Kopfsprung in die Kunst
Kopfsprung in die Kunst : Von der Theorie in die Praxis! Was ist Kunst? Wer bestimmt, was Kunst ist? Wie betrachten wir Kunst und wo liegt ihr (Mehr-)Wert für uns?
Im Studium der Kunstgeschichte nähern wir uns der Kunst über ein mehr oder weniger vorgeschriebenes, bewährtes Muster: Wir kategorisieren Kunst nach Epochen, nach Erscheinungsform, nach verwendetem Material. Immer dem Drang folgend, den Sinn des Ganzen zu erfassen. Frei nach dem Motto: Was will uns der Künstler damit sagen? Die Aussageabsicht ist sicherlich nicht nur für den angehenden Kunsthistoriker ein zentraler Aspekt. Jeder Betrachter fragt sich doch: Was sehe ich hier eigentlich? Und wer oder was steckt dahinter?
In der Theorie begegnen wir der Kunst in Texten, konkreten geschriebenen Worten. Biografische und politische Hintergrundinformationen aus zweiter Hand treten zu akribisch angefertigten Beschreibungen. Wir entwickeln ein Netz aus Informationen, stützen uns auf die großen Namen der Kunstgeschichte, um schließlich unser gesammeltes Wissen auf das konkrete Werk anzuwenden.
Dieses Handwerk der Wissenschaft hat mir während meines Studiums zugleich einen gesunden Respekt vor der Kunst und vor allem für die Künstler, die Erschaffer des Werkes vermittelt. Immer im Hinterkopf: der aufgebaute Wissensfundus, der sofort aufgerufen wird, wenn ich mit Kunst in Berührung komme. Bei der Kunstbetrachtung springt augenblicklich meine theoretische Beschreibungsmaschinerie an: Künstler, Titel, Entstehungsjahr, gibt es hier nicht irgendwo einen Wandtext, der mir mehr Hintergrundwissen vermittelt, mir Zusammenhänge erklärt?
Mein zweimonatiges Praktikum im Marta Herford sollte mir endlich ein wenig mehr Praxis vermitteln. Ich habe von Anfang an reichlich zu tun: Textlektorate, eigene Texte verfassen, die Arbeit mit der Bibliothek und die Pflege des Archivs regionaler Künstler, denn bald soll die Ausstellung „OWL4 – Gegenspieler“ eröffnen, die sich Künstlern widmet, die biografisch mit der Region verbunden sind.
Ein Highlight des Praktikums im Marta ist aber der Besuch im Künstlerhaus „Artists Unlimited“ in Bielefeld. Hier gibt es keine Wandtexte, dafür etwas viel besseres: die KünstlerInnen selbst! Der Empfang ist freundlich, die Stimmung gelöst. Wir laufen durch die verwinkelten Räumlichkeiten, überall sieht man Leinwände, Skulpturen hängen von den Decken, ich linse in Wohnungen und Atelierräume, die von dem großen Flur abgehen. So sieht also der Ort aus, an dem das entsteht, was ich stetig theoretisch zu durchdringen suche.
Wir sitzen gemütlich am großen Tisch zusammen und schauen uns in Büchern oder in einer Beamerprojektion an, woran gearbeitet wird und sprechen über aktuelle Projekte.
Die Arbeiten reichen über Zusammenstellungen von Fotos, mit oder ohne Text, über Malerei und Collagen bis hin zu Aktionen im öffentlichen Raum. Die verschiedenen Herangehensweisen, die uns während der Präsentation erläutert werden, sind so unterschiedlich wie die Künstler selbst und offenbaren mir wieder einmal die zahlreichen Sichtweisen, die uns die Kunst anbietet.
Die Bilder, die ich sehe, sind so unmittelbar und rufen mir mal wieder ins Gedächtnis, warum mich Kunst so fasziniert. Es sind nicht die Erklärungsversuche und Analysen der Kunstgeschichte, es ist eben diese Unmittelbarkeit, mit der noch beim Sehen das Nachdenken über das Gesehene anspringt. Dies ermöglicht uns neue Perspektiven einzunehmen, um anschließend in die Theorie einsteigen zu können.
Sammeln, Zusammenstellen, Präsentieren, eigentlich sind mir die Arbeitsschritte, die ich bei den „Artists Unlimited“ kennenlerne, gar nicht so fremd und dennoch vollziehen sie sich hier auf einer anderen Ebene, die mir ein Gefühl der Leichtigkeit vermittelt.
Ich denke noch lange über unser Treffen bei den „Artists Unlimited“ nach und fühle mich irgendwie beschwingt. Bei dem Besuch in diesem Künstlerhaus habe ich nicht nur faszinierende künstlerische Arbeiten kennengelernt, sondern auch eine andere Perspektive auf mein eigenes Tun gewonnen. Die zeitweilige Schwere der Theorie hat sich in lebendige Leichtigkeit verwandelt.
Die Studentin der Skaninavistik und Kunst- und Bildgeschichte Sarah-Christin Koch absolvierte im Frühjahr 2016 ein Praktikum im kuratorischen Team von Marta Herford.