Gewalt und Kunst – Nahostexperte Dr. Gil Yaron über israelisches Design
In der Ausstellung „Brutal Schön“ werden DesignerInnen und KünstlerInnen ausgestellt, die Gewalt sichtbar machen und ihr so etwas Zukunftsweisendes entgegenzusetzen.
Dr. Gil Yaron, israelischer Journalist und Nahostexperte, sprach mit dem hier ausgestellten Designer Ezri Tarazi darüber, wie die politisch geladene Atmosphäre in Jerusalem auf Kunst, Ästhetik und Design einwirkt.
Ezri Tarazis Konzepte stehen auf eigentümlichen Tischbeinen. Es sind Winkeleisen, die bedrohlich scharf aus dem Boden ragen um ihre künstlerische Last zu tragen: „Hier in Jerusalem erwecken sie sofort Assoziationen ans Militär“, erklärt der 53 Jahre alte Designer. Es waren zwar die Tschechen, die sie während des Zweiten Weltkriegs erfanden um Panzer der Wehrmacht zu stoppen, doch seither sind „Basnatim“ – wie Winkeleisen in Israel heißen – Teil des Alltags von Generationen von Israelis. Die Jüngeren kennen sie aus dem obligatorischen Wehrdienst, wo sie Zeltleinen an ihnen festbinden. Ältere erinnern sich noch daran, wie diese grauen Metallstäbe bis 1967 in schiefen Reihen mitten in Jerusalems Todeszone standen und mit Stacheldraht die Stadt teilten. Und jetzt tragen sie die Tischplatten, die Tarazi eigens für die Ausstellung „Ort meiner Begierde“ im Davidsturmmuseum in Jerusalem entwarf. Aus seiner Sicht bildet das militärische Fundament den perfekten Kontrapunkt zum zivilen Überbau: „Ich entschied mich dafür, verschiedene Salontische zu entwerfen, weil sie eine Besonderheit sowohl der israelischen als auch der palästinensischen Gesellschaft symbolisieren: Unsere ausgesprochene Gastfreundschaft“, sagt Tarazi. Er betont zwar den gemeinsamen Nenner, doch eigentlich spricht die Ausstellung von genau dem, was eine Stadt, die Israelis und Palästinenser heilig ist, entzweit. Damit will sie Licht auf das besondere Geflecht von Politik, Geschichte, Gewalt, Kunst und Schönheit werfen, die das Leben in Jerusalem kennzeichnen.
Stühle im Frieden, Tische im Krieg
Es ist kein Zufall, dass Tarazi für diesen Zweck ausgerechnet Tische einsetzt. Zwar hat er schon viele preisgekrönte Gebrauchsgegenstände entworfen: Kühlschränke, Klimaanlagen, Plastikmöbel, Gasmasken für Kleinkinder. Aber schon als Student an der renommierten Kunstakademie Bezalel in Jerusalem waren Tische sein Faible. Sein erster bezahlter Auftrag war die Bitte eines Professors, ihm einen Tisch zu entwerfen. Im Jahr 2003 wurde der Tisch „New Bagdad“ eines seiner bekanntesten Werke, in denen er das Debakel der US-Invasion des Iraks prophezeite. „Der berühmte Basketballspieler Michael Jordan kaufte ihn und aß daran sein Frühstück“, sagt Tarazi stolz. Doch diesmal hat die Objektwahl ihren Ursprung in der Gewalt, die Israels umstrittene Hauptstadt seit Jahrzehnten erschüttert. Der Designer Barry Katz konstatiert im Katalog der Ausstellung: „Während jeder Designer von William Morris über Mies van der Rohe, Shiro Kuramata oder Frank Gehry sich bereits die Zähne an Stühlen ausgebissen hat, wurde seinem häuslichen Pendant dem Tisch bislang überraschend wenig Aufmerksamkeit zuteil.“ Dies könne daran liegen, dass der Stuhl „perfekt dazu geeignet ist die unreduzierbare Subjektivität der menschlichen Existenz zu erkunden: jeder Körper ist einzigartig, und der Stuhl hat die unendlich komplexe Aufgabe, jeden dieser Körper zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzunehmen.“ Im Gegensatz zu diesem Partikularismus steht der Tisch, der nicht individuelle sondern gemeinschaftliche Aspekte betont. Schließlich dienen Tische dazu, zusammenzusitzen, gemeinsam zu essen, zu spielen, oder zu streiten.
