Überwintern mal anders
Die Beschaffung einer historischen, funktionierenden Jahrmarktorgel, die Ausleihe von zehn professionellen Tiefkühltruhen als Vitrinen zu Präsentationszwecken oder auch die Organisation von ca. 350 m² Schaumstoff mit dreiecksförmigen Prismen als Wandverkleidung gehörten bei vorangegangenen Ausstellungen bereits zu meinen besonderen Herausforderungen.
Aber mit lebenden Tieren hatte ich bisher wirklich noch nicht zu tun. Dass der Job als kuratorische Assistentin im Marta Herford definitiv nicht von Langeweile geprägt ist, sondern ständig neue spannende, herausfordernde, aber eben auch teils ungewöhnliche Aufgaben bereithält, ist mir schon seit Längerem bewusst, aber nun von Anfang an:
Der Herbst ist in unseren Landen angekommen. Das Laub färbt sich farbenfroh, die Tage werden kürzer und die Temperaturen sinken. Der Mensch macht sich Gedanken, wie er den Winter überstehen soll und die Zugvögel beginnen ihre Reise in den Süden. Seltsame Flugformationen und Schwärme werden zu Land und am Horizont erspäht, immer auch beäugt mit einer gewissen Sehnsucht nach Sonne und Wärme. Soweit ist das alles normal wie jedes Jahr um diese Zeit. Doch Achtung: Eine ganz besondere Gruppe von Ziervögeln begibt sich auf eine außergewöhnliche Reise. Quasi zum Überwintern ziehen 24 Vögel, darunter Zebrafinken, Kanarienvögel und Diamanttauben im Marta Herford ein. Im Rahmen von Mark Dions Einzelausstellung „Widerspenstige Wildnis“ wird die „Library for the Birds“ (Bibliothek für die Vögel) zu ihrem neuen Zuhause.

Eine Voliere mit 6 m Durchmesser und einer Höhe von 6,5 m bietet den kleinen Tieren ein großzügiges Winterquartier. Im Schwarm können sie durch die Lüfte fliegen und sich auf den Ästen einer echten, großgewachsenen Buche ausruhen. Wie in vielen seiner Arbeiten thematisiert Mark Dion auch in dieser Installation das Verhältnis von Mensch und Tier. Die durch eine Doppeltür betretbare Voliere ist bestückt mit zahlreichen Büchern und Objekten, anhand derer sich die Vögel, wie auch die Besucher, über die Herausforderungen und Raffinessen ihrer gemeinsamen Lebenswelt informieren könnten. Fachbücher über die eigene Spezies, über Katzen, Fütterung und Zucht tauchen hier neben echten (aber nicht funktionstüchtigen) Fallen, Käfigen und Werkzeugen von Ornithologen auf.
Skurrile Aufgaben – Neue Lösungen
Doch so ein Einzug von Vögeln in das Museum und die Vorbereitung ihres neuen Heims muss gut organisiert sein. Mark Dion gab mir mit auf den Weg, dass Zebrafinken sich für diese Installation besonders gut eignen würden, weil sie sich im Umfeld von Menschen sehr wohlfühlen. Zudem sind sie gesellige Zeitgenossen und halten sich in Schwärmen auf. Nun gut, das kann ja nicht so schwer sein, dachte ich mir und recherchierte nach Vogelzüchtern in der Region. Aber bereits beim ersten Kontakt wurde mir schnell klar: Zebrafinken sind gerade nicht in Mode. Meine Anrufe bei den Züchtern in der Region blieben erfolglos.
Ich beschloss also erstmal den offiziellen Weg zu gehen und mich beim Veterinäramt zu erkundigen, welche Auflagen man erfüllen muss, wenn man solch ein Projekt mit lebenden Tieren im Museum plant. Sehr freundlich bat man mich, das Projekt im Detail schriftlich vorzustellen. Meine Beschreibung beinhaltete neben der Konzeptidee des Werkes auch die Informationen über die große Voliere, die Dauer des Projekts und den Wunsch Zebrafinken als Bewohner einziehen zu lassen. Zusätzlich gab ich die Information, dass Mark Dion „Library for the Birds“ bereits an anderen Orten realisiert hat. Frau Hochstetter vom Veterinäramt Herford kündigte darauf an, mit diesen Institutionen in Kontakt zu treten. Meine Hoffnung, dass das Veterinäramt mir seriöse Zebrafinkenzüchter empfehlen könnte, wurde leider nicht erfüllt. Nochmals bestätigte sich meine Erfahrung, dass Zebrafinken nicht (mehr) en vogue sind.

