#MartaonTour zum Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht
Ein erster Kontakt zwischen Marta Herford und dem niederländischen Centraal Museum Utrecht ergab sich bereits vor einigen Jahren ganz zufällig…
Unser Direktor Roland Nachtigäller war ins französische Saint Etienne gereist, um sich eine Ausstellung der Designerin Charlotte Perriand anzusehen und zu prüfen, ob es Möglichkeiten für eine Präsentation des fantastischen Oeuvres in Herford gibt. Mit dem gleichen Ansinnen war dort auch Edwin Jacobs, „Algemeen directeur“ des Museums im niederländischen Utrecht angereist. Für beide war es ein folgenreicher Kontakt, denn schnell stellte sich heraus, dass sie nicht nur persönlich eine gemeinsame Ebene fanden, sondern dass ihnen auch ein eigenwilliger Blick auf Kunst und Design, auf Präsentations- und Vermittlungsformen sowie die Lust am Experiment gemeinsam ist.
Und ausgerechnet das Jubiläum „100 Jahre De Stijl“ wird nun den Rahmen bilden für ein einzigartiges Gemeinschaftsprojekt, das sich um die reiche historische Sammlung des Centraal Museums und die zeitgenössischen Aktivitäten von Marta Herford entwickelt. Das Besondere in Utrecht ist, dass man neben dem sich selbst bereits über mehrere Gebäude erstreckenden Utrechter Museum dort auch das weltberühmte Rietveld-Schröder-Haus hat. Es wurde jüngst aufwendig restauriert und erstrahlt nun in wirklich faszinierend neuem und dennoch authentischem Glanz.
Geplant ist eine einzigartige Austauschbewegung: In dem für seine Zeit geradezu futuristisch anmutenden Rietveld-Schröder-Haus wird die Sammlung Marta in sechs Präsentationen zeitgenössische Akzente setzen, während parallel dazu ausgewählte Highlights aus der hochkarätig bestückten De Stijl-Sammlung des Centraal Museums nach Herford wandern.
Zur ersten Sichtung reist am 8. April 2016 eine kleine Delegation des Marta-Teams nach Utrecht. Natürlich hatten wir vor unserem Besuch auch schon einmal einen Blick auf die Website des Museums gerichtet. Hier sieht man das Rietveld-Schröder-Haus und dazu heißt es einladend: Visit – Explore – Contact (Besuchen, Erforschen, Kontaktieren)!
Was digital bereits ein Vergnügen ist, konnten wir jetzt endlich in Realität erleben. Mit einer persönlichen Führung des Museumsdirektors Edwin Jacobs und der Kuratorin Natalie Dubois besichtigen wir den außergewöhnlichen Bau, der 1924 von dem Möbeldesigner Gerrit Rietveld (1888–1964) in enger Zusammenarbeit mit der Auftraggeberin Truus Schröder entworfen wurde.
Eine Komposition aus weißen, grauen und schwarzen Flächen in Verbindung mit den Primärfarben Rot, Gelb und Blau – dieses frühe Experiment, mit dem Rietveld die De Stijl-Prinzipien von der Malerei auf eine Architektur übertrug, ist in der Geschichte einzigartig. Es steht auch heute noch atemberaubend modern in einer Reihe traditioneller niederländischer Backsteinhäuser und präsentiert sich mit schlichter Eleganz und einem geradezu musikalischen Rhythmus der Fassade. Es ist daher keine Überraschung, dass das Gebäude seinen Platz auf der Liste des UNESCO-Welterbes gefunden hat!
Damals wurde das Haus direkt am Rande der Stadt geplant und gebaut, der Blick in die weite Polderlandschaft jenseits der Bebauungsgrenze war Rietveld ein zentrales Anliegen, auf das er auch die Struktur und die vielen Fenster des Hauses ausrichtete. Doch die modernen Zeiten hatten anderes im Sinn. Nach dem Tod des Architekten (1964) und später seiner langjährigen Bewohnerin (1985) fanden sich kaum noch Menschen, die den Wert dieses Schmuckstücks zu würdigen wussten. Und so wuchs nicht nur die Stadt weiter ins Grüne hinein und erschloss sich Stück für Stück die grüne Aussicht für neue Baugrundstücke, sondern in den 1970er Jahren entstand schließlich auch direkt vor den Fenstern eine heute viel befahrene Hochstraße. Doch was für das Privathaus von Truus Schröder noch eine schmerzliche Störung war, ist heute touristisch höchst wertvoll. Über 18.000 Besucher kommen jährlich, um das Haus zu besuchen, das man nur in kleinen geführten Gruppen besuchen kann (unbedingt vorher Besuchstermin buchen!).
