„Gesellschaft mit Architektur gestalten“ – Mikala Holme Samsøe bei „Stadt und Vision“
Das letzte „Herforder Architekturgespräch“ vermittelte nicht nur die Perspektive der dänischen Architektin Mikala Holme Samsøe auf die gegenwärtige Baupraxis anhand beispielhafter Projekte, sondern reflektierte auch die Wirksamkeit von Architektur generell.
„Dänemark. Gesellschaft mit Architektur gestalten.“, so war der Impulsvortrag der aus Dänemark stammenden Architektin betitelt, die 2017 das Büro SAMSøE in München gründete. „Was leisten Architektur und Design und wie kann eine nachhaltige Entwicklung von Stadt und Gesellschaft durch Architektur und Design unterstützt werden? Wie schaffen wir es, mit architekturbasierten Ansätzen neue Vorstellungen von einem „guten Leben“ und einem demokratischen Gemeinwohl zu entwickeln?“ Fragen wie diesen ging Mikala Holme Samsøe auf den Grund. Sie stellte ausgewählte Bauprojekte (unter anderem aus Kopenhagen und Aarhus) vor, anhand derer sie besonders die Wahrnehmung, Wirksamkeit und Aufgabe der Architektur in der dänischen Gesellschaft beleuchtete.
Architektur als Motor und Inspiration für die Gesellschaft
Sehr erhellend war für mich zu hören, welche Wertschätzung Architektur dort im Vergleich zu Deutschland offensichtlich erfährt: Dies läge auch in der Geschichte des dänischen Wohlfahrtsstaats begründet, erläuterte die Referentin. Damit verbunden waren nämlich enorme Investitionen in Architektur und Städtebau im 20. Jahrhundert – mit qualitätsvoller Architektur für die große Mittelschicht. In Dänemark ginge es zudem nicht nur um die optische Qualität von Architektur, sondern gerade auch darum, was sie bewirken könne – für die Menschen, für die Gesellschaft. Architektur würde als „Change Agent“ genutzt, also Kreativität und Ästhetik würden als Motor und Inspiration für gesellschaftliche Prozesse und Veränderung in den Städten strategisch und vorausschauend eingesetzt. Demgegenüber würde in Deutschland zwar auch viel gebaut, aber dabei würde eher weniger Anregendes geboten, das auch Neues entdecken ließe.
Der Mensch im Mittelpunkt
In diesem Zusammenhang fand ich besonders überzeugend, wie mit architektonischen Räumen und Formen bemerkenswerte, die Sinne anregende Lernorte gestaltet werden können: Die Referentin zeigte beispielhaft Schul- und Universitätsgebäude, die mit hochwertigen Materialien, mit verschiedenen Ebenen, farbigen Gestaltungen, auch mit von Künstlern geschaffenen Elementen sicherlich eine kreativere (Lern-)atmosphäre vermitteln als Bauten aus nacktem Beton. Eine (positive oder negative) Wahrnehmung des Schulbaus kann eine sehr prägende Erfahrung für das weitere Leben darstellen, wie auch im späteren Gespräch mit dem Publikum erörtert wurde. Für die Architektin ist eine inspirierende Ästhetik von großer Bedeutung für die Wahrnehmung der Umwelt, für das Bewusstsein von Qualität und damit auch für die Fähigkeit zu nachhaltigem Handeln. „Mensch, Ästhetik und Reduktion“ stehen im Mittelpunkt von Mikala Holme Samsøes Wirken.
Nach der Veranstaltung beantwortete mir Mikala Holme Samsøe folgende Fragen:
Wie würdest Du gute Architektur beschreiben?
Gute Architektur macht aus weniger mehr. Sie besitzt eine ästhetische „Irritation“, die uns zum Nachdenken inspiriert. Darüber hinaus ist sie langlebig, aus guten Materialien gebaut und geht selbstbewusst mit den Elementen der architektonischen Gestaltung um. Sie unterstützt ein sinnvolles Leben für ein menschliches Miteinander. Gute Architektur kann auch repariert werden.
Was sollte aus Deiner Sicht in Deutschland verändert werden, um gute und abwechslungsreiche Architektur zu ermöglichen? Und was würdest Du den Architekt*innen raten, um diese verwirklichen zu können?
Wir brauchen gestalterisch ausgebildete Menschen in allen Ebenen der Gesellschaft, und zwar nicht nur als Formgeber und Planer, sondern auch als Entscheidungsträger, als Politiker, in der Verwaltung, als Administratoren. Meiner Meinung nach auch gerne in der Schule.
Konkret sage ich den Studierenden: Wir müssen nicht alle im Büro planen, sondern es ist gut, wenn sie als Architekt*innen auch anderswo in der Gesellschaft wirken. In Dänemark sprechen wir darüber, was Architektur leistet und weniger darüber, wie sie aussieht. Mit Architektur können wir Gesellschaft bauen.
Dies geht weit über das Einfordern von Architekturqualität hinaus. Denn es geht darum, einen Diskurswechsel zu stimulieren, und zwar in Richtung einer höheren Wertschätzung, was die Bedeutsamkeit ästhetisch-irrationaler Aspekte des Lebens betrifft.
Wir haben große Themen in der Welt – wovon Nachhaltigkeit eines der wichtigen ist –, und mehr und mehr Menschen stellen den derzeit herrschenden rational-technisch ausgerichteten Diskurs in Frage, in dem Effizienz und Gewinnoptimierung im Fokus stehen. Die komplementären Ansätze bieten – glaube auch ich – die notwendige Ergänzung dazu.
Welches Projekt würdest Du als Dein persönliches „Meisterstück“ bezeichnen?
Das Meisterstück habe ich vor mir. Ich denke manchmal, dass das Leben als Architektin wie eine lange Lehrzeit ist, und ich freue mich darüber, dass ich noch lernen und ausprobieren darf, muss und will. Was in Richtung eines „Meisterstücks“ geht, ist mein erstes Wohnungsprojekt, worüber ich besonders glücklich bin und was für mich gleichzeitig mein Einstieg in den Beruf und die Selbstständigkeit mit vier Kollegen in Kopenhagen war. „BOase“ ist eine Wohn-Oase mit experimentellen Wohnformen, Gestaltungselementen sowie Materialien, das mich damals sechs Jahre lang begleitet und bis heute inhaltlich geprägt hat.
Welches Gebäude hättest Du gerne selbst entworfen?
Die Kingo-Häuser in Helsingør. Die Gartenhofhäuser von Jörn Utzon sind besonders gut gebaut.
Wenn Du vor ca. 20 Jahren das Marta Herford hättest planen können, wie würde es aussehen?
Architektur ist ein Zeitzeuge. Vor 20 Jahren hätten viele Architekten das Marta wahrscheinlich auch so räumlich spektakulär und aufregend gemacht. Höher. Schneller. Weiter. Heute denken wir anders darüber nach. Trotzdem hat es seine Berechtigung und bietet, wie ich auch eben erlebt habe, ein außergewöhnliches Raumerlebnis und einen feinen Rahmen besonders für die aktuelle Ausstellung („Willkommen im Labyrinth“).