
Trotz der Dankbarkeit um Ablenkung von den Tagesthemen merke ich aber auch, wie Unruhe in mir aufsteigt. Ja, manchmal fühle ich mich sogar regelrecht gestresst, wenn ich auf Twitter die vielen digitalen Angebote verfolge und versuche, sie in meinen Tagesablauf zu integrieren, der aktuell dank mobilem „Notdienst“ noch gut gefüllt ist. Aus diesem Grund spricht mir die Kolumnistin Anika Meier in ihrem Monopolartikel aus der Seele, wenn sie schreibt: „Alles, was sonst auf Bühnen stattfindet, wird ins Netz verlegt. Das Überangebot an kulturellen Veranstaltungen ist plötzlich so groß wie früher tagtäglich in Berlin.“ Und wie im realen Leben, kann man auch nicht auf allen digitalen Hochzeiten tanzen. Und selbst wenn man es auch noch auf die letzte Hochzeit schafft, kommt vielleicht doch noch während des rauschenden Festes der Moment, in dem man sich schon darauf freut, im Anschluss alleine im Bett ein Stück der Torte zu essen.
Kunst zum Heilen
Wenn ich ehrlich in mich hinein höre, sehne ich mich momentan eher nach Einsamkeit, anstatt nach Trubel. Ich möchte die aktuelle ‚Zwangspause‘ lieber dafür nutzen, zur Ruhe zu kommen, anstatt mich mit anderen via Skype oder im Livestream zu verabreden. Die Unsicherheit der letzten Wochen, das Schippchen, das wir auf der Arbeit noch draufgelegt haben, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein – all diese Anstrengungen fordern ihren Tribut und lassen mich müde und kraftlos zurück. Der Tank muss dringend aufgeladen werden.
Und deshalb und trotz dieses tollen Angebotes: Mach den Computer doch mal aus, leg das Handy weg und genieß es einfach, mal keine Termine zu haben. Nimm Dir Zeit, für das Buch, das Du seit langem lesen wolltest oder den Ausstellungskatalog, der im Regal verstaubt. Vielleicht findest Du ja jetzt die Zeit, das Werk länger zu betrachten, für das Dir beim letzten Museumsbesuch die Ruhe fehlte. Oder Du hast Lust, alleine oder mit anderen die eigene Kreativität wiederzuentdecken, die in unserem Alltag häufig viel zu kurz kommt.
Kunst kann uns dabei helfen, einen Zugang zu unserem Inneren zu bekommen und auszudrücken, was durch Worte nicht möglich ist. Vielleicht ist das in einer Zeit wie dieser, in der jede*r mit den eigenen Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert ist, wichtiger denn je – ganz gleich, ob digital oder analog.