Eine nicht einsame Insel im Museum
Ein Raum, der von einem Künstler oder einer Künstlerin gestaltet und über mehrere Ausstellungen hinweg konzeptionell angepasst wird. Die Besucher*innen haben hier die Möglichkeit, kreativ zu arbeiten und den Raum so mit und weiter zu gestalten. Ute Vogel hat die „Insel im Marta“ besucht.
Ich betrete die „Insel im Marta“ zum ersten Mal zur Ausstellung “Look! Enthüllungen zu Kunst und Fashion”. Die Plattform – die eigentliche Insel – ist höhergelegt. Ihr Boden ist mit Spiegelfolie beklebt und kann als Catwalk dienen. Rundherum sind Arbeitsplätze mit Nähmaschinen angeordnet, hier befinden sich außerdem Materialien, die man zum Schneidern braucht: Scheren, Maßbänder, Nähgarne, Knöpfe, allerlei Besatzzeug und Kurzwaren und natürlich auch Schneiderpuppen. Unter der Plattform liegen Haufen von Stoffen und Kleidungsstücken, farblich sortiert, mit denen man arbeiten kann: Trennen, drapieren, zerschneiden, zusammennähen, up- und recyclen.
In luftiger Höhe über der Plattform baumeln Kleidungsstücke auf Kleiderbügeln, die bislang schon von Besucher*innen gefertigt wurden. Dort sieht man u. a. einen Minirock aus Capri-Sonne-Verpackungen, ein Kleid aus Einkaufstüten, einen Rock aus mehreren Stofflagen mit Rüschenbesatz, Hosen, Jacken, Umhängetaschen. Die Kleidungsstücke können mittels Seilzüge hoch- und runtergezogen werden. Die Besuchenden dürfen sich diese Kleidungsstücke selbstständig nehmen, anprobieren und eine kleine Modenschau veranstalten.
Die Insel im Betrieb
Ich habe mich länger im Raum aufgehalten, bin immer mal wieder gegangen und wiedergekommen. Ich konnte eine Besucherin beobachten, die wirklich sehr lange und akribisch an einer Jacke gearbeitet hat, ein anderes Mal hatte jemand mit wenigen Handgriffen aus drei Teilen ein glamouröses Outfit auf einer Schneiderpuppe drapiert. Zwei Freundinnen im mittleren Alter kreierten jeweils ein Teil, in sehr regem Austausch miteinander. Sie kombinierten ihre Kreationen anschließend auf einem Bügel.
Aus dem Vermittlungsteam stehen immer Leute mit Rat und Tat zur Verfügung, geben Tipps und Anregungen und während ich mich mit einer Kollegin unterhielt, zerschnippelte sie eine Jeanshose zu einer Fransen-Hot-Pants.
Wie die Insel entstand
Der Architekt und Installationskünstler Adrien Tirtiaux wurde als erster Künstler damit beauftragt, diesen sich veränderden Raum zu gestalten. Zur Ausstellung “Glas und Beton” wurde die Insel an sich geschaffen, aus Sand, Kieselsteinen und Wasser. Daraus entstand im Rahmen von Workshops Beton, aus dem Stelen gegossen wurden, die an Palmen erinnern. In der zweiten Phase zur Ausstellung “Trügerische Bilder” erhob sich die Plattform, wie ein zwischen den Palmen gespanntes Sonnensegel. Der (imaginäre) Schatten der Insel wurde an die Wände gemalt und hier konnten die Besucher*innen in dem abgedunkelten Raum selbstständig mittels Projektionen vom Künstler ausgewählte Motive auf die Wände zeichnen. Alleine diese Zeichnungs-Collage ist absolut faszinierend, da die unterschiedlichsten Motive die Assoziationsketten im Kopf zu Geschichten befeuern. Das von Adrien Tirtiaux angelegte Narrativ, das von den Besucher*innen aufgefüllt wird, fand ich besonders entzückend, denn er hatte zu den drei Phasen Motive gezeichnet, die wie die Titelseiten von „Tim und Struppi“-Comics aussehen.
Das Reiseziel ist Mode
Nachdem die Besucher*innen die Insel nach der Idee des Künstlers selbst geschaffen haben, sie nach seinen Vorgaben, aber mit ihrer eigenen Handschrift, mit einer Umgebung versehen haben, können sie nun völlig frei, von der Ausstellung inspiriert, Kleidungsstücke, Kostüme und textile Artefakte kreieren, zeigen und präsentieren.
Somit ist diese Idee der „Insel im Marta“ nun fertig, wird in die Freiheit entlassen und vollständig in die Hände der Besucher*innen gelegt. Das ist “Die Insel im Marta“ und mir ist nicht bekannt, dass es so was schon mal in einem Museum gegeben hat. Und es ist an der Zeit, dass ein*e neue*r Künstler*in dem pädagogischen Raum mitten in der Ausstellung seine persönliche Handschrift verleiht.
Die „Insel im Marta“ wird gefördert von der Beisheim Stiftung.
Über die Autorin:
Ute Vogel, Diplom-Designerin, konzeptioniert und produziert seit 1992 digitale und analoge Design-Projekte, engagierte sich bei der art 2.0 und ministeckiade. Seit 2006 bewegt sie sich als frau Vogel im Netz, im Blog, auf Twitter und bei Instagram. Sie hat als Autorin für WDR 3 Instagram Storys und Radiobeiträge zu Kunstausstellungen gemacht. Sie spielt Theater in einem freien Produzentenensemble. Zusammen mit Wibke Ladwig und Anke von Heyl bildet sie das Kulturkollektiv „Die Herbergsmütter“.