5 Fragen an Katja Novitskova
Die Künstlerin Katja Novitskova (*1984 in Tallinn, lebt in Amsterdam) ist eine von vier Künstlerinnen, die mit der Marta-Ausstellung „Perspektiven einer Sammlung“ auch als Ankaufsvorschlag präsentiert wurden. Dank einer privaten Schenkung kann die Arbeit „Approximation (Biobanks)“ (2022) nun als neuestes Werk in die Sammlung Marta eingehen.
Die Arbeit besteht in einem dreidimensionalen Aluminium Display. Es zeigt das gespiegelte Bild eines Flamingos, dem Blut abgenommen wird. Die Vögel umrahmen ein Ornament aus verschiedenen Farben, das an biochemische Bilder, einen Rorschach-Test und eine fantastische Kreatur zugleich erinnert. Was ist der Hintergrund dieser Bildelemente?
Das Bild des Flamingos stammt aus einem Artikel, auf den ich gestoßen bin und der über den zunehmenden Einsatz von Biobanken bei der Arterhaltung berichtet. Genetisches und anderes Biomaterial von Tieren wird gesammelt und gelagert, um es für die Forschung und möglicherweise für künftige Erhaltungsmaßnahmen zu verwenden. Dies kann als eine zeitgemäße Wiederholung des Konzepts der Arche Noah gesehen werden, wobei die Flut für den rapiden katastrophalen Verlust der biologischen Vielfalt steht, der gegenwärtig stattfindet, und die Arche für das Netz der Biobanken (und andere Erhaltungsmaßnahmen). Sollten in naher Zukunft alle Flamingos in freier Wildbahn aussterben, haben wir immer noch die Möglichkeit, sie genetisch wieder zum Leben zu erwecken, wenn auch in einer neuen, synthetischen Version. Das bringt uns natürlich zu vielen Narrativen über den „Menschen, der Gott spielt“ und deren Auswirkungen. In meiner Arbeit bilden Flamingo-Körper, die von menschlichen Händen in Laborhandschuhen gehalten werden, einen physischen Bogen. Das Diagramm in der Mitte des Werks ist das Logo eines dieser Biobank-Zentren. Ich fand es faszinierend, da es im Grunde eine Version des Lebensbaums ist, ein abstraktes Diagramm, welches mit ein paar einfachen Linien so viel aussagt. Die gesichtsähnliche Figur in der Mitte des Werks wurde mithilfe eines KI-Algorithmus generiert. Mit diesem habe ich Bildversionen meiner früheren Arbeit aus der gleichen Serie wie „Approximation (Biobanks)“ erstellt. Die Augen und das Gesicht entstanden innerhalb des Algorithmus, sie waren nicht im Ausgangsmaterial enthalten. Die synthetische visuelle Rekombination eines digitalen Kunstwerks weist auf die Möglichkeit einer ähnlichen Rekombination des in Biobanken gespeicherten genetischen Materials hin. Die Ergebnisse werden vielfältig und unvorhersehbar sein, aber eines ist klar: Sie werden alle eine Spur menschlichen Handelns in sich tragen. All diese drei Ebenen verschmelzen zu dem, was ich eine Annäherung an ein bestimmtes Potenzial innerhalb unseres gegenwärtigen Augenblicks nenne, etwas, das komplexer ist und nicht so einfach erklärt werden kann.

Seit 2019 haben wir bereits die Installation „Pattern of Activation (Mamaroo, Mania Phase)“ (2018) in der Sammlung, in deren Zentrum eine elektrische Babywiege steht, die sich in ein Wesen zwischen Roboter und Alien verwandelt zu haben scheint. Was hat es hiermit auf sich?
