Bear Boy and Ruvi Read from the Archives
Begleitend zur Ausstellung der Fotografin und Filmemacherin Annette Frick, die seit den späten 1980er Jahren Szenen der Subkultur porträtiert, lud das Marta zwei Protagonist*innen aus ihrem Umfeld zu einer gemeinsamen Lesung ein: Evelyn Rüsseler aka Bear Boy und Ruvi Simmons, deren beider Porträts auch in der Schau gezeigt werden, gaben dem Publikum einen Einblick in ihr jeweiliges Schaffen.
Bear Boy (Sein)
…ein Ausloten der inneren Zustände des Selbst; Verarbeiten und Einarbeiten der Erfahrungen von misfit sein, von AusgestossenSein, von Wildheit, Einsamkeit, Verwilderung. Subsistenz, Konzentration auf das Wesentliche, Abkehr von der Zivilisation. Ein Verworfener, Verlorener, der von aussen hineinblickt in die Hütten (der Städte), in die Zivilisation. Der seinen Honig an die Stämme schmiert, sich der Zeugung verweigert, dem internationalen nie endenden Muttertag, derdagegensetzt: die Erzeugung reflexiver und obsessiver Texte und Filme, die euch hinschleudern, wo Brother Beast wohnt, und wie es im Gefängnis des Kopfes aussieht.
BURRAToRIO – 1 Esels(an)alphabetarium, Bear Boy, 2014
YELLOW
Each day that summer
I passed the sliding doors
into end-of-life care.
My mother breathing
buttercups –
she’s upstairs now,
you can hear her
reciting Hamlet
with her dying breath.
We are the oldest people in the world.
But buttercups go cool
to the skin. Sky?
Whatever. Egg yolks,
dandelions, Van Gogh, maybe.
Tell me
when it matters,
mum. Yellow,
cirhossis, thirst
to say that buttercups
could tell us who liked butter by the glow
cast between their petals and our necks.
She’s upstairs now and it’s her that’s keening;
there a garden outside with benches dedicated
to all the let downs.
I am the oldest person in the world.
But buttercups are cool on the skin
when the sun is beating against some ocean or
the sky. Sky? Whatever. Egg yolks,
dandelions, some bits of Van Gogh. It scarcely
matters,
Yellow, cirhossis, dehydration,
the ovaries that are the death of us,
or two –
the wax trumpets, the colour of my teeth
and onion skin. Narcissus.
Ruvi Simmons, Coulour poems
Emptiness /Leere/ la gran pantalla blanca
… die große weiße Leinwand … die Projektionsfläche des Herzens … der Raum, der durch übergroßen Schmerz in dir entsteht, den du dann füllst bzw. die große weiße Fläche deiner Seele, die plötzlich sich vor dir ausbreitet … keine Sache, vor der man Angst haben müsste, einfach eine neue starke Situation, die meist zur Befreiung verhilft.
BURRAToRIO – 1 Esels(an)alphabetarium, Bear Boy, 2014
GREEN
My blood runs green
because green is nature and when it rots
I rot with you.
Decay, disintegration – bring it on.
If nature’s monstrous, we is monsters –
but enough with introductions,
how long can you go without
breathing,
how far can you run
and not be caught?
If you will light my path
I will turn back and wave to you
and nothing will stop moving
and everything will freeze
the mould are the blossoms
the mould are the blossoms
blooming in your eyes.
Ruvi Simmons, Coulour poems
Romantiker vs. Voyeur
… aus beiden Haltungen kann gut Kunst entstehen. Romantiker neigt zu einer vollkommenen Lebensform, zur vita coelestis, zur Idee der idealen Verbindung (Nähe Symbiotiker, EinsSein)… sieht nach innen. Beim Voyeur das Gegenteil; er exterritorialisiert die Blicke, er sucht Befriedigung, nicht das Leiden. Er sieht nach außen und hält die Empfindung klein. Zum Immateriellen hat er nur wenig Bezug. Er bezieht seine Energie aus dem vorgängigen Zustand des GetrenntSeins bzw. ist dieser die Bedingung seiner Passion ( die in ihrer Intensität nicht von derjenigen des Romantikers abweichen mag).
