Kunst im kreativen Widerstand: OFF- Biennále in Budapest
Eine unabhängige Plattform für zeitgenössische Kunst in Ungarn, die sowohl als Reihe von Ausstellungen und Kunstevents funktioniert, aber auch eine allgemeine Basis schafft, um über die Rolle der zeitgenössischen Kunst in der aktuellen politischen Lage zu diskutieren.
So könnte die Idee der OFF-Biennále in Budapest zusammengefasst werden. Marta-Ausstellungsmacherin Friederike Fast fand diese Idee so interessant, dass sie Hajnalka Somogyi, Initiatorin und Leiterin des Projekts, dazu befragte.

Die erste OFF- Biennále fand 2015 in Budapest statt. Wann und wie entstand die Idee, eine Biennále in Ungarn zu veranstalten? Gibt es nicht schon zu viele Biennalen weltweit? Und was unterscheidet dieses Projekt von bspw. der Biennale in Venedig oder der Berlin Biennale?
Anfangs planten wir keine Biennále – im Herbst 2013 suchten wir nach Wegen eine sehr fragmenthafte, standortbezogene und frustrierte Kunstszene in Ungarn neu zu organisieren. Viktor Orbáns rechtsgerichtete Regierung kam 2010 an die Macht und ordnete das ohnehin schon recht schwache und dysfunktionale institutionelle System mit einer erstaunlichen Aggressivität neu, sodass es seiner politischen Agenda dient. Künstler und Kuratoren protestierten, ohne Erfolg. Es war entmutigend, gerade weil bis dahin der Staat bei weitem der wichtigste Förderer der Künste war. Etwa 2013 wurde klar, dass alles, was jenseits der Agenda dieser Regierung passieren soll oder sie sogar kritisieren will, außerhalb der staatlichen Infrastruktur initiiert werden muss.
Eine Biennále schien geeignet, da sie halb Veranstaltung, halb Institution ist: Sie erlaubt starke Aussage zu machen, für ein breites Publikum sichtbar zu werden und so eine soziale Basis für das Anliegen zu generieren; zugleich ermöglicht sie langfristiges strategisches Denken und macht eine Selbstinstitutionalisierung möglich.
Die erste OFF unterschied sich von den meisten anderen Biennálen, da sie sich aus verschiedenen Projekten zusammensetzte (Ausstellungen, Veranstaltungen, Performances, Spiele, Spaziergänge etc.) und von verschiedenen finanziell wie operativ eigenverantwortliche Akteuren der ungarischen Kunstszene, die für ihre Projekte sowohl im finanziellen wie im operativen Sinne verantwortlich waren, realisiert wurde. Das kuratorische Team wählte aus den eingereichten Projekten aus und lud auch die Teilnehmer aus dem Ausland ein – ohne aber eine Super-Show kuratieren zu wollen, wie es bei den meisten Biennálen der Fall ist. Vielmehr ist die OFF eine Basis, gemeinsam eine Leistung ohne institutionellen oder unternehmerischen Rückhalt umzusetzen. Dabei will die Biennále die eigenen Umstände kommentieren und verbessern, um Kunst zu produzieren, die sozial und politisch relevant ist.
Ausstellungen und Veranstaltungen von Künstlern aus Ungarn und dem Ausland fanden an über 100 Standorten in und außerhalb der Stadt statt. Die OFF brachte die Besucher an sehr abgelegene Orten, die Nicht-Einheimische sonst nie entdeckt hätten. Zum Beispiel wurden einige Arbeiten in leeren Häusern installiert. Diese Vielzahl von Standorten gab der Veranstaltung einen Reiz, bedeutete aber auch, dass es fast unmöglich war, alle Werke zu sehen. Welche Art von Standorten habt ihr ausgewählt und wie habt ihr sie gefunden? Verweist OFF im Titel darauf, dass es ein Ziel war, Besucher abseits der bekannten Wege zu führen?
