5 Fragen an Egidio Marzona
Im Rahmen der gerade vergangenen Ausstellung „Rebellische Pracht – Design-Punk statt Bauhaus“ erhielt das Museum Marta Herford die einzigartige Gelegenheit, die Designsammlung Anthologie Quartett erstmalig in ganzer Breite öffentlich zu präsentieren. Darüber wie diese außergewöhnliche Sammlung entstanden ist und welchen Weg sie anschließend nahm, sprechen der Berliner Sammler Egidio Marzona und Dr. Rudolf Fischer, Leiter Archiv der Avantgarden, Dresden.
Dr. Rudolf Fischer (R. F.): Lieber Egidio, wie begann Deine persönliche Geschichte mit Anthologie Quartett, der von Rainer Krause und später Michael von Jakubowski zusammengetragenen Sammlung von Möbeln und Designobjekten, die sich heute in der öffentlichen Institution Archiv der Avantgarden (AdA) befindet?
Egidio Marzona (E. M.): Ich habe Rainer Krause in den 1980er Jahren kennengelernt, als er gerade seine Apotheke mit Adolfo Natalini von Superstudio baute. Im Laufe dieser Zeit habe ich ihn mehrmals, auch mit Freunden, in Lübbecke besucht. Rainer hatte gleichzeitig einen Möbel- und Designladen und ich kann mich noch erinnern, dass ich einiges an Möbeln für meine Wohnung bei ihm gekauft habe. Das war sozusagen die frühe Phase, aber dann sind unsere Wege wieder auseinandergegangen.
Der zweite Kontakt kam im Oktober 2015 zustande über Roland Nachtigäller, Direktor des Museums Marta Herford. Er hat mich angerufen und darüber informiert, dass nach dem Tod von Rainer Krause die Sammlung Anthologie Quartett in vertrauensvolle Hände gegeben werden solle, aber dass sie für die Marta Sammlung nicht infrage komme. Schon kurz darauf habe ich mich mit Michael von Jakubowski in Bad Essen getroffen. Schließlich konnte ich die Sammlung für mein Archiv übernehmen. Ende letzten Jahres gab ich die Anthologie Quartett im Rahmen einer Nachschenkung an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in das auf Basis meiner Sammlung neugegründete Archiv der Avantgarden.
R. F.: Wie ist Deine Erinnerung an die Prozesse, die sich in den 1960er Jahren in Italien abspielten mit Künstlergruppen aus Florenz – wie Superstudio und Archizoom mit dem „Radical Design“ – und später zum Ende der 1970er dann in Mailand – mit Studio Alchimia und Memphis. Mit ihren postmodernen Entwürfen kamen auch absolut neue und provokante Impulse für Design und Architektur nach Deutschland. Hast Du diese als eine Gegenbewegung zum in Deutschland (noch immer) vorherrschenden Funktionalismus wahrgenommen?
E. M.: Ja, ich habe einige der wichtigsten Protagonisten des italienischen Radical Design bereits in früher Zeit in Florenz besucht. Zum Beispiel konnte ich dort von Lapo Binazzi bereits in den 1970er Jahren Zeichnungen für das Archiv erwerben. Zur postmodernen Designbewegung muss ich ehrlicherweise sagen, dass ich lange Zeit gebraucht habe, um mich überhaupt damit anzufreunden. Ich komme ja sozusagen von der anderen Seite, von den Rationalisten, die mich eigentlich immer mehr interessiert haben, ob das nun Mart Stam ist, Ludwig Mies van der Rohe oder Le Corbusier. Das war sozusagen meine Welt, und die Postmoderne – sowohl in der bildenden Kunst, als auch in der Architektur und im Design – hat mir lange Magenschmerzen bereitet. Aber so ähnlich ist mir das übrigens auch mit dem in den 1960er Jahren begründeten Fluxus ergangen, als ich angefangen habe Kunst zu sammeln. Auch das war eine Kunstrichtung, mit der ich meine Schwierigkeiten hatte. Erst später – man lernt ja nie aus – ist mir klar geworden, dass beides wichtige Positionen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts gewesen sind.