2014 wollte ich eine Roboterskulptur bauen, weil ich mich für die Idee der Bewegung als Form der Aufmerksamkeitserregung und der affektiven Signale interessierte. Ich wollte, dass sie einfach ist, sogar primitiv. Die Idee, eine dieser Roboterarm-Fabrikmaschinen oder einen dieser anthropomorphen japanischen Gastfreundschaftsroboter zu bauen, habe ich schnell verworfen. Ich war auf der Suche nach etwas mehrdeutigem. Zufällig stieß ich auf YouTube auf Mommy-Vlogging-Kanäle, die eine Menge Videos zur Bewertung verschiedener Babyprodukte veröffentlichten. Ich sah mehrere Versionen dieser elektrischen Wiegen und anderer Babygeräte, die mich optisch an etwas Biologisches erinnerten: einen großen Vogel oder ein Insekt, einen Kängurubeutel, eine Blütenknospe usw. Sobald sie eingeschaltet waren, schwangen und drehten sie sich in einfachen, hypnotischen Bewegungen, summten wie die Flügel einer Biene, und in einigen waren Klänge von Wasser, Herzschlag und Vogelgezwitscher eingebaut. Das regte meine Kreativität an, denn sie waren eine seltsame Mischung aus einfachen Maschinen und etwas Pflegendem mit einem Hauch von Nicht-Menschlichem. Ich bestellte ein paar von ihnen und machte eine Reihe von Skulpturen, wobei ich die Wiegen von allen weichen Materialien, mit denen sie normalerweise ausgestattet sind (wie Sitze und Kissen), befreite und als Basis verwendete. Anstelle dieser weichen Elemente schuf ich Membranen aus Kunstharz und dekorierte jede Skulptur mit einer Reihe von synthetischen Elementen und Augen aus kleinen roten Laser-Tags, die jedem Objekt einen gewissen einzigartigen Charakter und ein vermeintliches Gefühl verleihen. Ich wollte, dass sie auf der Schwelle zwischen einem Kunstwerk, einem echten Roboter und einer synthetischen, nicht-anthropomorphen Kreatur existieren – eine Annäherung daran, wie nach meiner Vorstellung künstliches Leben in Zukunft wahrgenommen werden könnte. Die Tatsache, dass sie aus einem Verbraucherprodukt hervorgegangen sind, welches für die Pflege menschlicher Kinder entwickelt wurde, fügte eine vage Vorstellung von Pflege und Inkubation als biomechanischem Prozess hinzu, der ziemlich grotesk wird, sobald wir einige vertraute menschliche Signifikanten entfernen. Die Babywiegen der Marke Mamaroo wurden zu meiner bevorzugten ‚Leinwand‘, da die Wiegen von bester Qualität sind und in der Mitte der Maschine eine wirklich klare Eiform haben, von der ein Hals und augenähnliche Strukturen abgehen.
Allgemein befasst du dich in deinen Arbeiten viel mit dem Verhältnis von Mensch, Natur, Technik und Wissenschaft. Welchen Fragen gehst du dabei nach?
Meine Arbeiten werden oft als Sci-Fi-Konzepte in Bezug auf Natur und Technologie kategorisiert, aber ich schaffe im Allgemeinen nur Dinge aus Elementen, die Teil unserer heutigen Realität sind, seien es Phrasen, Bilder oder physische Objekte. Ich denke, meine beiden Hauptansätze spiegeln sich in den Titeln meiner Serien wider: „Approximation“ (dt. Annäherungen) und „Pattern of Activation” (dt. Aktivierungsmuster). Ich sehe meine künstlerische Intuition als eine Art Filterorganismus mit spezifischen Einstellungen, die Informationen und Realität durchforsten, wobei ich mit meinen Antennen bestimmte Signale aufnehme. Ich interessiere mich für Themen rund um die Transformation des Lebens auf der Erde (und darüber hinaus) als Reaktion auf die Ausweitung der menschlichen Präsenz und der Möglichkeiten, in unsere Umwelt einzugreifen. Ich nähere mich diesen Thematiken, indem ich eine Menge digitaler Inhalte durchschaue und lese, die ich als aktiven Spiegel dieses Wandels betrachte. Die Bilder und Wörter, die mein Interesse wecken und die Klimakrise, die künstliche Intelligenz oder biotechnologische Durchbrüche erfassen, werden in Ordnern als Fundstücke gesammelt. Meine Arbeiten sind im Grunde wie Wetterberichte, die auf diesen Funden basieren. Die Annäherung an bestimmte Formen, die sich zwischen verschiedenen Datenpunkten verbergen, und die Schaffung visueller Muster aktivieren bestimmte Gefühle und Erzählungen zwischen Kunst und Betrachter. Die Arbeiten entstehen weder aus einer sehr rational recherchierten Position heraus, noch aus einer rein selbstdarstellerischen, sondern eher aus einer postsubjektiven, würde ich sagen. Ich gehe also nicht von einem vollständigen Verständnis aus und möchte auch keine klare Aussage über meine Forschung machen. Ich denke eher darüber nach, wie und wer meine Arbeit in Zukunft sehen kann, wobei ich einen algorithmischen, nicht-menschlichen Betrachter im Sinn habe, was an sich schon eine der Leitfragen der heutigen Kunst ist.