Ja, OFF bezieht sich sicherlich auch darauf. Die große Anzahl und Vielfalt der Standorte war eines der Merkmale, die aus der Not geboren wurden, sich aber als wahre Stärke des Projekts herausstellten. Da wir nicht mit staatlichen Kunsträume arbeiteten, mussten wir sehr erfinderisch zu sein – beispielsweise war in einigen Fällen die Nutzung der eigenen Wohnung die einzige Lösung. Die Kuratoren arbeiteten mit dieser Einschränkung, indem sie sich mit Themen beschäftigten, die sich auf die gegebene Situation bezog. Eines der am meisten beachteten Projekte war eine Schau von Kati Simon, die ihren Job als Chefkuratorin am Ludwig-Museum Budapest aus politischen Gründen verlor und vor drei Jahren nach Berlin zog – dabei ließ sie eine voll ausgestattete Wohnung zurück. Die Ausstellung thematisierte Emigration, den Verlust des eigenen Hauses und den Versuch eine neue Existenz zu gründen. Inszeniert in ihrer persönlichen, aber unbewohnten Wohnung wurde die Ausstellung unglaublich intim und berührend.
Die Teilnehmer mussten sich selbst, darum kümmern einen Raum für ihre Projekte zu finden und zu sichern. Dies ist eine Realität, mit der wir mehr und mehr arbeiten müssen. Natürlich half das Biennále-Team viel und schaffte es mit nahezu keinem Budget und vielen Anstrengungen und Verhandlungen mehr als 100 Ausstellungsorte zu organisieren. Der Informationsaustausch, das Netzwerken und Verbinden der Menschen funktionierte dabei sehr gut. Es gab Projekte in Wohnungen, auf Plätzen, in Höfen, Geschäften, Cafés, einigen kommerziellen Galerien, Theatern, Studios, in einem Nachtclub, einer Garage, dem Sitz der Briefmarkensammler, an der Donau oder sogar auch in einem alten Kraftwerk.

Ein weiteres Merkmal der OFF war, dass sie ohne jegliche staatliche Finanzierung organisiert wurde. Was bedeutet das in Ungarn und konkret für Dich als Kuratorin?
Das ist ein komplexes Thema. Wir glauben, dass die Kunst ein Recht auf öffentliche Finanzierung hat. Aber trotzdem gibt es Situationen, in denen man mehr verliert, wenn man staatliche Mittel in Anspruch nimmt, als man dadurch gewinnt. Wir sind der Meinung, dass dies bei uns der Fall ist. Öffentliche Mittel in der Kunst (und auch in anderen Bereichen) sind inzwischen auf sehr zynische Weise politisch motiviert, ihnen fehlen professionelle Kriterien oder aber sie vernachlässigen diese. Während der Jahre, in denen ich die Biennále leitete, war der Wunsch nach beruflicher Unabhängigkeit durch die Unterstützung von Förderorganisationen ungehört geblieben, und es wurde zu einer moralischen Frage, ob man diese annimmt oder nicht. Wenn man sie nicht annimmt, bemerkt man den Mangel an Alternativen: In den vergangenen 26 Jahren bildeten Förderungen aus internationalen, privaten oder Unternehmensquellen kein starkes Gegengewicht zum staatlichen System. Auch hatte die Kunstszene die Bedeutung solche Alternativen bis dahin nicht erkannt. Die Idee, als Basis gemeinsam eine Biennále ohne staatliche Finanzierung zu realisieren, klang unmöglich. Gleichzeitig glaube ich, dass es das war, was uns beflügelt hat. Es war eine Gelegenheit zu zeigen, dass wir nicht so sehr vom Staat abhängig sind, wie es die meisten von uns dachten. Wir schafften es internationale Geldgeber und lokalen Sammler zu überzeugen und haben eine Menge gelernt. Ich denke, dass dies der erste Schritt ist auch wieder öffentliche Mittel zu fordern.

Die Mehrheit des Kernteams der Biennále besteht mit Nikolett Erőss, Anna Juhász, Tijana Stepanovic, Borbála Szalai, Katalin Székely, János Szoboszlai und Dir aus Frauen. Habt Ihr schon vor den politischen Veränderungen zusammengearbeitet? Wer sonst war an der Organisation der Biennále beteiligt und wie habt Ihr die Künstler ausgewählt?