Im Innern entfaltet sich die ganze Vielfalt der revolutionär neuen Formensprache des Architekten und seinen verblüffenden Nutzungskonzepten. Farbflächen und unterschiedliche Materialien gliedern den Wohnbereich. Großzügige, zum Teil in den Ecken aufeinander stoßende Querformatfenster geben Ausblicke nach Draußen frei. Der Innenraum wirkt trotz einer relativ kleinen Grundfläche weitläufig und lichtdurchflutet. Aber wirklich umwerfend sind nicht nur die mobilen Wände, die den Wohnbereich flexibel gestalten lassen, sondern auch einige Details, wie beispielsweise die von Rietveld entwickelten Heizkörper oder Einbauschränke und Funktionselemente, die aus dem Bootsbau übernommen wurden. Einblicke in die Geschichte des Hauses gibt ein 3sat-Bericht.
Nach der Fertigstellung lebte die Innenarchitektin Truus Schröder hier mit ihren drei Kindern. Zwischen 1925 und 1933 hatte Gerrit Rietveld bereits ein Studio im Erdgeschoss, später zog er dann ganz ein. Pflegte man damals mit Filmvorführungen und diversen Veranstaltungen ein reges gesellschaftliches Leben, so ist das Haus heute ein Museum, das nur noch mit blauen Schuhüberziehern betreten werden darf – ein heute übliches Vorgehen, um historische Böden zu schützen, aber doch auch eine ganz eigenwillige Form der Fortbewegung in einem Ausstellungsraum.
Und deswegen waren wir ja hier, sodass die Frage immer mitschwang: Wie können wir hier eine passende Ausstellung aus unserer Sammlung einrichten?
Wenn man einen solchen Ort unter dieser spezifischen Perspektive betrachtet, so entdeckt man ganz andere Aspekte als üblicherweise: Wie sind die Räume geschnitten, wie viel Abstand kann man von einer Wand nehmen, welche Werke aus der Sammlung Marta würden einen sinnvollen Dialog mit dem Ort eingehen? Welche Präsentationsform könnte man überhaupt wählen, könnte man beispielsweise Fenster verdunkelt? Auf welche der (historischen) Wände dürften überhaupt Bilder gehängt werden? Und wie könnten die Werke beaufsichtigt werden, wer sorgt dafür, dass eine kleine Skulptur nicht plötzlich vom Tisch gestoßen würde? Viele dieser Fragen ließen sich bereits vor Ort klären, anderes muss man konkret mit Blick auf einzelne Werke beurteilen. Auf jeden Fall verlassen wir dieses beeindruckende Haus voller Bilder und Ideen im Kopf, beflügelt auch von den ebenfalls höchst enthusiastischen niederländischen Kollegen. Wir sind selbst in höchstem Maße gespannt, was aus dieser Zusammenarbeit entstehen wird …

Nach diesem herzlichen Empfang und dem eindrücklichen Rundgang durch die Rietveld-„Außenstelle“ des Museums führt uns die Reise dann noch einmal zurück ins Stammhaus (ebenfalls frisch renoviert und wirklich einen Besuch wert!). Wir schauen uns die beiden Ausstellungen „Hair“ und „Hacking Habitat“ an, bevor wir dann leider viel zu bald schon wieder die Heimreise antreten müssen. Dafür aber ist die Zugverbindung zwischen Herford und Utrecht höchst komfortabel und entspannend.
Ein Tag voller Impressionen – die wirkliche kreative Arbeit beginnt jetzt aber eigentlich erst. Wir freuen uns auf das gemeinsame Vorhaben mit diesem wundervollen Partner und auf ein weiteres tolles Marta-Projekt …