„Vergessene Provinz“ – Über die Chance des Digitalen
Wenn eine neue Ausstellung entsteht, fiebert das gesamte Marta-Team dem Eröffnungstag entgegen. Ein Projekt, das uns monatelang beschäftigt hat, findet nun seine gebührende Anerkennung. Für das Team der Öffentlichkeitsarbeit ist aber bereits die Pressekonferenz besonders aufregend. Spätestens hier zeichnet sich ein Trendbarometer für die zukünftige Berichterstattung ab.
Stößt das Ausstellungsthema auf Interesse bei den Journalisten? Dürfen wir auf eine dpa-Meldung hoffen? Gute (bundesweite) Presseresonanz ist natürlich die Kirsche auf der Sahnetorte. Am liebsten möchte man doch im Feuilleton einer F.A.Z oder Süddeutschen Zeitung landen.
Aber fast jeder, der in einem Museum mit der Öffentlichkeitsarbeit vertraut ist, weiß um die Schwierigkeiten der heutigen Pressearbeit. In den letzten Jahren gewann man den Eindruck, dass die Berichterstattung in den Feuilletons dieses Landes vor allem den Museen in den Metropolen gehört. Auch nach Gesprächen mit KollegInnen aus anderen Häusern festigte sich der Eindruck, dass sich die Medienlandschaft sehr stark gewandelt hat und dass Kulturthemen von anderen Schwerpunkten verdrängt werden. Oder täuscht uns dieses Gefühl?
Einladung zur Tagung
Genau diese Problematik hat die Fachgruppe „Kulturhistorische Museen und Kunstmuseen“ des Deutschen Museumsbundes zum Anlass für eine Tagung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt mit dem bewusst provokativen Titel „Vergessene Provinz“ genommen. Als man mich um einen Vortrag über die digitalen Kommunikationswege im Marta bat, habe ich sofort zugesagt. Das Thema brannte mir schon länger unter den Nägeln und wird bei uns immer dann wieder aktuell, wenn die Resonanz in der Presse nicht so ausfällt wie erhofft. Darauf folgen wilde Spekulationen im Team über die Ursache: Haben wir die Ausstellung falsch kommuniziert? War das Ausstellungsthema nicht interessant genug? Lag es am Titel?
Eine Antwort auf diese Fragen erhält man von den Redaktionen oft nicht, aber ich bin überzeugt davon, dass die Veränderungen in der Medienlandschaft ausschlaggebend dafür sind. Beispielsweise ist in einigen Zeitungen die klassische Kultursparte um die Bereiche Lifestyle, Musik & Co. ergänzt worden. Völlig verständlich also, dass die Journalisten in Ermangelung von Platz Prioritäten setzen müssen. Zudem haben sich die Bedingungen in den Redaktionen erschwert: Es gibt weniger Festangestellte, was sich auch auf die Besuche der Pressekonferenzen auswirkt. Nur wenige Journalisten der großen Tageszeitungen können sich noch die Zeit nehmen, um ein Ausstellungshaus zu besuchen. Vor allem, wenn es nicht in Berlin, Hamburg, Köln oder München und somit nahe dem Redaktionssitz liegt.
Fakten schaffen
Doktorarbeit die Kunstberichterstattungen der großen Feuilletons ausgewertet und analysiert. Ihre Ergebnisse bestätigten den Eindruck von einem Wandel in der Presseberichterstattung. Der Anteil an Rezensionen ist im Zeitverlauf auf 50 % angestiegen. Der Anstieg ist aber vor allem durch eine Zunahme der Literatur-, Musik- und Filmbesprechung zu erklären, während der Anteil der Ausstellungsrezensionen zurückgegangen ist. Der Anteil von 13%, der im Jahre 1997 noch auf die reinen Ausstellungsbesprechungen gefallen ist, hat sich mittlerweile auf 5% (Stand 2013) minimiert. Da haben wir es also!Interessant war auch ihr Ergebnis, dass 34% aller Berichte über Ausstellungen nur die Metropolen wie Hamburg, Frankfurt, Berlin, Köln und München einschließt. Alle anderen Städte in Deutschland teilen sich dabei einen Anteil von 30%, der restliche Anteil vom Kuchen geht an die Themen im Ausland. Zudem ist das Format der klassischen Ausstellungsrezension nur noch selten zu finden, der Diskursraum hat sich auf politische und gesellschaftliche Themen erweitert. Kunst wird weniger Gegenstand einer Berichterstattung, als viel mehr Ausgangspunkt einer Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen.