Es ist eine kleine Szene. Ich denke, die meisten von uns haben vor der Biennále in verschiedenen Konstellationen miteinander gearbeitet. 2008-2013 arbeiteten fünf von uns im Ludwig-Museum. Die berufliche Freiheit, die internationalen Ambitionen und die sehr starke Gemeinschaft, die man unter Direktor Barnabás Bencsik erlebte, bildete eine Basis, auf der wir als OFF-Kuratorium später aufbauen konnten. Wir luden mehr als 100 Personen aus der hiesigen Szene dazu ein, sich mit einem Projekt für die Biennále zu bewerben, aber auch Kuratoren und Künstlern aus dem Ausland. Andererseits haben wir ein in Arbeitsgruppen aufgeteiltes Organisationsteam gebildet, das zu 90% (einschließlich Vorstand) pro bono arbeitete. Zum Zeitpunkt der Eröffnung zählte das Team mehr als 100 Personen, während die Zahl der Teilnehmer (Kuratoren, Künstlern, Organisatoren, Gastgeber der Projekte) rund 600-700 betrug. Eine kleine Stiftung unter Leitung von Bencsik übernahm die Finanzverwaltung.
Somit war es nicht das Kuratoriums selbst, das die Künstler auswählte, wir wählten die Projekte aus, die im Rahmen der ersten OFF präsentiert wurden und kuratierten ein kleines internationales Projekt selbst, mit dem Titel „Check Your Head!“ – mit Künstlern wie Anca Benera und Arnold Estefan, Petra Feriancova, Eva Kotatkova, Little Warsaw, Dan Perjovschi, usw.
Die Biennále zog insgesamt mehr als 35.000 Besucher zwischen dem 24. April und dem 31. Mai 2015 an. Warum haben Sie sich dazu entschieden, sie nur eine so kurze Zeit auszurichten?
Wie ich schon sagte, es war eine große Herausforderung Plätze und Veranstaltungsorte zu finden, es gab die unterschiedlichsten Vereinbarungen mit Eigentümern und den Menschen, die sich um ihre eigene Arbeit kümmern mussten. Die meisten unserer Programme waren sehr kurzfristig: Performances, Filmvorführungen, aber auch Ausstellungen dauerten nur 2-3 Wochen. Wir füllten 5 Wochen mit einem unglaublich umfangreichen Programm; dies hatte eine Intensität wie eine kritische Massendemonstration.
Was ist Ihre Einschätzung der Biennále? Wie haben Besucher und Politiker reagiert? Was hat sich in Folge der OFF geändert? Und was planen Sie für die nächste Veranstaltung im Jahr 2017?
Der Anspruch der ersten OFF war es kritische und progressive Kunstprojekte unter einem Dach zu vereinen und zu steuern – das machte das Teilen von Ressourcen, Fundraising und Kommunikation viel einfacher. Es entstand eine weitreichende Zusammenarbeit innerhalb der Szene und verschaffte uns Sichtbarkeit zu Hause sowie neue internationale Kontakte. Von Medien und dem Publikum erhielten wir sehr positive Resonanz – Menschen mögen Geschichten von Selbstbestimmung in diesem Klima der Frustration. Internationale Besucher betonten die hohe Qualität der Projekte. Nach der ersten OFF gründeten wir einen Verein, der die Biennále in der Zukunft verwalten und das Kuratorium erneuern soll – aktuell sind es acht Frauen*.
Auf lange Sicht soll die OFF ein Testfeld für ein meta-institutionelles Systems des Arbeitens sein, ein starkes Netzwerk der Zusammenarbeit organisieren zwischen Personen, Verbänden, Non-Profit-Organisationen, Kulturmedien, Galerien etc. organisieren und die Produktion von kritischer, gesellschaftlich relevanter zeitgenössischer Kunst ermöglichen. Wir planen eine kleinere, fokussierte OFF2, die mehr Wert auf den Inhalt und auf lokale und internationale Partnerschaften legt. Das gesamte Projekt schwebt noch in der Luft und es wird Zeit und Energie brauchen dem Ganzen festen Boden zu geben. Gleichzeitig ist da dieses starke Gefühl, dass wir etwas Nützliches und Sinnvolles in einem professionellen, aber auch in einem politischen Sinne schaffen, und das sagen zu können, ist eine ganze Menge in der Kunstwelt – genug Treibstoff für mindestens eine weitere Runde.
* Das OFF 2 Kuratorium besteht aus Nikolett Erőss, Róna Kopeczky, Eszter Kozma, Lívia Páldi, Hajnalka Somogyi, Tijana Stepanovic, Borbála Szalai, Katalin Székely.
