Warum wir Haltung zeigen müssen – Streitgedanken für 2019
Wer bestimmt eigentlich, was im Marta Herford gezeigt wird? Warum gibt es so viele Themenausstellungen und wer entscheidet das? Der Kuratoren-Begriff ist – nicht ganz zu Unrecht – in letzter Zeit arg in die Kritik geraten und auch ein Museumsdirektor ist – glücklicherweise – nicht mehr eine unangreifbare Autorität. Dennoch bleibt die Frage: Warum waren 2018 gerade diese Ausstellungen im Marta zu sehen? Zufall? Kalkül? Spontane Eingebung?
Vor allem im Zuge der heiß diskutierten documenta 14 mit ihrem zugespitzten kuratorischen Konzept entbrannte erneut eine polarisierende Debatte um die Autorenschaft von Ausstellungen, die nicht allein in der Polemik von Stefan Heidenreich „Schafft die Kuratoren ab!“ gipfelte. Auch andernorts wurde der Ruf nach einer Beschneidung der Kuratorenmacht laut, nach mehr Transparenz in Bezug auf Künstlerentscheidungen und nach einer breiteren Beteiligung an der Programmatik von Ausstellungsinstitutionen.
Der Mythos vom autonomen Künstler
Es ist allerdings nicht so, dass es das nicht längst gäbe. Produzentengalerien, aber auch von Künstler*innen im Vorstand geleitete Kunstvereine sind eingeführte Modelle, bei denen das Ausstellungsprogramm und die Künstlerentscheidungen auf (bisweilen basis-)demokratischen Prinzipien beruhen (ein exponiertes Beispiel dafür ist sicherlich die „neue gesellschaft für bildende kunst“ in Berlin). Dennoch steigert sich bisweilen die Unzufriedenheit mit bestimmten Ausstellungen in eine Wiederbelebung der Fantasie vom Künstlergenie hinein, das autonom, unabhängig und völlig frei in seiner Entfaltung selbst am besten weiß, wie die eigene Kunst oder auch eine ganze Ausstellung präsentiert werden müssen.
Auf der anderen Seite war es maßgeblich Harald Szeemann (1933–2005), der 1972 mit seiner documenta 5 scheinbar die Blaupause für jene neuen Kurator*innen zeichnete, die sich weniger als Ermöglicher*innen, sondern vielmehr als Schöpfer*innen mit eigenem Autorenanspruch verstehen.
Aber kein*e Künstler*in ist wirklich autonom, will sie*er von der Kunst auch leben. Kaum jemand kann sein eigenes Schaffen aus der Distanz mit dem Blick von außen betrachten und jenseits von Eitelkeiten sein Werk dem Publikum präsentieren. Ebenso aber benötigt heute auch kaum eine Ausstellung den obsessiven Kuratorengenius, der aus der Kunst als Rohmasse erst den Glanz einer Konzeptschau herauspolieren muss. Vor dem Hintergrund eines radikal veränderten Kunstmarktes, dessen Preise nichts mehr mit dem künstlerischen Wert eines Werks zu tun haben, sind auch radikal andere Haltungen auf beiden Seiten gefragt.
Ein kuratorisches Mission Statement?
Auf Seite der Institutionen ist es vor allem die*der authentische Ausstellungsmacher*in, die*der sich in erster Linie als Ermöglicher*in versteht. Es gilt vor allem gute Rahmenbedingungen zu schaffen, dafür zu sorgen, dass die Kunstwerke ein angemessenes Umfeld für ihre Sichtbarkeit erhalten; dass Künstler*innen ein kritisches Gegenüber mit den richtigen Fragen im richtigen Zusammenhang vorfinden; dass gemeinsam Lösungen erarbeitet und eine sinnvolle Auswahl getroffen werden; dass das Publikum Lust und Möglichkeiten dazu hat, sich mit den Werken und ihrer Präsenz im Raum angemessen auseinanderzusetzen … – Vielleicht wäre das sogar schon eine Art kuratorisches „Mission Statement“ für das Marta Herford.
