Die Marta-Zeitkapsel: Ein kurioser Baustellenfund
Der Gedanke, etwas zu beurkunden, schriftlich zu fixieren und für die Nachwelt festzuhalten, ist ein jahrhundertalter Brauch, der uns auch im Alltag oft begegnet.
So wird zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes eine Urkunde ausgestellt. Auch bei der Errichtung eines Gebäudes gibt es diese Form des Zeugnisses, sie ist gemeinhin unter dem Begriff der „Zeitkapsel“ bekannt. In einem Behältnis aus Metall, Kupfer oder Edelstahl (manchmal auch Kisten, Schatullen oder Fässer aus Holz), werden bei der Grundsteinlegung eines Gebäudes Dokumente oder Gegenstände in den Grundstein eingemauert. Häufig sind solche Zeitkapseln oder „Ampullen“ auch in Kirchturmspitzen zu finden.
Ein Jubiläum wie der 10-jährige Geburtstag von Marta Herford ist ein idealer Zeitpunkt, einmal zurückzublicken. Das gilt natürlich – im erweiterten Sinne – auch für Gebäude um den Gehry-Bau herum, die ein Teil von Marta sind. Dazu zählt neben dem Marta Atelier das Depot, das die Sammlung Marta beherbergt und das 2011 aus den Grundmauern der ehemaligen Privat-Handelsschule Kohlhase entstand. Bei der Errichtung dieser Schule im Jahre 1955, wurde eine solche Zeitkapsel – mit Blick auf die Zukunft – hinzugefügt. Sie enthielt eine handschriftliche Urkunde, verfasst vom Bauherrn des Gebäudes, dem Dipl. Volkswirt Dr. rer. pol. Dr. Friedrich Kohlhase. Diesem war es offenbar ein Bedürfnis – neben Informationen zum Gebäude – auch etwas Persönliches über sich und seine Familie mitzuteilen. So erfahren wir, dass er am 30. Dezember 1911 in Bielefeld geboren wurde und mit Walli, geb. Kahle, verheiratet war, die als Bauherrin besagte Urkunde ebenfalls unterzeichnet hat. Auch führt er namentlich seine vier Kinder auf.

Eine Zeitkapsel sagt auch immer etwas über die Zeit aus, in der sie entstanden ist. Dem Verfasser erschien es wichtig, die Umstände zu erwähnen, in der die Handelsschule gebaut wurde. „Diese Schule [war] unter sehr großen Schwierigkeiten 10 Jahre nach dem allgemeinen Zusammenbruch errichtet worden“. Auch in der Nachkriegszeit konnten viele Gemeinden und ihre Bewohner die Folgen des Krieges noch deutlich spüren, der beim Baubeginn der Schule im März 1955, noch kein Jahrzehnt zurücklag. Möglicherweise rührt daher auch die Hoffnung des Bauherrn, etwas Zukunftsträchtiges aufzubauen, denn die Urkunde schließt mit einem Wunsch: „Möge diese Schule […] eine Stätte der Arbeit am Menschen, zu seiner Vervollkommnung und Veredelung [sein]. Und möge die Freude und Lebensbejahung in ihr auch stets zuhaus sein!“ Diese Vision Kohlhases hat sich – wenn auch sicher anders, als von ihm 1955 formuliert – auf ganz wunderbare Weise erfüllt: mit einem Museum für zeitgenössische Kunst, einem Ort für die Menschen. Denn heute beherbergt die ehemalige Privat-Handelsschule Kohlhase mit der inzwischen um die 350 Kunstwerke umfassenden Museumssammlung eine einzigartige Form des kulturellen Gedächtnisses.
Und zum Abschluss sei auch noch erwähnt, dass eine solche Zeitkapsel auch bei der Grundsteinlegung von Marta Herford 2001 – im Beisein von Frank Gehry, Jan Hoet, Hartwig Rullkötter und vielen weiteren Wegbereitern des Museums – in den Grundstein eingelassen wurde. Sicher wird auch sie interessante Dinge zu berichten wissen, wenn sie eines Tages einmal zum Vorschein kommt.
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I couldn’t resist commenting. Very well written!|