Palästinenser suchen Authentizität
Was vielleicht einer der wichtigsten Unterschiede zwischen den Gesellschaften ist, die in Frieden leben und denen, die ständiger Gewalt ausgesetzt sind. Zum einen schweißt Gewalt Menschen zusammen. Auf der Suche nach Schutz vor Gefahren bilden sich Gruppen. Individuelle Unterschiede – Grundbaustein des friedlichen Partikularismus – werden übertüncht um den Zusammenhalt nicht zu gefährden. Doch zugleich „verschärft und vertieft Gewalt Unterschiede“, sagt Tarazi – zwischen den Gruppen. So entstehen trennende Gräben. Und das, so Tarazi, nimmt Einfluss auf Kunst und Design. „Auf der palästinensischen Seite sucht man dauernd nach einem Ausdruck der eigenen Identität, nach Authentizität“, sagt Tarazi, der heute Dozent für Design in seiner Alma Mater ist. Auf israelischer Seite hingegen „versuchen viele Designer, dem Konflikt zu entfliehen indem sie in eine Universalsprache entweichen.“
Israelisches Anti-Design
Geschichte und Konflikt hinterließen jedoch deutlich sichtbare Spuren, meint Tarazi. Das Judentum habe keine künstlerische Tradition: „Unsere Quellen sind nicht visuell, sondern bestehen aus Texten“. Und so befassen Jerusalemer sich selten mit der Form von Dingen, sondern eher mit ihrer inhärenten Bedeutung, ein Spiegel der Komplexität einer Stadt deren metaphysische Bedeutung einem nackten Fels unter dem Felsendom entspringt. Die fehlende visuelle Tradition habe einen bedeutenden Vorteil: „Ohne die Tradition gibt es nichts, dem man gehorsam sein muss. Israelisches Design ist schon fast ein Anti-Design. Ästhetik ist hier weitaus weniger wichtig, Understatement unbekannt.“ Das sehe man selbst in Zeitungsanzeigen: „Die schreien einen förmlich an mit ihrem leuchtenden Rot und den ganzen Ausrufezeichen.“ Der Blick sei stets sehr auf das jetzt und hier ausgerichtet. In einem Land in dem man jeden Augenblick sterben kann, gehöre „carpe diem“ zur grundlegenden Weltanschauung.
Auch König David war nicht perfekt
Das stehe im starken Gegensatz zur japanischen Kunst: „Dort ist man dauernd auf der Suche nach Harmonie und Perfektion. Oberflächen sind glatt und einheitlich“, erklärt Tarazi, der gerade aus Kyoto zurückgekehrt ist. Jüdische Künstler habe der Gedanke an Perfektion indes kaum beschäftig: „Hier war noch nie jemand perfekt, der legendäre König David der Bibel genau so wenig wie unsere Regierung. Nur mit dem Unterschied, dass die Religiösen heutzutage niemals eine Biographie wie die Bibel veröffentlichen würden“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Stattdessen sei Kunst in Konfliktzonen „ein Mosaik, nichts ist glatt, harmonisch oder monochrom. Genau wie in der Natur, wo Vielfarbigkeit ja auch Folge des Überlebenskampfes, des Wettbewerbs zwischen den verschiedenen Pflanzen und Tieren ist.“
Die Stadt als Baby
Und so ist der Tisch, den Tarazi bis zum 1. Mai im Marta Herford ausstellt, auch ein Mosaik verschiedenster Materialien und Formen, die gemeinsam die Kontur der Altstadt Jerusalems bilden. Wenn sich alle um den Tisch versammeln, bleibt er ein facettenreiches Ganzes. Aber die Tischplatte lässt sich öffnen – genau wie Israelis und Palästinenser Jerusalem teilen wollen. Zieht man ihn auseinander, kommt der hässliche Schiebemechanismus zutage – absichtlich: „Wenn beide Seiten darauf bestehen, dass die Stadt nur ihnen gehört, verletzen sie dieses sensible Gesamtprojekt. Diese Begierde erinnert mich immer ein wenig an die Geschichte der zwei Mütter, die vor König Salomo über ihr Baby stritten“, sagt Tarazi. Nur wer die Stadt mehr liebe als sich selbst könne verstehen, dass sie nur als komplexes, widersprüchliches Ganzes eine Existenzberechtigung habe. Der Tisch, dessen Baumaterialien ein Potpourri armenischer Kacheln, Munitionskisten der israelischen Armee, Backgammon Spielbretter und andere Dinge aus Jerusalems Altstadt sind, wird zur Allegorie für die gesamte Stadt, deren „Summe größer ist als der Wert ihrer Bestandteile.“
Und so ist der Tisch, der Ausdruck des Konflikts um Jerusalem sein soll, zugleich eine Ode der Liebe an die überwältigende Komplexität dieses Orts: „Natürlich habe ich Angst, wenn ich ins muslimische Viertel der Altstadt gehe um meine Materialien zusammenzusuchen“, sagt Tarazi. Immer wieder falle ihm auf, dass die Menschen in der Altstadt eine besondere Gangart haben: „Immer nah der Wände, um zumindest auf einer Seite sicher zu sein.“ Doch zugleich umarmt er die konfliktreiche Vielfalt seiner Stadt von ganzem Herzen: „Sie macht die eigentliche Schönheit aus. Es wäre fürchterlich, wenn man in Jerusalem ausschließlich Thoraschulen oder Moscheen vorfände.“
Dr. Gil Yaron, geboren in Israel, aufgewachsen in Deutschland, studierte Medizin und promovierte an der Herbräischen Universität in Jerusalem. International ist er als Nahostkorrespondent u.a. für DIE WELT und N24 sowie als Autor zahlreicher Publikation zu diesem Themenspektrum bekannt.
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