Kreativität – ein Grundbedürfnis unserer Zeit?
„Ich seh‘ Peace-Zeichen, da wo Menschen wohnen“, singt die deutsche Band Silbermond. Diese sieht man aktuell auch da, wo Menschen Kunst betrachten: im Marta Herford. Denn hier lassen die Besucher*innen ihrer Kreativität freien Lauf und gestalten so die Ausstellung „Hocus Focus“ selbst mit.
Von all den Skulpturen, die die Besuchenden in der Marta-Ausstellung „Hocus Focus“ formen und als Exponate zurücklassen, ist mir ein kleines Peace-Zeichen ganz besonders ins Auge gefallen. Es steht stellvertretend für den Ideenreichtum und die neue Lust am Mitgestalten existentieller Themen durch die Besucher*innen im Museum. Angeregt durch die Werke des niederländisch-iranischen Künstlers Navid Nuur haben kunstinteressierte Menschen die Gelegenheit, mit bereitgestellten Materialien eigene kleine Plastiken zu formen. Diese können sie in einem Regal in der Ausstellungsgalerie präsentieren. In diesem Regal wird die Kreativität und der Wille zum Mitgestalten deutlich sichtbar.
Kleines Peace-Zeichen mit großer Wirkung
Neben Figuren aus Knete, Initialen und Papierarbeiten greifen die Besucher*innen in ihren Werken gerne Navid Nuurs Präsentation der verschiedenen Energiezustände von Mais auf und bilden aus gepoppten Maiskörnern Skulpturen im Miniformat. Darunter ist auch ein kleines Peace-Zeichen, das vielleicht in Anlehnung an den aktuellen Song „Träum ja nur“ von Silbermond entstanden und zu deuten ist. Der Song besingt die Hoffnung menschlichen Dagegenhaltens in diesen Zeiten, die neben gesundheitlichen auch leider immer noch und mancherorts gerade wegen der Pandemie politische Abgründe offenbaren. „Ich seh´ Peace-Zeichen, da wo Menschen wohnen, hör‘ ‚Imagine‘ aus Panzern und Drohnen. Frauen und Männer überall gleich, Reichtum, der für alle reicht.“ Kultur als Form des Protests und der Einmischung – nicht nur von professionellen Künstler*innen!
Können Farben sprechen?
Neben Mais-Skulpturen bilden die Besucher*innen auch gerne die Knetkügelchen von Navid Nuur nach, die sich im Ausstellungsraum unter einer Fußleiste als kleine Rauminterventionen verstecken und die besonders Kinder mit Freude entdecken. Oder es entstehen neben menschlichen auch tierischen Gestalten, kleine Reliefs an Wand und Regal und Weiteres. Zudem gehen die Besucher*innen Navid Nuurs Frage nach der Materialität von Farben auf den Grund, indem sie die bereitgelegte Knetmasse, inspiriert von den Werken der Ausstellung, bearbeiten. Sie finden so im Aktiv-Werden einen weiteren Zugang zum Handy-Werk „Redblueredblue“ von Navid Nuur, das von rot-blauer Masse umhüllt ist und das den Farben bei Anruf der Telefonnummer an der Ausstellungswand auch eine stimmliche Qualität verleiht. Weitere originelle Anregungen sind in der eigens zu dieser Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou entstandenen Publikation „TA-DA! Künstler*in werden im Nullkommanichts“ zu finden, die sich nicht nur für Kinder eignet.
Kreativität – das neue Grundbedürfnis unserer Zeit?
Überhaupt scheint das eigene Kreativ-Werden ein neu entdecktes Grundbedürfnis unserer Zeit zu sein: ob die vor Corona boomenden Theater-Projekte mit Laien-Darsteller*innen, Kreativ-Tage angeboten von Magazinen, die die Nachhaltigkeit hochhalten, oder das Mitte März erstmals ausgestrahlte neue TV-Format „United Voices“, in dem Fans mit viel Engagement Choreografien ihrer Lieblingsmusiker*innen für eine Fernsehshow einstudieren. Es scheint im Trend zu liegen mitzumachen, sich an Kultur zu beteiligen und so Kunst mitzuerleben. In Zeiten von Corona wird der Trend noch verstärkt und auf kontaktarme Weise ungebrochen fortgeführt.
Mag diese neue Lust am Mitwirken aufgrund unseres (zu sehr) digital gewordenen Alltags entstanden sein? Ich glaube, Menschen spüren intuitiv, was sie für ein gelingendes Leben brauchen. Und es ist inspirierend, die unterschiedlichen Werke zu erleben zu denen sie durch Navid Nuur angeregt wurden, und so die große Bandbreite unterschiedlicher Gedanken zu erkennen, die in den Marta-Besucher*innen stecken. Denn wie heißt es bei Silbermond weiter? „Alle Hände in die Luft für die Musik für den Frieden. Feier´ den Mensch und die Unterschiede!“
Was uns einfällt, wenn uns etwas auffällt
Ich freue mich eigentlich immer, wenn wir mit unserem Vermittlungsangebot im Marta ein bisschen Anregung geben zum Mitwirken und so auch zum andersartigen Miterleben von Kunst und Kultur. Die Einschränkung des Miteinanders in Corona-Zeiten bremst uns zurzeit leider ein Stück weit aus, weil wir auf viele Angebote wie Gruppenführungen, Schul-Workshops usw. verzichten müssen. Statt dessen haben wir einen bunten Mix aus verschiedenartigsten Miniworkshops drinnen und draußen zusammengestellt. In einer kleinen Runde besteht zudem die Gelegenheit, über ein Kunstwerk intensiv ins Gespräch zu kommen. Die Einschränkung zeigt uns aber auch, was an tollen Vermittlungsangeboten und Freiheiten bislang möglich war und irgendwann auch wieder möglich sein wird. Wir sind schon sehr gespannt auf das, was die Marta-Besucher*innen momentan in kleinerem Rahmen und später auch wieder mit ungebremstem Angebot und grenzenloser Fantasie kreieren werden.
Denn wie bemerkte schon der Immunologe Gerhard Uhlenbruck: „Kreativität ist, wenn einem bei dem, was einem auffällt, etwas einfällt.
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