Dark Data
„Dark Data“ erkundet den Raum zwischen dem erhellenden Moment, wenn ein Bild erzeugt wird, und dem Wissen, das in ihm verborgen liegt. Der Begriff beschreibt Informationen, die nicht verwendet werden können, weil die derzeitigen Methoden der Datengewinnung noch nicht in der Lage sind, sie zu verarbeiten: Informationen, die das System überfordern.
Tobias Zielony beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit der Unmöglichkeit einer vollständigen Übersetzung visueller Phänomene in Informationen, die aus diesen Reizen gewonnenen werden. Dunkelheit und Licht nehmen dabei unterschiedliche Bedeutungen an, die zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, dem Obskuren und dem Offensichtlichen, dem Verborgenen und dem Offengelegten oszillieren.
Die sich immer wieder in digitales Rauschen auflösenden, durch ein Teleskop aufgenommenen Bilder der Videoarbeit „Hurd’s Bank“ (2020) bilden den Hintergrund einer spekulativen Untersuchung der Verbindungen zwischen dem Mord an einer Journalistin und dem Ölschmuggel vor der Küste Maltas. Die dunklen, körnigen Bilder stehen in Einklang mit diesem Narrativ, denn sie bleiben ebenso unklar wie die Ereignisse, von denen berichtet wird. Das Video stellt eine Instabilität der Verbindung von Text und Bild zur Schau: Letzteres scheint als Beweis für Ersteren zu dienen, was gleichzeitig durch die körnige Struktur des Bildes unterlaufen wird.
In „Maskirovka“ (2017) porträtiert Zielony die LGBTQ- und Techno-Szene in Kiew. Aus heutiger Sicht tragen die scheinbar unschuldigen Bilder bereits die Last des Krieges. Der Titel bezieht sich auf eine Täuschungsstrategie, die vom russischen Militär während der Invasion der Krim und des Donbas verwendet wurde. Die Soldaten, die diese Gebiete angriffen, trugen ungekennzeichnete Uniformen, auch wenn ihre Zugehörigkeit für jeden Beobachter des Konflikts offensichtlich war. Zielonys Fotografien junger Leute, die er bei Partynächten aufgenommen hat, stellen somit eine Verbindung zwischen den Rave-Kulturen in Kiew und der allgegenwärtigen Kriegsgefahr her. Das wird auch in begleitenden Interviews mit den porträtierten Personen angesprochen und artikuliert sich in dem Video, das Teil von „Maskirovka“ ist. Szenen, die die Protagonist*innen zeigen, wie sie sich zurechtmachen und ausgehen, werden von Fernsehbildern unterbrochen, die vom Krieg berichten. Ein flackerndes, ständiges Oszillieren zwischen den beiden Arten von Bildern suggeriert, dass diese zwei Seiten eines komplexen Phänomens darstellen. Während die Verbindungslinien jedoch nur angedeutet werden und letztlich im Verborgenen bleiben, hat der physische Effekt des Flimmerns eine ähnliche Wirkung wie das vage Bild in „Hurd’s Bank“.
„Wolfen“ (2022) wiederum basiert auf Recherchen zur DDR-Filmfabrik ORWO. Licht und Dunkelheit repräsentieren hier die technischen Bedingungen der Fotografie- und Filmherstellung, zeigen auf metaphorischer Ebene aber auch die damit verbundenen Arbeitsbedingungen und globalen ökonomischen Zusammenhänge. Die 2-Kanal-Videoarbeit nimmt die Bedingungen weiblicher Arbeit in den Fokus und verleiht den fast ausschließlich weiblichen Fabrikarbeiter*innen eine Stimme. Wie schon in Maskirovka waren Interviews ein wichtiger Teil des Rechercheprozesses. Sie präsentieren die Fabrik als Teil eines geopolitischen Netzwerkes, das in eine komplexere Welt hineinreicht als man es angesichts des geteilten Landes während des Kalten Krieges erwarten würde, und legen die Einbindung der Fabrik in ein internationales Netzwerk des Handels mit Filmmaterial als Rohstoff offen. Darüber hinaus inszeniert „Wolfen“ nicht wahrgenommene und undokumentierte Arbeit. In der Installation werden Aussagen aus den Interviews zusammen mit Gedanken des Künstlers in einer Projektion gezeigt, während in der anderen ein fiktives Archiv der Fabrik aus Aufnahmen des Geländes und von ehemaligen Fabrikarbeiter*innen, die ihre Arbeitsabläufe nachstellen, zu sehen ist.
