5 Fragen an Annette Frick
Annette Frick studierte Bildende Kunst an der Fachhochschule für Kunst und Design, Köln, bei Arno Jansen, Daniel Spoerri und Robert van Ackern. 1996 zog die Fotografin und Filmemacherin nach Berlin, wo sie die Queer- und Punk-Subkulturen fotografisch einfing. 2007 gründete sie dort gemeinsam mit dem Filmemacher Wilhelm Hein, mit dem sie schon seit 1992 das Fanzine „Jenseits der Trampelpfade“ publiziert, den Projektraum CasaBaubou. Die Ausstellung „Ein Augenblick im Niemandsland“ zeigt die bis dato größte institutionelle Einzelschau der Künstlerin.
Liebe Annette, wie hat sich deine fotografische Arbeit im Laufe der letzten 30 Jahre entwickelt? Gibt es bestimmte Themen oder Motive, die sich als roter Faden durch deine Werke ziehen?
Das Portrait war schon immer ein wichtiges Thema meiner Arbeiten und hat in der Form unterschiedliche Stadien durchlaufen. Ebenfalls das Selbstportrait, weil ich mir selbst immer zur Verfügung stehe. Oft habe ich eine Idee, aber eine andere Person ist gerade nicht verfügbar oder die Idee ist noch nicht ausgereift und will erst ausprobiert werden. Auch wenn meine Arbeiten alle von einer Grundidee ausgehen oder ein Konzept haben, liebe ich es, spontan zu arbeiten und eine Idee möglichst direkt umzusetzen.
Der rote Faden meiner Arbeit ist die Neugier auf andere Menschen und meine Umgebung und die Frage, wie sich eine Situation, ein Gefühl oder eine Erfahrung am besten in Fotografie bzw. Film umsetzen lässt. Daneben interessierten mich ebenfalls das Fotomaterial, seine Beschaffenheit und Verarbeitung und die Möglichkeiten, die mir dieses Material während dieses Prozesses bietet.
In meiner künstlerischen Arbeit hinterfrage ich Stereotypen von Geschichte, Identität, Kunst und Leben, hauptsächlich mit den Mitteln von Fotografie, Film und Printmedien. 2016 begann ich mit meinem Projekt „Spuren im Schatten eines Phantoms“ und folgte in Paris den ersten (dokumentierten) Spuren früher weiblicher Künstlerinnen des Surrealismus und der 1930er Jahre und erkundete die Situation unabhängiger radikaler Künstlerinnen der Gegenwart, um zu zeigen, dass es auch „Jenseits der Trampelpfade“ noch einiges zu entdecken gibt. Aus diesem Grund habe ich schon früh begonnen selbst Ausstellungen zu organisieren und Arbeiten zu präsentieren, die ich wichtig und sehenswert fand.
So entstand das CasaBaubou (in diesem Wort ist sowohl UBU als auch BAUBOU enthalten) als Ort in dem wir, mein Partner Wilhelm Hein und ich, von Zeit zu Zeit radikale Kunst oder Kunst, die woanders nicht erwünscht war, zeigten und Veranstaltungen organisierten.
In deiner Serie „Fuck Gender“ sind zahlreiche Ikonen der Trans- und Drag-Szene auf Partys, bei Performances auf der Bühne, aber auch im Backstage-Bereich zu sehen. Wie kamst du auf den Titel der Serie und wie bist du an die Protagonist*innen deiner Fotografien herangetreten?
Die Arbeit „Fuck Gender“ hatte zuerst den Titel „Die Masken der Identität“. Etwa 1999 versuchte ich dieses Projekt zu veröffentlichen, aber es wurde überall abgelehnt. Da ich mir sicher war, dass es nicht an der Qualität meiner Bilder liegen konnte, vermutete ich, dass der Grund für die Ablehnung der Bilder Vorurteile waren … und ich dachte mir „Mensch, Leute scheißt auf die Geschlechterzuordnung“ und plötzlich hatte ich den Titel „Fuck Gender“ im Kopf.
Ich bin genauso an die Protagonist*innen meiner „Fuck Gender“-Bilder herangetreten, wie ich es sonst bei Portraitaufnahmen auch mache: Ich habe sie vor den meisten Aufnahmen gefragt, ob ich ein Bild machen kann. Vielleicht waren sie etwas offener, weil sie als „Rampensäue“ Scheinwerferlicht gewohnt sind und auch immer mal wieder Bilder brauchen…, aber es gibt keine allgemeine Antwort und kein Patentrezept… Jede Situation ist neu und jede Zeit hat ihre neuen Herausforderungen… Grundsätzlich ist es in jeder Situation anders…
In deinen Selbstporträts, wie zum Beispiel in der Serie „Die Schlangengöttin“, spielen Rollenbilder und Inszenierung eine große Rolle. Welche Botschaft möchtest du mit diesen Bildern transportieren?