Doch zurück zur Eingangsfrage: Wie entsteht denn daraus nun ein Ausstellungsprogramm? Zu den bestmöglichen Rahmenbedingungen gehört es eben auch, ein Publikum überhaupt anzulocken, es neugierig zu machen, ihm einen Grund zu liefern, wiederholt an den gleichen Ort zurückzukehren. Warum? Weil er mit der Kunst immer wieder aufs Neue überrascht, sich stetig verändert, am Puls der Zeit arbeitet und Fragen stellt, die allgegenwärtig sind. Das ist vielleicht die größte Herausforderung eines Jahresprogramms: Wie ordnet, präzisiert und verwirft man die Vielzahl von Ideen, interessanten Künstler*innen und neuen Präsentationsstrategien so, dass sich daraus ein spannungsgeladener Bogen formt, dass sich Dinge gut zueinander fügen und voneinander absetzen?
Kunst als Wagnis
Wir haben uns hier im Marta – und jetzt wird es bewusst subjektiv – für den Schwerpunkt der Gruppen- und Themenausstellung entschieden, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Art von Ausstellungen für mich immer noch die Königsdisziplin darstellt. Hier lässt sich eine größere Anzahl von Kunstschaffenden dem neugierigen Publikum präsentieren, hier können zeitgeschichtliche Beobachtungen mit Künstler*innen zusammen fokussiert werden, hier können (wenn man es gut macht) Werke in einen erhellenden Dialog und einen weiterführenden Zusammenhang gesetzt werden, ohne als Belege missbraucht zu werden. Hier ist das Museum der Ort, an dem Fragen formuliert werden, an dem nicht in erster Linie des Schöngeists Seele gestreichelt wird, sondern Kunst als Wagnis, als Tastbewegung in eine ungewisse Zukunft verhandelt wird. Ja, und auch der Ort, an dem der Kunstmarkt nicht das Zepter in der Hand hält, nicht die Entscheidungen steuert und die Ware Kunst als solche erst einmal ruhig gestellt ist.
Dieses – und noch ein paar andere Dinge mehr – allerdings sind keine demokratisch gefällten Entscheidungen, sondern erst einmal mein Angebot als Direktor eines Museums, für das ich unter mehreren „Anbietern“ gewählt wurde und wofür ich auch nur einen zeitlich befristeten „Auftrag“ erhalten habe. Gemeinsam mit den Marta-Kuratorinnen füllen wir dieses Grundkonzept nun tagtäglich mit Inhalten und das sind in erster Linie – Entscheidungen! Gemeinsam abgewogen, fachlich begründet, mit Kenntnissen und Erfahrungen unterfüttert, aber wieder: mit Leidenschaft subjektiv!
Lob der Kritik
Und da kommen wir zu einem interessanten Punkt: Obwohl man glauben könnte, dass angesichts der Vielzahl von individuellen Äußerungen gerade in den sozialen Medien, vor dem Hintergrund von Hate-Posts, Shitstorms, Online-Prangern persönliche Meinungen eigentlich kein Problem mehr sind, so fehlt uns gerade genau das – pointierte Haltungen, klare Urteile, individuelle Positionierungen, die nicht innerhalb der Echokammern zu Bestätigungschleifen mutieren, sondern unabhängige, gut argumentierte Setzungen sind. Entscheidungen, die ein Risiko tragen, die sich zur Diskussion stellen und sich angreifbar machen, die aber vor allem einem kritischen Bewusstsein und einer aufmerksamen, reflektierenden Beobachtung der Welt entspringen.
Und genau deshalb wird in einer Zeit, in der die Welt weiter zusammenrückt, in der verstärkt andere Kulturen in unser Wahrnehmungsfeld drängen, die Sehnsucht nach dem autonomen Künstlergenie des 18. Jahrhunderts wieder aufgerufen, das dem Publikum frei – und erst recht frei von irgendwelchen Kurator*innen (gerne wird hier im polemischen Diskurs auch noch „sogenannten“ oder „selbsternannten“ ergänzt) – gegenübertritt. Es ist nicht mehr gewünscht, mit fachkundigen Augen beurteilt zu werden, sich dem konstruktiven Vergleich, dem Wettbewerb gar zu stellen – denn man weiß selbst am besten wie gut man ist.
Doch das Gegenteil ist der Fall: Ich zumindest möchte wieder Ausstellungskritiken lesen, die kritisieren, im positiven wie im negativen Fall, die für oder gegen etwas streiten, ich möchte Künstlerpräsentationen sehen, die sich wirklich positionieren (und nicht nur als „Position“ bezeichnet werden), ich möchte Ausstellungen hier im Hause realisieren, die bewegen, die ebenso begeistern wie anecken, die sich einer öffentlichen Auseinandersetzung stellen, mit ihrem Konzept ebenso wie mit der Künstlerauswahl und den einzelnen Projektinhalten.
