5 Fragen an Christian Kosmas Mayer
Die italienisch-australische Philosophin und Theoretikerin Rosi Braidotti betrachtet Christian Kosmas Mayer als einen „neuen materialistischen Denker und Praktiker, […] der eine nicht-deterministische Vision von Materie vertritt.“1 In seinen Arbeiten setzt sich der in Wien lebende Künstler intensiv mit dem Thema Unsterblichkeit auseinander. Seine Kunstwerke erforschen die Verbindung von Materie und Virtualität und öffnen faszinierende, aber auch kritische Perspektiven auf die Beziehung zwischen Technologie und Vergänglichkeit.
Lieber Christian, wie kam es dazu, dass du dich in deinen Arbeiten mit dem Thema Unsterblichkeit auseinandersetzt? Gab es ein Schlüsselerlebnis oder eine besondere Inspiration dafür?
Seitdem die Menschheit sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst wurde, begleitet sie das Begehren nach Unsterblichkeit. Dieses Verlangen war und ist ein bedeutender Antrieb für die Entstehung von Kultur sowie für das, was wir als Fortschritt bezeichnen. Um die gegenwärtige Situation unserer Gesellschaften zu verstehen, ist es für mich deshalb unumgänglich, mich mit diesem tief verwurzelten Wunsch nach Unsterblichkeit auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist es auch eine Möglichkeit, mich mit meiner eigenen Sterblichkeit zu konfrontieren. Ich finde es besonders faszinierend, künstlerisch zu erforschen, wie dieses uralte Begehren durch die aktuellen technologischen Innovationen in den Bereichen Biotechnologie und Künstliche Intelligenz (KI) eine neue und aufgeladene Bedeutung erfährt.

In der 8-Kanal-Installation „Maa Kheru“ hast du die Stimme einer ägyptischen 2000 Jahre alten, männlichen Mumie in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Dresden synthetisch wiedererschaffen. Welche Bedeutung hat diese Stimme für dich?
Wir haben auf Basis von Computertomographischen Scans einer männlichen ägyptischen Mumie den Teil seines Körpers reproduziert, in dem seine Stimme einst entstand: den sogenannten Vokaltrakt. Mithilfe einer künstlichen Tonquelle und einer von uns entwickelten verformbaren Zunge aus Silikon konnte ich dieses 3D-Modell schließlich wie ein Instrument bespielen. Je nach Tonquelle und Zungenstellung klangen die erzeugten Töne mal mehr, mal weniger menschlich, und ich musste zunächst ein Gefühl dafür entwickeln, wie ich dieses für mich neue Instrument zu spielen hatte. Die daraus resultierenden mehrstündigen Aufnahmen bilden die alleinige Grundlage für die Komposition des 8-Kanal-Stücks, das nun zu hören ist. In dieser Komposition verschmelzen stimmliche Klänge harmonisch mit Tönen, die an uralte Blasinstrumente erinnern, zu einer Collage, die an eine spirituelle Versammlung in einer fernen Ära denken lässt. Die Stimme, die in dem Stück zu hören ist, basiert auf dem Körper der Mumie und stellt somit eine faszinierende Rekonstruktion der Stimme dieses ägyptischen Mannes dar, wie sie vor etwa 2000 Jahren geklungen haben könnte. Jedoch enthielt der experimentelle Prozess, der zu ihrem Erklingen führte, so viele spekulative Elemente, dass sie auch als eine avantgardistische Technostimme betrachtet werden kann. Diese Stimme öffnet nicht nur ein Fenster in die Vergangenheit, sondern gewährt auch einen Blick in die nahe Zukunft, in der durch KI erhaltene Stimmen Verstorbener weiterhin mit uns kommunizieren werden. Dieses faszinierende Szenario lässt erahnen, wie Technologie und menschliche Existenz auf bisher ungeahnte Weise miteinander verschmelzen könnten und welche ethischen Fragestellungen damit einhergehen.