„Museen sind zu Performern geworden“
Besonders gespannt war ich auf den Vortrag des F.A.Z.-Redakteurs Kolja Reichert, dessen documenta-Kritik mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben ist. Wie würde er aus journalistischer Perspektive diese Entwicklung sehen? Von Oktober 2016 bis September 2017 gab es 455 Ausstellungsbesprechungen in der F.A.Z., worauf der Löwenanteil ebenfalls an die großen Städte ging – allein 133 kulturelle Beiträge waren in Berlin verortet. Auch wenn er keinen Rückgang der Kunstberichterstattung sieht, bestätigte er die Situation der minimierten Stellen für Korrespondenten und die Schwierigkeiten für freie Autoren. Weitere Anreisen für Museumsbesuche sind somit wirklich seltener geworden.
Vor allem fand ich aber wichtig, dass er den Leistungsdruck für Kultureinrichtungen angesprochen hat. Er machte deutlich, dass „Museen zu Performern“ geworden sind. Sie stehen unter dem Legitimationsdruck ihrer Träger. Museen agieren also sehr viel offensiver, werben um BesucherInnen, um Sponsoren und um Aufmerksamkeit.
Performer. Ja, irgendwie stimmt das. Wie ich es bereits in meinem #Kultblick angedeutet habe, konkurriert man als Kulturinstitution mit zahlreichen Optionen. Wir als Museum sind eine von vielen attraktiven Auswahlmöglichkeiten in Sachen Freizeitgestaltung. Ich glaube, dass es noch nicht mal so sehr um das Budget geht, was man als Konsument nicht zweimal ausgeben möchte, sondern um freie, wertvolle Zeit, die man investiert. In einer schnelllebigen Gesellschaft, in der wir uns zweifelsfrei befinden, ist Zeit zu einer sehr kostbaren Währung geworden. Einmal ausgegeben, ist sie nicht mehr rückholbar.
Die Chance ergreifen
Wir, die Museen in der „Provinz“, befinden uns also in einer schwierigen Situation. Denn für uns ist gute Presseberichterstattung gleichzusetzen mit der Hoffnung auf mehr Besucherinteresse. Und natürlich geht es dabei auch ein Stück weit um die Wichtigkeit von Ausstellungsthemen. Besonders das Marta definiert sich über gesellschaftsrelevante Fragestellungen am Puls der Zeit. Sollte trotzdem die Presseresonanz nicht wie gewünscht ausfallen, kann man dies auch als Chance begreifen. Durch die Schaffung einer eigenen (digitalen) Öffentlichkeitsarbeit, die weit über die Möglichkeiten der Pressearbeit hinausgehen kann, werden StammbesucherInnen und diejenigen, die es noch werden wollen, nicht nur informiert. Museen können auf diese Weise auch ihren Bildungsauftrag erfüllen und ihre gesellschaftliche Relevanz sehr stark nach außen hin verdeutlichen.
Ich denke nicht, dass dies die klassische Pressearbeit ersetzen wird, aber die Ergebnisse der Tagung zeigen deutlich, dass ein Umdenken in den Strukturen stattfinden muss. Der Aufgabenbereich der ÖffentlichkeitsarbeiterInnen wächst und verändert sich stetig. Kulturbetriebe sollten die Zeichen der Zeit erkennen und mehr als nur die digitalen Maßnahmen akzeptieren – im Idealfall werden diese Möglichkeiten abteilungsübergreifend immer mitgedacht. Wichtig ist, dass man nicht stehen bleibt, sondern auf die Entwicklungen der Zeit reagiert. Die digitale Kommunikation mag nicht immer ein Allheilmittel sein, aber trotzdem ist sie ein unerlässliches Instrument für Museen geworden, das uns ungeahnte Möglichkeiten bietet.
One Reply to “„Vergessene Provinz“ – Über die Chance des Digitalen”
Comments are closed.
Ganz richtig, Frau Sistermanns! Gerade die kleinen Kultureinrichtungen brauchen neue Strategien der Öffentlichkeitsarbeit. Einige haben das auch bereits erkannt und sind digital zum Teil besser aufgestellt als die großen Häuser. In Social Media und im Bloggen liegen die Chancen, sich abzuheben uns wahrgenommen zu werden. Dies bedeutet aber auch regelmäßig und dauerhaft Ressourcen dafür abzustellen, was wiederum in kleinen Einrichtungen nicht immer leicht ist.