Vogelfreunde
Ich musste also einen anderen Weg finden, Kontakt zu Zebrafinkenzüchtern zu bekommen. Bei meiner Recherche stieß ich auf den Vogelverein Bünde. Ein Zusammenschluss von Vogelliebhabern, die regelmäßig Vogelschauen veranstalten und sich über die Haltung und Zucht austauschen. Auf der Webseite mit Bildern des urigen Vereinshauses und der regelmäßig stattfindenden Rahmenschauen fand ich auch den Kontakt des 1. Vereinsvorsitzenden. Ich griff zum Telefon, bereitete eine ausführliche Darstellung des geplanten Projekts vor und richtete mich auf Detailfragen zu Sinn und Zweck des Ganzen ein. Meine Anfrage nach ca. 25 Zebrafinken für ein Kunstprojekt des amerikanischen Künstlers führte allerdings überraschenderweise zu keinerlei Verwunderung. Ich hatte offensichtlich seinen Detektivsinn angesprochen und nach einem ersten: „Oh, das ist nicht so einfach“ und einigen folgenden „Hmmms“, „Alsoooos“ und „Tjaaaas“ nannte er mir einen Namen: Ich solle mich an Herrn Bachert in Lübbecke wenden. Er sei selbst Züchter und könnte Zebrafinken haben.
Beschwingt von dieser guten Nachricht schritt ich zur Tat und kontaktierte ihn. Auch hier wurde meine Anfrage als vollkommen normal gehandelt und er bot mir recht schnell Unterstützung an. Er sicherte mir zu, uns die Vögel für die komplette Laufzeit der Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Auch eine umfassende Beratung zu Haltung, Pflege und den besonderen Bedürfnissen der Tiere sollten wir bekommen.

Ein Abenteuerspielplatz für Zebrafink und Co.
Ich meldete meinen Erfolg direkt an das Veterinäramt und gab den Kontakt von Herrn Bachert weiter. So sollte sichergestellt sein, dass unsere kleinen Gäste aus seriöser Quelle stammen und wir für ihren Aufenthalt einen Experten an der Seite haben, der uns über alle notwendigen Fakten informiert. Von Amtsseite wurde vorgegeben, dass die Voliere und deren Beschaffenheit begutachtet werden müsse und man am Tag des Einzugs der Vögel dabei sein würde. Auch ein Gespräch mit dem Experten und den zuständigen Pflegern im Museum sollte stattfinden. Weil uns das Wohlbefinden der Tiere natürlich auch sehr am Herzen liegt, ließen sich diese Vorgaben einfach befolgen. Offensichtlich lief das Projekt gut! Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit fand ich übrigens eine interessante Empfehlung für die Haltung von Vögeln: Die Käfiggestaltung solle abwechslungsreich sein. Ohne Zweifel konnte ich diesen Punkt sofort als erfüllt ansehen. Denn unsere wochenlange Vorbereitung und Suche nach einem großen Baum, nach Büchern, Jägerutensilien, Käfigen und Objekten von Ornithologen, die Mark Dion schließlich in der Voliere installierte, stellte sich als wahrer Abenteuerspielplatz für Vögel heraus. Abwechslung sollte genügend vorhanden sein, ebenso reichlich Platz zum Herumfliegen und zum Ausruhen.

Der große Tag des Einzugs
Nachdem Mark Dion mit seiner Assistentin Sarah Kramer und mit Hilfe unseres technischen Teams die Voliere bestückt hatte und zahlreiche Gegenstände am und unter dem Baum angebracht worden waren, war die große Stunde gekommen. Herr Bachert brachte uns eine Auswahl an Vögeln, um genau zu sein: 10 Zebrafinken, 2 Diamanttauben-Pärchen, 10 Kanarienvögel (orangefarbige, gelbe, rot-mosaik und andere mit Haube) sowie 10 japanische Mövchen. Letztere sortierte der Künstler allerdings wieder aus.
Aufgeregt erwarteten der Künstler und seine Assistentin, Herr Dr. Boesing vom Veterinäramt und das Marta-Team den spannenden Moment, als die Tiere in ihre neue Umgebung gelassen wurden. Vorab besprach man allerdings noch ausgiebig die Positionierung der Trink- und Futterbehälter. Da es sich bei den Vögeln um Exoten und Kanarien handelt, muss unterschiedliches Futter angeboten werden, um eine artgerechte Ernährung zu gewährleisten. Die Trinkbehälter wurden teilweise in den Baum gehängt, teils wurden kleine Schalen aufgestellt, die die Tiere zusätzlich als Pool nutzen können. Täglich werden die Schalen gesäubert und mit frischem Wasser und Futter befüllt.
Als Herr Bachert die Zebrafinken aus ihren Transportkäfigen befreite, sausten diese in einem enormen Tempo durch die Höhen des Geheges und setzten sich schließlich entspannt auf die Äste. Sofort war der Ausstellungsraum mit Vogelgezwitscher und Leben gefüllt. Fast als müssten sie erstmal Mut fassen sich in ihr neues Heim zu begeben, nahmen sich die Täubchen und Kanarien etwas mehr Zeit, um ihre Trageboxen zu verlassen. Sie erkannten dann aber schnell die Vorzüge der großen Voliere, stärkten sich an der Futterstation und erkundeten munter ihre neue Umgebung.

Die Vorbereitung hat mir sehr viel Spaß gemacht. Wieder einmal habe ich mich mit einem Thema beschäftigt, mit dem ich außerhalb des Museums wahrscheinlich keine Berührungspunkte gehabt hätte. Fernab davon, mich als Expertin bezeichnen zu wollen, habe ich dennoch im Vorfeld einiges über unsere kleinen Museumsgäste erfahren und es reizt mich, mich weiter mit ihnen beschäftigen zu können. Es ist ein kluger Schachzug von Mark Dion, uns Museumsmitarbeiter im Vorfeld in die Recherchen der einzelnen Projekte miteinzubinden. Ganz nach seinem Prinzip des Amateurforschers habe ich mich auf eine kleine Forschungsreise begeben und mir eine zuvor fremde Welt angeeignet, in die nun auch die Besucher eintauchen können.