Kunst und Demokratie
Deshalb argumentiere ich an diesem Punkt sehr undemokratisch und zugleich ganz im Sinne einer guten Demokratie: Kunst hat nichts mit Mehrheitsentscheidungen oder Verkaufserfolgen zu tun, sondern mit subjektiven Setzungen, die sich der öffentlichen Diskussion stellen. Das ist wahrlich nicht immer leicht, gelingt auch nicht in jedem Fall, es ist aber der Kern unserer kulturellen und sozialen Entwicklung. Erst in dieser Form der Auseinandersetzung, bei der ich mich jedes Mal fragen muss, ob ich dem Urteil eines*r anderen folge und warum (nicht), bewahren wir uns eine kritische Debattenkultur, die für beide Seiten ein Gewinn und der nächste Schritt in die Zukunft ist.
Gerade jetzt, da im vergangenen Jahr immer wieder mal der Ruf nach starker Führung als klirrender Misston der gesellschaftlichen Diskussion zu vernehmen war, da immer mehr Menschen vor der Übermacht allgegenwärtiger Überwachung und Datensammlung kapitulieren, da man nicht einmal mehr Ergebnissen von Volksabstimmungen (die ich im übrigen durchaus kritisch sehe) folgen will, wenn sie der eigenen Meinung zuwiderlaufen – gerade jetzt halte ich es für wichtig, immer wieder die Debatte zu üben, den Meinungsaustausch, das Argumentieren, Abwägen, das Zusammenspiel von gemeinschaftlichem Tun und Vertrauen in einzelnen Entscheidungen. Und es gibt in der Tat nicht viele so hervorragend geeignete Übungsfelder dafür wie das Museum und die Kunstausstellung!
Und so haben wir 2018 Ernst Caramelle die Lippold-Galerie überlassen, weil wir wussten, dass er es kann; so haben wir fünf Künstler*innen Wege durch das Labyrinth der Gegenwart legen lassen, weil wir hofften, dass sie gemeinsam zu etwas größerem als zu fünf Einzelprojekten wachsen; so haben wir den „Ausbruch aus der Fläche“ als vielstimmigen Parcours eingerichtet, weil wir so viele Künstler*innen an einer ähnlichen Fragestellung arbeitend entdeckt haben; so haben wir das Verhältnis von Tieren und Gegenwartsdesign thematisiert, weil wir zeigen wollten, wie stark zum Teil im Verborgenen stattfindende Gestaltungsprozesse unsere Zukunft vorprogrammieren; und so haben wir schließlich gemeinsam mit acht Künstler*innen die unglaubliche Geschichte der Weltausstellungen durchforstet, weil wir fasziniert davon waren, dass Kunst in der Vergangenheit eine so viel wichtigere Säule der gesellschaftlichen Selbstdarstellung war (und hoffentlich zukünftig auch wieder sein wird).
Mit den besten Empfehlungen für 2019!
Aber all das entstand auf der Basis intensiver, höchst engagierter und oft kontroverser Diskussionen im kuratorischen Team von Marta Herford. Und auch das Jahresprogramm 2019 ist das Produkt eines solchen gemeinschaftlichen Kraftaktes, bei dem der (ja, ich werde jetzt etwas pathetisch) aufklärerische Auftrag des Museums eine uns alle verbindende Leitidee für die Arbeit ist. Freuen Sie sich darauf, welche Funken sich hoffentlich für das gerade anbrechende Jahr daraus schlagen lassen!
2 Replies to “Warum wir Haltung zeigen müssen – Streitgedanken für 2019”
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Bravo! Wenn dieser Text ein offener Brief für die Verteidigung des Museums als freiheitlich, aufklärerischer Ort des Diskurses und der Kontemplation wäre, würde ich ihn sofort unterscheiben. Toller Anspruch. Weiter so in 2019.
Lieber Dirk,
vielen Dank für deine ermutigenden Worte. In der Tat, es ist (auch) eine Art offener Brief, nur ohne Unterschriftenliste und letztlich auch mit nicht gezählten Adressaten. Wir haben viel vor uns, Veränderungen, Verteidigungen, Aufbrüche und Positionierungen. Daran werden wir als Museum arbeiten, auch und gerade zusammen mit euch Künstler*innen.
Herzlichst
Roland