BURRAToRIO – 1 Esels(an)alphabetarium, Bear Boy, 2014
BLUE
Blue as horses fording midnight rivers,
blue as the neon sign above the the public lavs
where my father sent the contents of his pockets
skittering across the tiles
the bourgeoisie has gone totally Sanhedrin
they lavish gifts on their loved ones
and anathematise the rest
they anathematise the rest
in blue stockings and charge expenses
to the room
i am already floating
on an abject pyre
those exposed to mischief
never come to harm
Squad cars, luminescent squid, the rapid shadow
of a stranger climbing up the bedroom wall.
Ruvi Simmons, Coulour poems
Traum …
meist nächtliche Weise, das Tagesgeschehen zu verarbeiten und die Spuren schmerzlicher Prozesse in Kunst zu transformieren. Alternative Realität, das Reich der Möglichkeit; Erleichterung durch Geistreise, fliegender Teppich, usw. + eben Ersatz- und Kompensationshandlungen oder Vermeidungen jeder Art. Träume sind das grosse Reich der Passivitäten …. alles spielt sich auf der grossen inneren Leinwand ab. /// if you ask me as a filmmaker: you dream the films first, then you make them …
BURRAToRIO – 1 Esels(an)alphabetarium, Bear Boy, 2014
RED
Red is greedy, darling. It’s nonsense, really,
a skip and a jump between disappearance
and destruction.
I flavour my drinks with vinegar, spit and wine.
Wine for illiterates and dictionaries for the drunks.
Red is a colour on a wheel where shocking displays
of dimwitedness prevail.
I am becoming mean and narrow like a penthouse door.
Ruvi Simmons, Coulour poems
Eselsgeheule
… findet quasi nicht statt! Ende der Durchsage.
BURRAToRIO – 1 Esels(an)alphabetarium, Bear Boy, 2014
Über die Autor*innen:
Evelyn Rüsseler aka Bear Boy zeichnet, schreibt, publiziert und produziert seit 2006 zahlreiche Kurz- und Langfilme. Zuletzt veröffentlichte Rüsseler die Filme „ANUS SOLAIRE (mit groupe maudit münchen, 2021)“, „LES MARINS PERDUS“, „BLACK FOREST LOW“ und „LAKE CONSTANCE HIGH“ (alle 2022) sowie die Publikation „Langue d´ Âne / Eselszungen“ (stampa bear boy, 2022); zwei neue Gedichtbände – „Extended Nesting Period (Poems)“ und „Katzenmusik/Cacophony (Poems)“ – erscheinen 2023/24. Evelyn Rüsseler war regelmäßig mit Auftritten, Performances oder Screenings im „Casa Baubou“, Berlin (Projektraum von Annette Frick und Wilhelm Hein) von 2004 bis 2014, ebenso in den Will Mc Bride Studios München, im Werkstattkino München (2017–21). Rüsseler lebt in Berlin (2004–2014), München, Düsseldorf und an der Ostsee.
Ruvi Simmons studierte Kunstgeschichte am Londoner Courtauld Institute, mit Spezialisierung auf Performancekunst der Nachkriegszeit. Nach einem Aufenthalt in Berlin lebt und arbeitet er heute in Leipzig. Seine Gedichte wurden in Zeitschriften in ganz Europa und den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Als bildender Künstler erforscht er zudem die Schnittstellen zwischen Fotografie, Video, Performance und Installation. Derzeit gibt er die Zeitschrift „Alala“ heraus, die sich mit den Möglichkeiten der Verbindung avantgardistischer oder radikaler Kunst und Ideen mit der zeitgenössischen Praxis befasst. Simmons arbeitet an seinem ersten Roman mit dem vorläufigen Titel „The Nettle Fiasco“ („Das Brennnessel-Fiasko“).