Bei der Ausstellungsplanung wurde uns wieder einmal bewusst, dass es in der Sammlung viele Werke gibt, die aus der Gründungszeit des Museums in den 1990er und 2000er Jahren stammen und mit einer Ästhetik des Selbstgemachten, der Baumaterialien etc. spielen. Im Vergleich dazu wird deutlich, dass deine Arbeit aus einem anderen Umfeld kommt. Sie ist zum Beispiel geprägt von technischen und polierten Oberflächen und einer Medienästhetik. Wir sprechen oft von postdigitalen Arbeiten. Wie denkst du darüber? Ist dieser Begriff für dich nützlich oder sinnvoll?
Eigentlich würde ich sagen, dass auch die sogenannte postdigitale Kunst eine gewisse Art von Bricolage-Ansatz verwendet, wobei der ästhetische Effekt dessen, was du ‚polierte Oberflächen‘ nennst, diese Ähnlichkeit verschleiert. Der Unterschied zwischen den 1990er Jahren und dem letzten Jahrzehnt besteht vielleicht darin, dass wir auch zeitgenössische Hightech-, Digital- oder Unternehmenselemente als Materialien betrachten, die dekonstruiert und zu etwas Neuem rekonstruiert werden. Die Materialität der Mamaroo-Skulpturen ist eine Gemengelage aus gefundenen Elementen, wie das geschmolzene Ergebnis eines seltsamen Einkaufsbummels: Wir haben Silikon-Fischköder, eine Babywiege, einige Spielzeug-Roboterkäfer usw. Der Prozess des Zusammenschmelzens wird durch die Kunstharzmembranen und die Plastilinmasse unterstrichen. Es gibt eine ähnliche Logik hinter den eher minimalistisch aussehenden fotografischen Cut-Out-Skulpturen, in diesem Fall findet Vermengung der Elemente innerhalb des Bildes statt. Die Entscheidung, sie als ausgeschnittene Display-Ständer zu produzieren, steht im Gegensatz zu dem potenziell willkürlichen visuellen Signal – ich nehme ein Bild aus seinem Online-Kontext (mit Millionen von anderen Optionen, die leicht verfügbar sind) und vergrößere es auf einen monumentalen Maßstab. Ich sehe das fast als einen Witz an. Letztlich denke ich, dass der Eindruck der glatten postdigitalen Kunst entsteht, weil sie bestimmte Tricks des zeitgenössischen kommerziellen Designs oder der Medienformate wiederverwendet. Ich glaube aber, dass sie im Kern immer noch viel von der künstlerischen Do-it-yourself-Unordnung in sich trägt, die man mit Künstler*innen aller Epochen verbindet.
Ein Thema unserer Ausstellung war auch die Frage, wie die Sammlung Marta in Zukunft weiter gestaltet werden soll und kann. Als erste Setzung war uns die Stärkung von Künstlerinnenpositionen ein Anliegen. Was bedeutet es umgekehrt für dich, wenn Werke in (Museums-)Sammlungen übergehen?
Es ist eine Ehre für meine Praxis, als etwas so Wichtiges anerkannt zu werden. Ich denke, das ist die wichtigste Botschaft, wenn Kunst von einem Museum wie dem Marta Herford erworben wird. Ich muss mich immer wieder fragen, ob ich mit meiner Arbeit kommunizieren kann, ob sie eine Bedeutung oder einen Wert hat, der über meine eigenen Interessen hinausgeht. Und das Feedback, welches ich sowohl von Museumsbesucher*innen als auch von einem Team bestehend aus professionellen Kurator*innen und Kunsthistoriker*innen erhalte, ist wirklich beruhigend. Soweit ich weiß, werden die Sammlungen zeitgenössischer Kunst in den Museen immer noch stark von Werken männlicher Künstler dominiert, sodass die Aufnahme in die Sammlung auch in der Hinsicht eine Art eine Errungenschaft ist.
Die Arbeiten von Katja Novitskova sind noch bis einschließlich dem 15.01. in der Ausstellung „Perspektiven einer Sammlung“ zu sehen.