Jede, die anfängt zu denken, stellt sich irgendwann die Frage, wie es eigentlich zu diesen krassen Rollenvorstellungen und Ungleichbehandlungen von Männern, Frauen und Zwischenwesen kommen kann… Forschst Du dann weiter, stellst Du fest, dass es nicht immer in allen Kulturen so war. Dieses Phänomen hat sich eigentlich erst im Industriezeitalter bzw. noch früher, durch die Kolonialisierung so krass herausgebildet. Kürzlich musste ja sogar das Märchen vieler Archäologen von Frauen als Sammlerinnen und Männern als Jäger zurückgenommen werden, weil erstmals durch DNA-Analysen prähistorische Grabfundstätten untersucht werden konnten. Und siehe da: Nicht alle Skelette, die Waffen als Grabbeilage hatten, waren von Männern. Es gab auch Frauen, die Jägerinnen waren und große Tiere jagten. Aber diese Fakten wurden lange Zeit nicht erkannt oder unterschlagen, wollten nicht bemerkt werden, weil es nicht mit den herkömmlichen Vorstellungen übereinstimmte.
Mit meinen erotischen Selbstportraits möchte ich die uns Künstlerinnen von der Gesellschaft auferlegten Schranken zerstören. Aber nicht aus Provokation, sondern als eine notwendige Voraussetzung für ein wirklich freies Arbeiten. Gefühle wie Liebe und Hass, aber auch eine selbstbestimmte Sexualität wurden von Kirche und Staat immer wieder als Bedrohung angesehen und zu unterdrücken versucht. An den Aphrodite-Darstellungen zum Beispiel kann man ablesen, wie sich das Verhältnis zum weiblichen Körper und zur Sexualität über die Jahrhunderte geändert hat. Die griechische Göttin Aphrodite verkörpert den Geist der ungezähmten, unzivilisierten Venus, der Göttin der Liebe und der Lebensfreude. Aphrodite ist Synonym für Schönheit und Intelligenz, gleichzeitig gilt sie jedoch auch als Streitanstifterin und ist Göttin des Krieges. Anfang der 1990er Jahre beschäftigte ich mich mit diesen Frauendarstellungen und Mythen, neben der Aphrodite-Darstellung u.a. auch mit dem Undine-Mythos (siehe die „Arbeit aus dem Wasser“), der Schlangengöttin (ebenfalls in der Ausstellung zu sehen) und Baubou… Aber ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern Künstlerin und habe diese Auseinandersetzung künstlerisch auf meine Art geführt.
Neben Fotografien hast du auch experimentelle und dokumentarische Filme realisiert. Wie ergänzen sich diese verschiedenen Medien in deinem künstlerischen Schaffen, und wie beeinflussen sie sich gegenseitig?
Meine filmischen und fotografischen Arbeiten ergänzen sich oft. Manchmal laufen sie parallel oder ich greife zum Film, wenn ich mit der Fotografie das Gefühl habe nicht weiter zu kommen. Manchmal entdecke ich aber auch über das Filmen einen neuen fotografischen Ansatz, wie zum Beispiel bei meinem Film „Cosmic Elements“, der mich zu einer Photogramm-Serie inspirierte. Oder eine Portraitsitzung ist so spannend, dass ich die Filmkamera einschalte, um das Gespräch aufzunehmen, weil ich das Gefühl habe, dass wir gerade ein existenziell wichtiges Thema besprechen… Film und Fotografie sind zwar sehr verwandt, ohne die Erfindung der Fotografie gäbe es vermutlich auch den Film nicht, jedoch unterscheiden sie sich grundlegend in der Umsetzung von Zeit, Raum und Bewegung und Ton… Das genauer zu untersuchen war meine Herausforderung… Ebenfalls interessierte mich beim Film, wie Bewegung durch Material entsteht und wie durch den Ton eine zweite Ebene hinzukommt.
Du hast den Wandel des Stadtraums in Berlin mit deiner Serie „Nix…Meta…Meta…Schwupp…Weg…Is…Et“ dokumentiert. Was fasziniert dich an urbaner Architektur und wie reflektiert sich der Wandel in deinen Bildcollagen?
In meiner Arbeit „Nix…Meta…Meta…Schwupp…Weg…Is…Et“ beschäftigen mich die scheinbar simplen Fragen, warum bestimmte historisch relevante Gebäude und Plastiken in Berlin abgerissen und andere restauriert oder rekonstruiert wurden. Bei der Ausarbeitung greife ich auf meine analogen schwarz-weiß Negative zurück, die ich in den 1990er Jahren begann und bis heute fortsetze.
Fotografie war und ist für mich keine rein ästhetische Angelegenheit, aber auch kein bebildertes Pamphlet, sondern ein Medium, um Wirklichkeit zu transformieren. Anhand subtiler, oft beiläufig stattfindender Veränderungen ist zu sehen, wie sich Berlin von einer Inselstadt in einem Vakuum in eine Weltstadt entwickelt. Diese Entwicklung hat ihren Preis und geht nicht ohne Verluste. Die von mir entwickelte fotografische Montageform lässt die Verzahnungen und Verwickelungen dieser Veränderungen auf das geografische, aber auch geistige, psychische und gesellschaftliche Klima erahnen.