Deine bewegten Fotografien basieren auf den Portraits von William H. Mumler (1832–1884). Der US-amerikanische Fotograf galt als Pionier der sogenannten Geisterfotografie und fing durch die Anwendung von Doppelbelichtung scheinbar die gespenstische Anwesenheit geliebter Verstorbener, Vermisster oder gar nicht existierender Menschen in seinen Bildern ein. Was hat dich dazu bewogen, dich gerade mit diesem historischen Material auseinanderzusetzen und deine Mimik darauf zu übertragen?
Ich war schon lange fasziniert von den Anfängen der Fotografie und ihrer Beziehung zu geisterhaften Erscheinungen in sogenannten „Geisterfotografien“. William H. Mumler wird als Erfinder dieses Genres angesehen. Damals verstanden nur wenige Menschen den Prozess hinter der Fähigkeit der Fotografie, Bilder auf einer Oberfläche erscheinen zu lassen. „Jede ausreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“, wie der verstorbene Science-Fiction-Autor und Physiker Arthur C. Clarke einmal behauptete. Was wir als fortschrittliche Technologie betrachten, ändert sich natürlich im Laufe der Zeit. Heutzutage dringt KI immer weiter in unser Leben ein, ohne dass die meisten von uns genau verstehen, wie diese Algorithmen funktionieren. Trainiert mit unseren Daten können sie „Deep-Fake“-Videos generieren, in denen simulierter Inhalt von handelnden und sprechenden Personen überzeugend real erscheint. In meiner Serie animierter Fotografien interagieren solche Geister aus Vergangenheit und Gegenwart auf unheimliche Weise. Ich habe die Bewegungen meines eigenen Gesichts aufgezeichnet und diese dann als Trainingsdaten einem speziell dafür entwickelten Algorithmus zugeführt, um sie auf die Gesichter der von Mumler porträtierten Personen anzuwenden. In der resultierenden Arbeit führen die vor über 150 Jahren fotografierten Menschen meine Gesichtsausdrücke aus. Ich lege ihnen buchstäblich Worte in den Mund, aber was sie sagen, bleibt für uns unhörbar. Diese animierten Fotografien feiern eine Geschichte der Verbindungen zwischen Geistern und Technologie sowie die fortwährende Macht solcher Technologien, virtuelle Präsenzen hervorzurufen.

Als Kryonik bezeichnet man das Aufbewahren von Körpern durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff, um sie – sofern möglich – in der Zukunft wiederbeleben zu können. Die Skulpturen deiner Serie „If you love life like I do“ basieren auf exakten Skizzen eines Kryonik-Unternehmens in den USA und sind als Kritik an einer opportunistischen Definition von Unsterblichkeit zu lesen. Kannst du uns mehr zu dieser Arbeit erzählen? Wie fügt sie sich im Kontext von KI ein?
Die Kryonik und die digitale Unsterblichkeit mittels KI stehen in engem Zusammenhang und sind zwei verschiedene Ansätze, die derzeit das Streben nach Unsterblichkeit widerspiegeln. Die Frage dabei ist, welche Bedeutung man dem eigenen Körper für das erhoffte ewige Leben zumisst. Die Kryonik ist eine Technik, bei der Menschen nach ihrem Tod eingefroren werden, in der Hoffnung, dass sie in der Zukunft wiederbelebt werden können, wenn die medizinische Technologie weit genug fortgeschritten ist. Da die Kosten für diese Wette auf die Zukunft bei über 100.000 Dollar liegen, steht dieser Weg in die Unsterblichkeit nur den Reichsten in unserer Gesellschaft offen. Für meine Serie an Skulpturen habe ich die Form der Lagerung dieser bei -196 Grad Celsius gelagerten Körper recherchiert: kopfüber, in Schlafsäcke gehüllt und in Metallboxen gesteckt erwarten sie ihr zweites Leben.
Auf der anderen Seite streben einige Visionäre nach digitaler Unsterblichkeit, indem sie daraufsetzen, dass ihr Bewusstsein und ihre Persönlichkeit in eine künstliche Intelligenz hochgeladen werden können, um so nach dem Tod weiterzuleben. Der Körper spielt hier keine Rolle mehr. Beide Ansätze sind Ausdruck des uralten Begehrens der Menschheit nach Unsterblichkeit, aber sie werfen auch komplexe ethische, philosophische und technologische Fragen auf. In dieser Ausstellung wollte ich diese beiden eng miteinander verbundenen und sich doch auch widersprechenden Konzepte aufeinanderprallen lassen.
Welche Rolle spielt die Technologie, insbesondere die KI, in deinem künstlerischen Schaffen? Und wie hat sie deine Herangehensweise an das Thema Unsterblichkeit verändert?
Durch die Abnahme des Glaubens an religiöse Unsterblichkeitserzählungen hat sich unser Verhältnis zum Tod immer stärker an naturwissenschaftliche und technologische Narrative gebunden, die die Grenzen zwischen Leben und Tod derzeit scheinbar verschieben. Gleichzeitig mischen sich wieder religiös anmutende Erzählmuster in die Beschreibung der Wirkweisen von KI. Ich finde diesen Spannungsraum, der unsere gesellschaftliche Zukunft maßgeblich prägen wird, unheimlich faszinierend und inspirierend. Für mich ist die Arbeit mit diesen Technologien eine Möglichkeit, bestimmte Situationen zu schaffen, in denen Erfahrungen zum Vorschein kommen, die in ihnen angelegt sind, oft jedoch verborgen bleiben.
Am Mittwoch, 27.09.23, 19 Uhr gewährt Christian Kosmas Mayer in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Künstler*innenduo kennedy+swan und der Kuratorin Ann Kristin Kreisel weitere vertiefende Einblicke in sein Schaffen sowie in das Thema der Ausstellung „SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft“.