R. F.: Waren für Dich postmoderne Designergruppen wie Memphis eine spürbare Avantgardebewegung?
E. M.: Das ist schon eine Avantgardebewegung. Sie hat mich übrigens immer ein bisschen an den Jugendstil erinnert, auch in der Heterogenität. So war es auch im postmodernen Design. Aber im Grunde hat mich Adolfo Natalini von Superstudio viel mehr interessiert als Memphis oder Studio Alchimia. Die progressive Künstler-Architektengruppe Superstudio war schon eine ganz andere Nummer, das gilt ebenfalls für die englischen Strömungen um Archigram und Peter Cook. Was mich immer interessiert hat, waren die Theoretiker, die auch sehr stark politisch aktiv waren. Und das hatte für mich eine viel größere Bedeutung.
R. F.: Was war Deiner Meinung nach die Absicht der postmodernen Designer*innen, die sich im Gegensatz zu den Funktionalist*innen der Ulmer Schule als Künstler*innen sahen? Diese Objekte stellten damals ja, so Matteo Thun, eine wütende Reaktion auf den „Ist-Zustand im Produktdesign“ dar.
E. M.: Ich weiß nicht ob es ein Missverständnis ist, aber es ist eben eine Tatsache, dass Gruppen wie z.B. Memphis das Kreative, Dekorative in den Vordergrund gestellt haben. Das hatte mit der eigenen Identifikation und Darstellung zu tun. Sie haben sich mehr als Künstler*innen gefühlt, denn als Designer*innen. Sie haben das Rationale, das Ulm immer bewegt hat, verachtet. Aber es ging weiter darüber hinaus. Das Zitat von Matteo Thun zeigt dies: Postmodernes Design war natürlich eine antirationale Manifestation und eine totale Anti-Haltung. Viel mehr noch: Ich glaube, beide Richtungen, das Postmoderne ebenso wie das Rationale, haben eine politische Basis.
R. F.: Wie kann man radikales oder postmodernes Design aus den 1970ern und 80er Jahren heute ausstellen? Können Subversion, Antifunktionalität und Verspieltheit der Objekte mit traditionellen Ausstellungsmethoden zusammenarbeiten? Und noch eine abschließende Frage: In der Herforder Ausstellung gab es eine große Fülle an Objekten und Produkten. Was können die Besucher*innen aus der Ausstellung mitnehmen, was können sie heute von den progressiven Formen und Denkweisen von damals lernen, welche der historischen Perspektiven für die Zukunft weiterentwickeln?
E. M.: Die Opulenz und Fülle der Bewegung darzustellen ist der richtige Weg, so wie es in der Ausstellung „Rebellische Pracht“ im Marta Herford gemacht wurde. Der 18 Meter lange Tisch in der Ausstellung zeigt das ganze Chaos und die Opulenz dieser Bewegung. Das unterläuft jede Form von Ikonisierung dieser Objekte, denn es ist eben eine Art und Weise wie die Kunst von Leuten, die sich als Künstler*innen sehen, normalerweise nicht ausgestellt wird. Sonst wird immer alles schön gerahmt an die Wände gebracht oder in Vitrinen unter Glas versteckt. Es wird mehr das Unikat gefeiert. Daher fand ich es im Marta Herford sehr interessant und gut, dass der Tisch die ganze Breite und dieses Chaos an Farben und Formen sozusagen konterkariert hat.
Was die Besucher*innen aus dem Ausstellungbesuch mitgenommen haben, ist schwer zu sagen. Es sind natürlich exzentrische Formen, die dort zu sehen waren, und das ist sicher nicht jedermanns Sache. Ich sehe es eher als eine Art Statement – gegen das Konforme, das Serielle und das Rationelle.