Kunst kommuniziert – Gedanken aus der Kunstvermittlung
Die Vermittlungsarbeit im Marta Herford versteht sich als eine Brücke zwischen Besuchenden und der Kunst, als eine Kommunikationsplattform zum lebendigen Austausch und zur Information. Mit vielfältigen Angeboten begleitet das Team aus Kunstvermittler*innen und freien Kunstvermittler*innen die Besuchenden bei ihren Begegnungen mit der Kunst.
Kunst kann vieles: Inspirieren, anregen, verärgern, verstören, verwirren, provozieren, trösten, erinnern, schwelgen lassen und sicherlich besonders eines: Fragen. Kunst ist immer Kommunikation, ob sie nun in eine oder viele Richtungen gehen mag. Es gibt Kunstwerke, da gibt es einen ganz klaren Kontext, vielleicht sogar benannte Zielsetzungen. Manche sind interaktiv und leben erst mit den Personen, die damit in Kontakt treten, richtig auf. Es gibt aber auch Kunstwerke, die sind ohne Titel und vielleicht auch in ihrer Oberfläche rätselhaft und wirken für viele Personen verschlossen. Und doch, so bin ich überzeugt, bleiben sie ein Akt der Kommunikation. Es mag der Ausdruck eines Gefühls sein, Verkörperung von Wut, Verzweiflung, Freude, Einsamkeit oder der Rätselhaftigkeit selbst, doch immer sind sie ein Ergebnis von Gedanken oder ersehnter Gedankenlosigkeit.
Bei der enormen Bandbreite medialer und inhaltlicher Spielarten von Kunst, die sich in Ausstellungsräumen tummeln, verwundert es kaum, dass die individuellen Zugänge zu diesen Werken sich unterscheiden. Viele Personen haben das Gefühl, ohne Gespräch, ohne Erklärung, den Kontakt zu den Werken nicht zu finden. Hier kommen meine Kolleg*innen und ich aus der Kunstvermittlung ins Spiel, wenn wir versuchen, das Eis zwischen Besucher*innen und Kunstwerken zu brechen oder zumindest ein wenig schmelzen zu lassen.
Das Eis darf auch gerne einmal bleiben, denn nicht jede*r kann mit jedem Werk etwas anfangen, so wie eben auch nicht jede Art von Sprache von jeder Person verstanden oder präferiert wird. Aber wir möchten zumindest den Schnee vom Eis pusten und zeigen:
„Ich sehe die Barriere auch, aber da schimmern viele Farbnuancen auf der anderen Seite dieser kalten Schicht und vielleicht ist da ja doch etwas Spannendes für Dich, für Sie dabei? Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, vielleicht irgendwann oder beim nächsten Werk. Verschlossenes muss nicht verschlossen bleiben, wenn wir uns selbst dafür öffnen wollen.“
Besonders schön ist es, wenn Kinder oder Jugendliche das Gespräch zu Exponaten suchen oder auch einfach laut vor sich hindenken. Da werden aus abstrakten Gemälden plötzlich Drachen, gesprungene Fensterscheiben mit 3D-Effekten, Bilder, die sich bewegen, Ofenkartoffeln im Lagerfeuer und vieles mehr. Wo die Fantasie ist, ist immer ein Weg der Annäherung. Aber die Fantasie braucht Mut und Offenheit. Darum ist sie für uns Erwachsene so schwer. Die Geschichten und Assoziationen, die wir auch oft haben, zuzulassen und zu hören, das erscheint uns womöglich so unpassend. Viele von uns haben ja gelernt, dass es doch eine bestimmte Absicht, eine Moral, eine Zielaussage, ein „Richtig“ und ein „Falsch“ bei allem, was uns begegnet, geben sollte.
So einfach aber auch so schlicht ist es eben in der Kunst – zum Glück – nicht! Insbesondere bei den Werken, die so schwierig, so fern, so ungewohnt für viele daherkommen, entspinnen sich oft die schönsten und spannendsten Diskussionen, die manchmal noch Jahre oder vielleicht für immer Teil meiner Gedanken bleiben. Am Berührendsten ist, wenn aus einer wütenden Reaktion auf ein Kunstwerk „Was soll daran denn Kunst sein, das müssen Sie mir bitte mal sagen, das macht null Sinn und handwerklich ist es auch nichts Besonderes?“ ein konstruktives und spannendes Gespräch entsteht.
Das Gespräch, so sehe ich das, findet dann zwar oberflächlich mit mir statt, aber eigentlich begeben wir als Personen uns dabei auch in besonderen Kontakt zum Kunstwerk und es erhält eine vorgerückte Präsenz: Seine Farben sind stärker, sein Schatten akzentuierter und vielleicht sogar der Materialduft intensiviert; es bleibt ein Ding und atmet doch zwischen und mit uns. Wenn wir dann aus dem Gespräch herausgehen, kann da Dankbarkeit und Aufgeschlossenheit sein, da kann aber auch Verwirrung, Kopfschütteln und die Geburt zahlreicher neuer Fragen sein. Doch in jedem Fall ist klar: Kunst hat eine Wirkung, Kunst kommuniziert. Immer. Wenn wir es zulassen.
Das ist das Wunderbare, das ewig neu Überraschende, das manchmal schmerzhaft Frustrierende, das dann am Ende wieder neue Gedanken und Fragen, genaueres Hinschauen hinter Fassade, Farbschicht und Schein generiert. Damit erscheint mir Kunst und auch ihre Vermittlung zentral, ob im öffentlichen oder musealen Raum: Offene Diskussionen, friedliches Streiten, Nachdenken und Fragen – all das ist, wofür in der ewigen Selbstinszenierungsspirale der Perfektion im Social Media-Zeitalter wenig Raum bleibt, was häufig als vermeintliche Schwäche fehlbeurteilt wird, und somit heute wichtiger ist denn je. Trauen wir uns!
Autorin
Tabea Sabrina Weber, Freie Kunstvermittlerin, Marta Herford