Die Stille der Projektion macht deutlich, dass diese Geschichten nie Teil der offiziellen Geschichte waren. „Wolfen“ beleuchtet jedoch nicht nur eine verdrängte Vergangenheit, sondern auch eine tieferliegende Dunkelheit: „Dies ist eine Geschichte für die Zukunft. Für die Außerirdischen, für die Replikanten, für die Überlebenden der kommenden Krisen. Es geht um die Vergangenheit. Um die Gegenwart und deren Vergangenheit. Beide werden bis dahin verschwunden sein.” Die erste projizierten Texttafel verdeutlicht, dass es um die Zukunft geht. Die einzige aus der ORWO hervorgegangene Firma, die in Wolfen verblieben ist, stellt heute Filmmaterial für Archive her, das bis zu tausend Jahre halten soll. Auch wenn die Bilder, die wir betrachten, die Vergangenheit nachstellen, richten sie sich an die Zukunft.
„Watching TV in Narva” (2022) beobachtet eine Gruppe junger Leute vor dem Fernseher in der estnischen Stadt Narva, die direkt an der russischen Grenze liegt. Ein Großteil der Bevölkerung spricht hier Russisch, und viele Einwohner*innen haben eine ungeklärte Staatsbürgerschaft. Kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine schaltete Estland einige große russische Fernsehsender ab. Im Gespräch der Zuschauenden geht es ums Fernsehen, die Bedeutung von Sprache und Identität. Die Farben des Bildschirms spiegeln sich auf ihren Gesichtern, und während ein russischer Kanal läuft, sagt einer aus der Gruppe: „Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal eingestellt ist.” Diese erste Zeile aus William Gibsons 1984 erschienenem Roman „Neuromancer“ wirkt seltsam treffend und fehl am Platz zugleich. Ist dies das Jahr 2035, wie es in diesem Klassiker des Cyberpunk imaginiert wird? Offensichtlich nicht. Die analoge Körnung des toten Kanals wird durch digital erzeugte Farbe ersetzt, die tatsächlich die Farbe des Himmels sein könnte. Das aber macht unsere Zukunft nicht weniger dystopisch. Wie „Maskirovka“ schafft die Videoarbeit eine angedeutete Verbindung zwischen der gesellschaftlichen Atmosphäre, die die Medien ausstrahlen, und dem Privatleben der Menschen. Die Sendungen dringen nach außen, werden aufgenommen und wirken nicht nur auf das Wissen der Zuschauenden ein, sondern auch auf ihre körperlichen Reaktionen. Warum sonst würde einer der Zusehenden von einer Situation berichten, in der er für zwanzig Minuten sein Augenlicht verloren hatte? Er erzählt von dem Horror, den dies bei ihm auslöste. Nachrichten zu schauen, während man von einer Kamera beobachtet wird, schärft das Bewusstsein für den Akt des Sehens an sich.
Aus dem Englischen von Vanessa Joan Müller
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Über den Autor:
Daniel Muzyczuk ist Co-Kurator der Ausstellung „Tobias Zielony – Dark Data“ (12.11.2022 – 16.04.2023) und zeichnet insbesondere für das begleitende Programm verantwortlich. Er ist Leiter der Abteilung für moderne Kunst am Museum Sztuki in Lodz. Themen seiner Arbeit sind osteuropäische Klangkulturen, die Geschichte inoffizieller Kulturen sowie modernistische Ausstellungsräume. Er kuratierte Ausstellungen wie „Gone to Croatan” (mit Robert Rumas), „The Melancholy of Resistance” (mit Agnieszka Pindera), „Sounding the Body Electric: Experiments in Art and Music in Eastern Europe 1957 – 1984” (mit David Crowley), „Notes from the Underground: Art and Alternative Music in Eastern Europe 1968-1994” (mit David Crowley), „The Museum of Rhythm” (mit Natasha Ginwala), „Through The Soundproof Curtain: The Polish Radio Experimental” (mit Michał Mendyk), „Work, work, work (work). Céline Condorelli and Wendelien van Oldenborgh” (mit Joanna Sokołowska). 2019 war er Co-Kurator des Polnischen Pavillon auf der 55. Venedig-Biennale. 2011 gewann er den Igor Zabel Preis für Kultur und Theorie und ist Mitglied der Grupa Budapeszt (Experimentalmusik). 2023 erscheint sein kommendes Buch „Twilight oft the Magicians“ bei Spector Books.